Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

berger dem Worte die That folgen lassen. Er ist seit 1867 bis heute als Publicist
und Redner, seit 1868 als Abgeordneter des Zollparlaments und deutschen
Reichstags unablässig und in einem streng nationalen Sinne thätig gewesen.
Er wird mit Recht zu den besten Parlamentsrednern, den geistvollsten poli¬
tischen Schriftstellern Deutschlands gezählt. So rechtfertigt schon dieses unge¬
wöhnlich bewegte und interessante Leben, die fortdauernde Betheiligung Bam-
bergers an den wichtigsten Problemen der nationalen Entwickelung und Ge¬
setzgebung Deutschlands ein näheres Eingehen. auf den Werdegang dieses
Mannes. Aber der Hauptwerth und das Hauptinteresse an seiner Vergangen¬
heit besteht für uns in seiner Durchbildung von dem Standpunkte des süd¬
westdeutschen Revolutionärs von Anno 1848 bis zu derjenigen des nationalen
von 1872. Sein Leben und Wirken kann als Paradigma gelten für den
nämlichen Entwickelungsproceß desjenigen Theils der Achtundvierziger, der
überhaupt entwickelungsfähig war. Sein Beispiel legt die ganze Jämmer¬
lichkeit der Logik blos, zu der selbst ein Gervinus zu greifen wagte: das
Zeugniß der Todten aufzurufen wider die Lebenden; die Anschauungen der
Männer, deren Herz stillstand, und deren Auge brach , als die große deutsche
Bewegung gescheitert war, und die Grabesruhe des reactivirten Bundestags
wieder über uns lastete, als letzten Trumpf auszuspielen gegen die "gottlose
Triebkraft" unserer Tage!

Wenn irgend wer von Haus aus Anlagen und Gelegenheit hatte, sich
mit dem auflösenden Eigensinn des französischen Radicalismus zu erfüllen --
zu leben und zu enden wie Ludwig Simon, so war es Ludwig Bamberger.
Er wurde geboren zu Mainz am 22. Juli 1823. Die Stadt Mainz verehrte da¬
mals seit ungefähr zehn Jahren die Großherzoge von Hessen-Darmstadt als an¬
gestammte Landesherren. Das Haupttagesinteresse der "Bundesfestung" bil¬
dete jedoch weniger die Chronik des Darmstädter Hofes, als vielmehr das un¬
endliche Capitel der landsmannschaftlichen Raufereien der "paritätischen"
Mainzer Garnison. Und seit 1869 war unter den Bürgern, zur angenehmen Ab¬
wechslung in der öffentlichen Unterhaltung, durch die Munificenz der zu den
Karlsbader Beschlüssen zusammengetretenen Potentaten, auch die geräuschlose
"Centraluntersuchungs-Commission" eingepfarrt worden, die ja in Mainz
für einige Decennien abgestiegen war, um hier, unter des durchlauchtigsten
deutschen Bundes Privilegio, ihren stillen Kerkerkrieg gegen deutsche Studen¬
ten zu führen. Alle irgend wichtigeren Interessen der Stadt und Bürger¬
schaft wurden dagegen nach wie vor lautlos aber sicher und unwiderstehlich
beherrscht durch den Krummstab. So war das goldene Mainz zur Zeit, als
Ludwig Bamberger geboren wurde und heranwuchs. Was Wunder, daß die
gebildeten Kreise der Stadt, wie der gesammten Rheinlande aus diesem poli¬
tischen Elend in die Erinnerungen der Clubbisten- und Kaiserzeit zurückschauten


berger dem Worte die That folgen lassen. Er ist seit 1867 bis heute als Publicist
und Redner, seit 1868 als Abgeordneter des Zollparlaments und deutschen
Reichstags unablässig und in einem streng nationalen Sinne thätig gewesen.
Er wird mit Recht zu den besten Parlamentsrednern, den geistvollsten poli¬
tischen Schriftstellern Deutschlands gezählt. So rechtfertigt schon dieses unge¬
wöhnlich bewegte und interessante Leben, die fortdauernde Betheiligung Bam-
bergers an den wichtigsten Problemen der nationalen Entwickelung und Ge¬
setzgebung Deutschlands ein näheres Eingehen. auf den Werdegang dieses
Mannes. Aber der Hauptwerth und das Hauptinteresse an seiner Vergangen¬
heit besteht für uns in seiner Durchbildung von dem Standpunkte des süd¬
westdeutschen Revolutionärs von Anno 1848 bis zu derjenigen des nationalen
von 1872. Sein Leben und Wirken kann als Paradigma gelten für den
nämlichen Entwickelungsproceß desjenigen Theils der Achtundvierziger, der
überhaupt entwickelungsfähig war. Sein Beispiel legt die ganze Jämmer¬
lichkeit der Logik blos, zu der selbst ein Gervinus zu greifen wagte: das
Zeugniß der Todten aufzurufen wider die Lebenden; die Anschauungen der
Männer, deren Herz stillstand, und deren Auge brach , als die große deutsche
Bewegung gescheitert war, und die Grabesruhe des reactivirten Bundestags
wieder über uns lastete, als letzten Trumpf auszuspielen gegen die „gottlose
Triebkraft" unserer Tage!

Wenn irgend wer von Haus aus Anlagen und Gelegenheit hatte, sich
mit dem auflösenden Eigensinn des französischen Radicalismus zu erfüllen —
zu leben und zu enden wie Ludwig Simon, so war es Ludwig Bamberger.
Er wurde geboren zu Mainz am 22. Juli 1823. Die Stadt Mainz verehrte da¬
mals seit ungefähr zehn Jahren die Großherzoge von Hessen-Darmstadt als an¬
gestammte Landesherren. Das Haupttagesinteresse der „Bundesfestung" bil¬
dete jedoch weniger die Chronik des Darmstädter Hofes, als vielmehr das un¬
endliche Capitel der landsmannschaftlichen Raufereien der „paritätischen"
Mainzer Garnison. Und seit 1869 war unter den Bürgern, zur angenehmen Ab¬
wechslung in der öffentlichen Unterhaltung, durch die Munificenz der zu den
Karlsbader Beschlüssen zusammengetretenen Potentaten, auch die geräuschlose
„Centraluntersuchungs-Commission" eingepfarrt worden, die ja in Mainz
für einige Decennien abgestiegen war, um hier, unter des durchlauchtigsten
deutschen Bundes Privilegio, ihren stillen Kerkerkrieg gegen deutsche Studen¬
ten zu führen. Alle irgend wichtigeren Interessen der Stadt und Bürger¬
schaft wurden dagegen nach wie vor lautlos aber sicher und unwiderstehlich
beherrscht durch den Krummstab. So war das goldene Mainz zur Zeit, als
Ludwig Bamberger geboren wurde und heranwuchs. Was Wunder, daß die
gebildeten Kreise der Stadt, wie der gesammten Rheinlande aus diesem poli¬
tischen Elend in die Erinnerungen der Clubbisten- und Kaiserzeit zurückschauten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0092" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127488"/>
          <p xml:id="ID_302" prev="#ID_301"> berger dem Worte die That folgen lassen. Er ist seit 1867 bis heute als Publicist<lb/>
und Redner, seit 1868 als Abgeordneter des Zollparlaments und deutschen<lb/>
Reichstags unablässig und in einem streng nationalen Sinne thätig gewesen.<lb/>
Er wird mit Recht zu den besten Parlamentsrednern, den geistvollsten poli¬<lb/>
tischen Schriftstellern Deutschlands gezählt. So rechtfertigt schon dieses unge¬<lb/>
wöhnlich bewegte und interessante Leben, die fortdauernde Betheiligung Bam-<lb/>
bergers an den wichtigsten Problemen der nationalen Entwickelung und Ge¬<lb/>
setzgebung Deutschlands ein näheres Eingehen. auf den Werdegang dieses<lb/>
Mannes. Aber der Hauptwerth und das Hauptinteresse an seiner Vergangen¬<lb/>
heit besteht für uns in seiner Durchbildung von dem Standpunkte des süd¬<lb/>
westdeutschen Revolutionärs von Anno 1848 bis zu derjenigen des nationalen<lb/>
von 1872. Sein Leben und Wirken kann als Paradigma gelten für den<lb/>
nämlichen Entwickelungsproceß desjenigen Theils der Achtundvierziger, der<lb/>
überhaupt entwickelungsfähig war. Sein Beispiel legt die ganze Jämmer¬<lb/>
lichkeit der Logik blos, zu der selbst ein Gervinus zu greifen wagte: das<lb/>
Zeugniß der Todten aufzurufen wider die Lebenden; die Anschauungen der<lb/>
Männer, deren Herz stillstand, und deren Auge brach , als die große deutsche<lb/>
Bewegung gescheitert war, und die Grabesruhe des reactivirten Bundestags<lb/>
wieder über uns lastete, als letzten Trumpf auszuspielen gegen die &#x201E;gottlose<lb/>
Triebkraft" unserer Tage!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_303" next="#ID_304"> Wenn irgend wer von Haus aus Anlagen und Gelegenheit hatte, sich<lb/>
mit dem auflösenden Eigensinn des französischen Radicalismus zu erfüllen &#x2014;<lb/>
zu leben und zu enden wie Ludwig Simon, so war es Ludwig Bamberger.<lb/>
Er wurde geboren zu Mainz am 22. Juli 1823. Die Stadt Mainz verehrte da¬<lb/>
mals seit ungefähr zehn Jahren die Großherzoge von Hessen-Darmstadt als an¬<lb/>
gestammte Landesherren. Das Haupttagesinteresse der &#x201E;Bundesfestung" bil¬<lb/>
dete jedoch weniger die Chronik des Darmstädter Hofes, als vielmehr das un¬<lb/>
endliche Capitel der landsmannschaftlichen Raufereien der &#x201E;paritätischen"<lb/>
Mainzer Garnison. Und seit 1869 war unter den Bürgern, zur angenehmen Ab¬<lb/>
wechslung in der öffentlichen Unterhaltung, durch die Munificenz der zu den<lb/>
Karlsbader Beschlüssen zusammengetretenen Potentaten, auch die geräuschlose<lb/>
&#x201E;Centraluntersuchungs-Commission" eingepfarrt worden, die ja in Mainz<lb/>
für einige Decennien abgestiegen war, um hier, unter des durchlauchtigsten<lb/>
deutschen Bundes Privilegio, ihren stillen Kerkerkrieg gegen deutsche Studen¬<lb/>
ten zu führen. Alle irgend wichtigeren Interessen der Stadt und Bürger¬<lb/>
schaft wurden dagegen nach wie vor lautlos aber sicher und unwiderstehlich<lb/>
beherrscht durch den Krummstab. So war das goldene Mainz zur Zeit, als<lb/>
Ludwig Bamberger geboren wurde und heranwuchs. Was Wunder, daß die<lb/>
gebildeten Kreise der Stadt, wie der gesammten Rheinlande aus diesem poli¬<lb/>
tischen Elend in die Erinnerungen der Clubbisten- und Kaiserzeit zurückschauten</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0092] berger dem Worte die That folgen lassen. Er ist seit 1867 bis heute als Publicist und Redner, seit 1868 als Abgeordneter des Zollparlaments und deutschen Reichstags unablässig und in einem streng nationalen Sinne thätig gewesen. Er wird mit Recht zu den besten Parlamentsrednern, den geistvollsten poli¬ tischen Schriftstellern Deutschlands gezählt. So rechtfertigt schon dieses unge¬ wöhnlich bewegte und interessante Leben, die fortdauernde Betheiligung Bam- bergers an den wichtigsten Problemen der nationalen Entwickelung und Ge¬ setzgebung Deutschlands ein näheres Eingehen. auf den Werdegang dieses Mannes. Aber der Hauptwerth und das Hauptinteresse an seiner Vergangen¬ heit besteht für uns in seiner Durchbildung von dem Standpunkte des süd¬ westdeutschen Revolutionärs von Anno 1848 bis zu derjenigen des nationalen von 1872. Sein Leben und Wirken kann als Paradigma gelten für den nämlichen Entwickelungsproceß desjenigen Theils der Achtundvierziger, der überhaupt entwickelungsfähig war. Sein Beispiel legt die ganze Jämmer¬ lichkeit der Logik blos, zu der selbst ein Gervinus zu greifen wagte: das Zeugniß der Todten aufzurufen wider die Lebenden; die Anschauungen der Männer, deren Herz stillstand, und deren Auge brach , als die große deutsche Bewegung gescheitert war, und die Grabesruhe des reactivirten Bundestags wieder über uns lastete, als letzten Trumpf auszuspielen gegen die „gottlose Triebkraft" unserer Tage! Wenn irgend wer von Haus aus Anlagen und Gelegenheit hatte, sich mit dem auflösenden Eigensinn des französischen Radicalismus zu erfüllen — zu leben und zu enden wie Ludwig Simon, so war es Ludwig Bamberger. Er wurde geboren zu Mainz am 22. Juli 1823. Die Stadt Mainz verehrte da¬ mals seit ungefähr zehn Jahren die Großherzoge von Hessen-Darmstadt als an¬ gestammte Landesherren. Das Haupttagesinteresse der „Bundesfestung" bil¬ dete jedoch weniger die Chronik des Darmstädter Hofes, als vielmehr das un¬ endliche Capitel der landsmannschaftlichen Raufereien der „paritätischen" Mainzer Garnison. Und seit 1869 war unter den Bürgern, zur angenehmen Ab¬ wechslung in der öffentlichen Unterhaltung, durch die Munificenz der zu den Karlsbader Beschlüssen zusammengetretenen Potentaten, auch die geräuschlose „Centraluntersuchungs-Commission" eingepfarrt worden, die ja in Mainz für einige Decennien abgestiegen war, um hier, unter des durchlauchtigsten deutschen Bundes Privilegio, ihren stillen Kerkerkrieg gegen deutsche Studen¬ ten zu führen. Alle irgend wichtigeren Interessen der Stadt und Bürger¬ schaft wurden dagegen nach wie vor lautlos aber sicher und unwiderstehlich beherrscht durch den Krummstab. So war das goldene Mainz zur Zeit, als Ludwig Bamberger geboren wurde und heranwuchs. Was Wunder, daß die gebildeten Kreise der Stadt, wie der gesammten Rheinlande aus diesem poli¬ tischen Elend in die Erinnerungen der Clubbisten- und Kaiserzeit zurückschauten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/92
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/92>, abgerufen am 22.12.2024.