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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Schädigung, welche für eine geliehene Geldsumme oder für ein gemiethetes
Haus oder für ein erpachtetes Stück Land bezahlt worden ist, bei der Rück¬
zahlung des Capitals oder bei dem Kauf des Hauses oder Ackerstücks abge¬
zogen werden, das heißt wenn ich 1000 Thaler geborgt und meinem Gläu¬
biger jedes Jahr 30 Thaler dafür entrichtet habe, so habe ich ihn nach Ver¬
lauf von 20 Jahren abbezahlt, sodaß er nichts mehr von mir zu fordern hat.
Oder wenn ich ein Haus im Werthe von 10,000 Thaler bewohne und ich
dem Eigenthümer jährlich S00 Thaler Miethe zahle, so werde ich nach Ver¬
lauf von fünf Jahren das Viertel, nach fünf weiteren die Hälfte und nach
zwanzig Jahren das Ganze des Hauses erworben haben und dessen alleiniger
rechtmäßiger Besitzer sein.

So war der Basler Congreß in Wirklichkeit einmüthig der Meinung,
daß das individuelle Eigenthum, wie es bei allen civilisirten Nationen existirt,
vernichtet werden müsse, und die in der Verdammung der unglücklichen Eigen¬
thümer einverstandener Delegirten waren nur über die Frage verschiedener
Ansicht, ob man sie in der Sauce der Mutualisten oder der Collectivsten ver¬
speisen solle.

Nachdem nun die Bergwerke, die Steinbrüche, die Eisenbahnen, das
Ackerland, die Forsten, die Häuser, die Maschinen und Werkzeuge unter der
oder jener sich um den Vorrang streitenden Formen mit Beschlag belegt
waren, und das Capital, dem man kein anderes Mittel, sich zu bilden ge¬
lassen, überdies verurtheilt war, in keiner Gestalt Zinsen zu tragen, schien es.
daß die Frage der Vererbung keinen sehr großen praktischen Nutzen mehr
hatte, was denn auch der französische Deputirte Chemale bemerkte. Dennoch
hielt es der Congreß in seiner Weisheit für gut, sich mehrere Stunden mit
derselben zu beschäftigen. Der Schneider und Socialphilosoph Eccarius war
der Meinung, daß man in Erwartung der Verwirklichung des Collectiv-
Eigenthums, welche die Erbschaftsfrage lösen werde, "transitorische Maßregeln
gutheißen solle, die in einer beträchtlichen Erhöhung des Erbschaftsstempels
und in der Verwendung des Ertrages dieser Steuern auf sociale Verbesserungen
zu bestehen hätten." Die Commission, die es eiliger hatte, verlangte vom
Congreß einfach, er solle anerkennen, daß "das Erbrecht vollständig und von
Grund aus abgeschafft werden müsse, und daß die Abschaffung eine der un¬
erläßlichen Bedingungen der Befreiung der' Arbeit sei." Der Belgier Paepe
meinte, daß die Vererbung in gerader Linie, ihrer Auswüchse entkleidet, ein
vortreffliches Element des Fortschritts für die Menschheit sei, und erhalten
bleiben müsse als Ermuthigung der Sparsamkeit und des Familiensinnes; er
glaubte aber nicht an die Wirksamkeit der Abschaffung des Erbrechts in Be¬
treff der "socialen Liquidation." Er erwartete "nach den Gefühlen, welche
die Bourgeois-Gesellschaft in Bezug auf die Arbeiter äußert, keine gütliche


Schädigung, welche für eine geliehene Geldsumme oder für ein gemiethetes
Haus oder für ein erpachtetes Stück Land bezahlt worden ist, bei der Rück¬
zahlung des Capitals oder bei dem Kauf des Hauses oder Ackerstücks abge¬
zogen werden, das heißt wenn ich 1000 Thaler geborgt und meinem Gläu¬
biger jedes Jahr 30 Thaler dafür entrichtet habe, so habe ich ihn nach Ver¬
lauf von 20 Jahren abbezahlt, sodaß er nichts mehr von mir zu fordern hat.
Oder wenn ich ein Haus im Werthe von 10,000 Thaler bewohne und ich
dem Eigenthümer jährlich S00 Thaler Miethe zahle, so werde ich nach Ver¬
lauf von fünf Jahren das Viertel, nach fünf weiteren die Hälfte und nach
zwanzig Jahren das Ganze des Hauses erworben haben und dessen alleiniger
rechtmäßiger Besitzer sein.

So war der Basler Congreß in Wirklichkeit einmüthig der Meinung,
daß das individuelle Eigenthum, wie es bei allen civilisirten Nationen existirt,
vernichtet werden müsse, und die in der Verdammung der unglücklichen Eigen¬
thümer einverstandener Delegirten waren nur über die Frage verschiedener
Ansicht, ob man sie in der Sauce der Mutualisten oder der Collectivsten ver¬
speisen solle.

Nachdem nun die Bergwerke, die Steinbrüche, die Eisenbahnen, das
Ackerland, die Forsten, die Häuser, die Maschinen und Werkzeuge unter der
oder jener sich um den Vorrang streitenden Formen mit Beschlag belegt
waren, und das Capital, dem man kein anderes Mittel, sich zu bilden ge¬
lassen, überdies verurtheilt war, in keiner Gestalt Zinsen zu tragen, schien es.
daß die Frage der Vererbung keinen sehr großen praktischen Nutzen mehr
hatte, was denn auch der französische Deputirte Chemale bemerkte. Dennoch
hielt es der Congreß in seiner Weisheit für gut, sich mehrere Stunden mit
derselben zu beschäftigen. Der Schneider und Socialphilosoph Eccarius war
der Meinung, daß man in Erwartung der Verwirklichung des Collectiv-
Eigenthums, welche die Erbschaftsfrage lösen werde, „transitorische Maßregeln
gutheißen solle, die in einer beträchtlichen Erhöhung des Erbschaftsstempels
und in der Verwendung des Ertrages dieser Steuern auf sociale Verbesserungen
zu bestehen hätten." Die Commission, die es eiliger hatte, verlangte vom
Congreß einfach, er solle anerkennen, daß „das Erbrecht vollständig und von
Grund aus abgeschafft werden müsse, und daß die Abschaffung eine der un¬
erläßlichen Bedingungen der Befreiung der' Arbeit sei." Der Belgier Paepe
meinte, daß die Vererbung in gerader Linie, ihrer Auswüchse entkleidet, ein
vortreffliches Element des Fortschritts für die Menschheit sei, und erhalten
bleiben müsse als Ermuthigung der Sparsamkeit und des Familiensinnes; er
glaubte aber nicht an die Wirksamkeit der Abschaffung des Erbrechts in Be¬
treff der „socialen Liquidation." Er erwartete „nach den Gefühlen, welche
die Bourgeois-Gesellschaft in Bezug auf die Arbeiter äußert, keine gütliche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/67>, abgerufen am 24.08.2024.