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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Frage Aller; die Antwort bleibt inzwischen aus. Sollte der liberal-conser-
vative Herr van Rheenen, der zu einer Besprechung zum Könige berufen ist,
Hülfe schaffen? Schwerlich ist von dieser Seite ein Ausweg zu finden.




Jazcnne's schwerste Schuld.

Im Schlosse zu Versailles, in einem der großen Säle, welche die Helden¬
thaten des zweiten Kaiserreichs zu verherrlichen bestimmt sind, verewigt ein
mächtiges Bild den Einzug des Marschalls Bazaine in die überwundene
mexikanische Hauptstadt. Das Bild ist merkwürdig charakteristisch. Nichts
von der Farbenpracht, dem Pulve>,dampf und dem theatralischen Elan der
übrigen großen Tableaux, welche den Malakoff und Magenta, und zwanzig
andere Schlachtfelder feiern. Ein dumpfer blaugrauer lichtloser Ton liegt über
dem Ganzen. Im Zwielicht des Frühmorgens gleiten die schattenhaften Ge¬
stalten der Sieger durch die schattenhaften Straßen, und eine Schaar dunkler
Ehrenmänner, die Deputation der berufenen "Notabeln", überreicht die Schlüssel
der Stadt. Von dem fürstlichen Helden aber, der das blutige Schattenspiel,
das hier gemalt ist, für Ernst nahm, und sich wohlmeinend und tapfer um
seine Krone wehrte, bis zum Sandhaufen von Queretaro, -- diesen Fürsten,
der zur Rettung von Frankreichs Ehre auf den Thron von Mexico erhoben
ward, führt keines der Bilder vor, welche ü. tonlos les gloires cle la I^anco
bestimmt sind. In einem dunkeln Gefühl von Anstand, ohne Zweifel, hat
man ihn. den gewissenlos Preisgegebenen und Gemordeten, durch französische
Pinsel nicht zur Schau stellen wollen.

In wenigen Tagen sind fünf Jahre verflossen seit dem Todestage Kaiser
Maximilians. Und der Mann, der wie kein Anderer außer seinem damaligen
Herrn diesen tragischen Ausgang des mexikanischen Kaiserreichs auf dem Ge¬
wissen hat, der Marschall Bazaine ist heut der Gefangene seiner eigenen
Nation, angeklagt des Verrathes an dem eigenen Lande. In dieser Beziehung
halten wir ihn, hält ihn jeder Unparteiische nicht schuldig. Auch in Metz
mag er ehrgeizige politische Sonderzwecke geplant haben, aber die Uebergabe
der Stadt, die ihm die Anklage auf Verrath zuzog, war bittere Nothwendig¬
keit. Wohl aber wägt schon jetzt die öffentliche Meinung Frankreichs und des
Auslandes in der Waage seiner Schuld auch seine Vergangenheit. Und da
mag es wohl sein, daß der wirkliche Treubruch und die wirkliche Schande, die
er jenseit des Oceans auf sein Haupt geladen, sich niederziehend an die Ge¬
wichte heftet, die der Eigendünkel der Franzosen ihm verderblich in die Waage
wirft.


Frage Aller; die Antwort bleibt inzwischen aus. Sollte der liberal-conser-
vative Herr van Rheenen, der zu einer Besprechung zum Könige berufen ist,
Hülfe schaffen? Schwerlich ist von dieser Seite ein Ausweg zu finden.




Jazcnne's schwerste Schuld.

Im Schlosse zu Versailles, in einem der großen Säle, welche die Helden¬
thaten des zweiten Kaiserreichs zu verherrlichen bestimmt sind, verewigt ein
mächtiges Bild den Einzug des Marschalls Bazaine in die überwundene
mexikanische Hauptstadt. Das Bild ist merkwürdig charakteristisch. Nichts
von der Farbenpracht, dem Pulve>,dampf und dem theatralischen Elan der
übrigen großen Tableaux, welche den Malakoff und Magenta, und zwanzig
andere Schlachtfelder feiern. Ein dumpfer blaugrauer lichtloser Ton liegt über
dem Ganzen. Im Zwielicht des Frühmorgens gleiten die schattenhaften Ge¬
stalten der Sieger durch die schattenhaften Straßen, und eine Schaar dunkler
Ehrenmänner, die Deputation der berufenen „Notabeln", überreicht die Schlüssel
der Stadt. Von dem fürstlichen Helden aber, der das blutige Schattenspiel,
das hier gemalt ist, für Ernst nahm, und sich wohlmeinend und tapfer um
seine Krone wehrte, bis zum Sandhaufen von Queretaro, — diesen Fürsten,
der zur Rettung von Frankreichs Ehre auf den Thron von Mexico erhoben
ward, führt keines der Bilder vor, welche ü. tonlos les gloires cle la I^anco
bestimmt sind. In einem dunkeln Gefühl von Anstand, ohne Zweifel, hat
man ihn. den gewissenlos Preisgegebenen und Gemordeten, durch französische
Pinsel nicht zur Schau stellen wollen.

In wenigen Tagen sind fünf Jahre verflossen seit dem Todestage Kaiser
Maximilians. Und der Mann, der wie kein Anderer außer seinem damaligen
Herrn diesen tragischen Ausgang des mexikanischen Kaiserreichs auf dem Ge¬
wissen hat, der Marschall Bazaine ist heut der Gefangene seiner eigenen
Nation, angeklagt des Verrathes an dem eigenen Lande. In dieser Beziehung
halten wir ihn, hält ihn jeder Unparteiische nicht schuldig. Auch in Metz
mag er ehrgeizige politische Sonderzwecke geplant haben, aber die Uebergabe
der Stadt, die ihm die Anklage auf Verrath zuzog, war bittere Nothwendig¬
keit. Wohl aber wägt schon jetzt die öffentliche Meinung Frankreichs und des
Auslandes in der Waage seiner Schuld auch seine Vergangenheit. Und da
mag es wohl sein, daß der wirkliche Treubruch und die wirkliche Schande, die
er jenseit des Oceans auf sein Haupt geladen, sich niederziehend an die Ge¬
wichte heftet, die der Eigendünkel der Franzosen ihm verderblich in die Waage
wirft.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/508>, abgerufen am 22.12.2024.