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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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der ein an sich recht schätzenswerthes Schriftchen, das ganz vor kurzem erschienen ist,
durchzieht, die Brochüre des ehemaligen Gymnasialprofessors I. Heimbrodzu
Gleiwitz: "Ueber die deutsche Sprache im polnischen Oberschlesien" (Oberglogau
1872). Der Verfasser, ein ehrwürdiger Veteran unseres gelehrten Schulwesens,
gehört zu der jetzt fast ausgestorbenen Generation wahrhaft gebildeter Katho¬
liken, die eben deshalb gute Deutsche geblieben sind. Aber weil er einer andern
Welt angehört, und von der jetzigen Mode-Katholicität offenbar mit zu
den "Auchkatholiken" gerechnet wird, wozu sie, die echten "Bauchkatholiken",
alles was nicht dem Despotismus des jesuitischen Fetischthums sich fügt,
werfen, übersieht er ganz den gegenwärtigen Stand der Sache. In seiner
Schrift, die überdieß schon 1863 im wesentlichen vollendet war und jetzt erst
mit einem kurzen Nachwort ans Licht tritt, findet sich keine Spur, daß er
den eigentlichen Todfeind der Schule und Bildung in Oberschlesien kenne, ge¬
schweige denn, daß er irgend ein Mittel zu seiner Bekämpfung anzugeben
wisse. Es wird daher auswärts dieses directe Zeugniß aus Oberschlesien
mit größter Vorsicht aufzunehmen und zu verwerthen sein. Wer sich nur
darauf verläßt, würde leicht zu dem Wahne verführt werden, daß die Gefahr
nicht bloß für die Schule, sondern für den deutschen Staat und die deutsche
Nation, die jetzt von dort her signalisirt wird, gar nicht vorhanden und bloß
in der Einbildung einiger allzu hitziger Köpfe beruhe, welche nicht warten
können bis die Blüthen ihre natürliche Zeit zur Fruchtentwickelung vollendet
haben. Denn auf ein solches ruhiges Abwarten läuft die Meinung Heimbrods
hinaus und in der That, im Jahre 1819, wo er sein Amt antrat, war dazu
auch noch Muße, heute aber ist jeder Tag Geduld Landesverrat!). Denn jene
überall nachweisbare Allianz des modernen Pseudokatholicismus mit allem,
was der deutschen Nation und dem deutschen Staate todtfeind und ein tät¬
liches Gift ist, tritt hier schon in vielen Symptomen ungescheut heraus.
Während anfangs die Parole bloß für die Kirche lautete und das Volk gegen
die Regierung gehetzt wurde, weil sie das göttliche Recht der Kirche mit Füßen
trete, geht man schon einen Schritt weiter. Besonders charakteristisch dafür
ist das Gebahren das "Katolik," der verbreitetsten polnischen Zeitung des Landes.
Sein Titel scheint nur kirchliche Tendenzen zu bedeuten, und eine Reihe von
Jahren geberdete er sich auch nur als der Wächter des Seelenheiles seiner
Landsleute. Jetzt aber treibt er mit einer cynischen Frechheit, die uns deut¬
lich erkennen läßt, daß die Grenzen der Preßfreiheit bei uns factisch ebenso
weit sind wie in Amerika oder England, meist hohe Politik, schwärmt für
Frankreich, hie und da für Oesterreich, für Wiederherstellung Polens, schmäht
die Hohenzollern, verunglimpft den preußischen Staat, kurz er setzt seinen
wasserpolnischen Landsleuten genau dieselbe Kost vor, die das Münchner
Vaterland und der VoMbvte zwischen Bier und Nettigen an das gläubige


der ein an sich recht schätzenswerthes Schriftchen, das ganz vor kurzem erschienen ist,
durchzieht, die Brochüre des ehemaligen Gymnasialprofessors I. Heimbrodzu
Gleiwitz: „Ueber die deutsche Sprache im polnischen Oberschlesien" (Oberglogau
1872). Der Verfasser, ein ehrwürdiger Veteran unseres gelehrten Schulwesens,
gehört zu der jetzt fast ausgestorbenen Generation wahrhaft gebildeter Katho¬
liken, die eben deshalb gute Deutsche geblieben sind. Aber weil er einer andern
Welt angehört, und von der jetzigen Mode-Katholicität offenbar mit zu
den „Auchkatholiken" gerechnet wird, wozu sie, die echten „Bauchkatholiken",
alles was nicht dem Despotismus des jesuitischen Fetischthums sich fügt,
werfen, übersieht er ganz den gegenwärtigen Stand der Sache. In seiner
Schrift, die überdieß schon 1863 im wesentlichen vollendet war und jetzt erst
mit einem kurzen Nachwort ans Licht tritt, findet sich keine Spur, daß er
den eigentlichen Todfeind der Schule und Bildung in Oberschlesien kenne, ge¬
schweige denn, daß er irgend ein Mittel zu seiner Bekämpfung anzugeben
wisse. Es wird daher auswärts dieses directe Zeugniß aus Oberschlesien
mit größter Vorsicht aufzunehmen und zu verwerthen sein. Wer sich nur
darauf verläßt, würde leicht zu dem Wahne verführt werden, daß die Gefahr
nicht bloß für die Schule, sondern für den deutschen Staat und die deutsche
Nation, die jetzt von dort her signalisirt wird, gar nicht vorhanden und bloß
in der Einbildung einiger allzu hitziger Köpfe beruhe, welche nicht warten
können bis die Blüthen ihre natürliche Zeit zur Fruchtentwickelung vollendet
haben. Denn auf ein solches ruhiges Abwarten läuft die Meinung Heimbrods
hinaus und in der That, im Jahre 1819, wo er sein Amt antrat, war dazu
auch noch Muße, heute aber ist jeder Tag Geduld Landesverrat!). Denn jene
überall nachweisbare Allianz des modernen Pseudokatholicismus mit allem,
was der deutschen Nation und dem deutschen Staate todtfeind und ein tät¬
liches Gift ist, tritt hier schon in vielen Symptomen ungescheut heraus.
Während anfangs die Parole bloß für die Kirche lautete und das Volk gegen
die Regierung gehetzt wurde, weil sie das göttliche Recht der Kirche mit Füßen
trete, geht man schon einen Schritt weiter. Besonders charakteristisch dafür
ist das Gebahren das „Katolik," der verbreitetsten polnischen Zeitung des Landes.
Sein Titel scheint nur kirchliche Tendenzen zu bedeuten, und eine Reihe von
Jahren geberdete er sich auch nur als der Wächter des Seelenheiles seiner
Landsleute. Jetzt aber treibt er mit einer cynischen Frechheit, die uns deut¬
lich erkennen läßt, daß die Grenzen der Preßfreiheit bei uns factisch ebenso
weit sind wie in Amerika oder England, meist hohe Politik, schwärmt für
Frankreich, hie und da für Oesterreich, für Wiederherstellung Polens, schmäht
die Hohenzollern, verunglimpft den preußischen Staat, kurz er setzt seinen
wasserpolnischen Landsleuten genau dieselbe Kost vor, die das Münchner
Vaterland und der VoMbvte zwischen Bier und Nettigen an das gläubige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/502>, abgerufen am 22.07.2024.