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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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werden von ihm als gleichbedeutend bezeichnet und sie sind es ja auch, wenigstens
ist das, was der Deutsche sich unter der Schule und ihrem Einfluß auf die
Volksseele denkt, absolut unvereinbar mit dem, was der jesuitisch gedrillte
Clerus Oberschlesiens in seiner überwiegenden Majorität -- die Minorität
besteht leider fast nur aus einigen ehrwürdigen Veteranen -- unter christlich
versteht. Daß wir anderen in diesem "christlich" nichts als einen ebenso
abgeschmackten, wie unsittlichen Fetischismus sehen, der mit dem Christen¬
thum und dem echten Katholicismus vor seiner jesuitischen Vergiftung nichts
weiter als den angemaßten Namen gemein hat, das kümmert diese pseudo¬
katholischen Feinde der Schule nichts, so lange sie das Gewissen ihrer Heerde
beherrschen. Ohnehin bezeigt diese, wie begreiflich, wenig Lust, die Opfer an
Zeit, Geld und Trägheit zu bringen, welche die Schule, auch wenn sie noch
so geringe Ansprüche macht, verlangen muß. Jetzt, wo der Besuch der Schule
an sich schon als eine Gefährdung des Seelenheils erscheint, kann man sich
denken, mit welcher geringen Bereitwilligkeit das irregeleitete Volk einem etwaigen
erhöhten Anspruch der Schule entgegenkommen würde. Die traurig überraschen¬
den statistischen Resultate über die Zahl der Analphabeten in Oberschlesien, welche
in den letzten Wochen nach den vorgenommenen'amtlichen Erhebungen durch die
Zeitungen mitgetheilt wurden, beweisen, daß die Arbeit der schwarzen Propa¬
ganda nach dieser Seite hin schon jetzt ihre Früchte getragen hat. Und doch
ist zu bedenken, daß diese Zahlenangaben sich nur auf die bis 1871 einge¬
stellten Recruten bezogen. Diese repräsentiren aber, wie keines Nach¬
weises bedarf, den relativ für den Schulunterricht günstigst situirter Theil
der Bevölkerung und noch dazu fallen ihre schulpflichtigen Jahre in eine
Zeit -- 10 Jahre im Durchschnitt von ihrer Gestellung -- wo das Werk der
Maulwürfe noch lange nicht die heutigen Dimensionen erreicht hatte. Im
Vergleich schon zu diesen statistischen Thatsachen muß auch der kurzsichtigste
Optimismus stutzig werden. Unsere Zeit glaubt nun einmal an Zahlen und
methodisch zusammengestellte Zahlengruppen und so ist es recht passend. daß
wir für diesen Fall solche besitzen. Aber auch ohne sie wird jeder Kenner der
oberschlesischen Volkszustände aus 'eigener Erfahrung bestätigen, daß die Ein¬
flüsse der Schule daselbst in den letzten zwanzig Jahren immer schwächer ge¬
worden sind und daß die Zahl derjenigen, die gar keine oder so gut wie gar
keine Schulbildung genossen haben, immer zu wächst.

Noch vor wenig Jahren mochte man sich gegenüber dieser auch damals
schon wahrnehmbaren Thatsache damit beruhigen, daß zwar auf dem Lande
die Schulbildung keine sichtbaren Erfolge aufzuweisen habe, daß dafür aber
in den Städten, wie Gleiwitz. Beuthen, Myslowitz, Nicolai, Pleß, Nybmk
u. s. w. desto mehr für die Schule geschehe. Dieß ist z. B. der Grundton,


GrenMei, II. 1872.

werden von ihm als gleichbedeutend bezeichnet und sie sind es ja auch, wenigstens
ist das, was der Deutsche sich unter der Schule und ihrem Einfluß auf die
Volksseele denkt, absolut unvereinbar mit dem, was der jesuitisch gedrillte
Clerus Oberschlesiens in seiner überwiegenden Majorität — die Minorität
besteht leider fast nur aus einigen ehrwürdigen Veteranen — unter christlich
versteht. Daß wir anderen in diesem „christlich" nichts als einen ebenso
abgeschmackten, wie unsittlichen Fetischismus sehen, der mit dem Christen¬
thum und dem echten Katholicismus vor seiner jesuitischen Vergiftung nichts
weiter als den angemaßten Namen gemein hat, das kümmert diese pseudo¬
katholischen Feinde der Schule nichts, so lange sie das Gewissen ihrer Heerde
beherrschen. Ohnehin bezeigt diese, wie begreiflich, wenig Lust, die Opfer an
Zeit, Geld und Trägheit zu bringen, welche die Schule, auch wenn sie noch
so geringe Ansprüche macht, verlangen muß. Jetzt, wo der Besuch der Schule
an sich schon als eine Gefährdung des Seelenheils erscheint, kann man sich
denken, mit welcher geringen Bereitwilligkeit das irregeleitete Volk einem etwaigen
erhöhten Anspruch der Schule entgegenkommen würde. Die traurig überraschen¬
den statistischen Resultate über die Zahl der Analphabeten in Oberschlesien, welche
in den letzten Wochen nach den vorgenommenen'amtlichen Erhebungen durch die
Zeitungen mitgetheilt wurden, beweisen, daß die Arbeit der schwarzen Propa¬
ganda nach dieser Seite hin schon jetzt ihre Früchte getragen hat. Und doch
ist zu bedenken, daß diese Zahlenangaben sich nur auf die bis 1871 einge¬
stellten Recruten bezogen. Diese repräsentiren aber, wie keines Nach¬
weises bedarf, den relativ für den Schulunterricht günstigst situirter Theil
der Bevölkerung und noch dazu fallen ihre schulpflichtigen Jahre in eine
Zeit — 10 Jahre im Durchschnitt von ihrer Gestellung — wo das Werk der
Maulwürfe noch lange nicht die heutigen Dimensionen erreicht hatte. Im
Vergleich schon zu diesen statistischen Thatsachen muß auch der kurzsichtigste
Optimismus stutzig werden. Unsere Zeit glaubt nun einmal an Zahlen und
methodisch zusammengestellte Zahlengruppen und so ist es recht passend. daß
wir für diesen Fall solche besitzen. Aber auch ohne sie wird jeder Kenner der
oberschlesischen Volkszustände aus 'eigener Erfahrung bestätigen, daß die Ein¬
flüsse der Schule daselbst in den letzten zwanzig Jahren immer schwächer ge¬
worden sind und daß die Zahl derjenigen, die gar keine oder so gut wie gar
keine Schulbildung genossen haben, immer zu wächst.

Noch vor wenig Jahren mochte man sich gegenüber dieser auch damals
schon wahrnehmbaren Thatsache damit beruhigen, daß zwar auf dem Lande
die Schulbildung keine sichtbaren Erfolge aufzuweisen habe, daß dafür aber
in den Städten, wie Gleiwitz. Beuthen, Myslowitz, Nicolai, Pleß, Nybmk
u. s. w. desto mehr für die Schule geschehe. Dieß ist z. B. der Grundton,


GrenMei, II. 1872.
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[0501] werden von ihm als gleichbedeutend bezeichnet und sie sind es ja auch, wenigstens ist das, was der Deutsche sich unter der Schule und ihrem Einfluß auf die Volksseele denkt, absolut unvereinbar mit dem, was der jesuitisch gedrillte Clerus Oberschlesiens in seiner überwiegenden Majorität — die Minorität besteht leider fast nur aus einigen ehrwürdigen Veteranen — unter christlich versteht. Daß wir anderen in diesem „christlich" nichts als einen ebenso abgeschmackten, wie unsittlichen Fetischismus sehen, der mit dem Christen¬ thum und dem echten Katholicismus vor seiner jesuitischen Vergiftung nichts weiter als den angemaßten Namen gemein hat, das kümmert diese pseudo¬ katholischen Feinde der Schule nichts, so lange sie das Gewissen ihrer Heerde beherrschen. Ohnehin bezeigt diese, wie begreiflich, wenig Lust, die Opfer an Zeit, Geld und Trägheit zu bringen, welche die Schule, auch wenn sie noch so geringe Ansprüche macht, verlangen muß. Jetzt, wo der Besuch der Schule an sich schon als eine Gefährdung des Seelenheils erscheint, kann man sich denken, mit welcher geringen Bereitwilligkeit das irregeleitete Volk einem etwaigen erhöhten Anspruch der Schule entgegenkommen würde. Die traurig überraschen¬ den statistischen Resultate über die Zahl der Analphabeten in Oberschlesien, welche in den letzten Wochen nach den vorgenommenen'amtlichen Erhebungen durch die Zeitungen mitgetheilt wurden, beweisen, daß die Arbeit der schwarzen Propa¬ ganda nach dieser Seite hin schon jetzt ihre Früchte getragen hat. Und doch ist zu bedenken, daß diese Zahlenangaben sich nur auf die bis 1871 einge¬ stellten Recruten bezogen. Diese repräsentiren aber, wie keines Nach¬ weises bedarf, den relativ für den Schulunterricht günstigst situirter Theil der Bevölkerung und noch dazu fallen ihre schulpflichtigen Jahre in eine Zeit — 10 Jahre im Durchschnitt von ihrer Gestellung — wo das Werk der Maulwürfe noch lange nicht die heutigen Dimensionen erreicht hatte. Im Vergleich schon zu diesen statistischen Thatsachen muß auch der kurzsichtigste Optimismus stutzig werden. Unsere Zeit glaubt nun einmal an Zahlen und methodisch zusammengestellte Zahlengruppen und so ist es recht passend. daß wir für diesen Fall solche besitzen. Aber auch ohne sie wird jeder Kenner der oberschlesischen Volkszustände aus 'eigener Erfahrung bestätigen, daß die Ein¬ flüsse der Schule daselbst in den letzten zwanzig Jahren immer schwächer ge¬ worden sind und daß die Zahl derjenigen, die gar keine oder so gut wie gar keine Schulbildung genossen haben, immer zu wächst. Noch vor wenig Jahren mochte man sich gegenüber dieser auch damals schon wahrnehmbaren Thatsache damit beruhigen, daß zwar auf dem Lande die Schulbildung keine sichtbaren Erfolge aufzuweisen habe, daß dafür aber in den Städten, wie Gleiwitz. Beuthen, Myslowitz, Nicolai, Pleß, Nybmk u. s. w. desto mehr für die Schule geschehe. Dieß ist z. B. der Grundton, GrenMei, II. 1872.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/501>, abgerufen am 22.07.2024.