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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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entlarvt hat, so hat die Astronomie auch die Schrecken des Himmelsraumes
mehr und mehr ihrer bösen Eigenschaften entkleidet, bis er deren ungefähr so
wenig mehr enthielt, als das Leipziger Rosenthal oder der Berliner Thier¬
garten Tiger oder Krokodile beherbergt.

Nichts würde gegenwärtig von unsern Sternwarten lebhafter willkommen
geheißen werden, als das Erscheinen eines recht großen Kometen, und je näher
er käme, desto mehr würde er die Astronomen zu Danke verpflichten. Denn
das Spektroskop hat mit dem Volke der sogenannten Irrsterne, welches bei¬
läufig nach Arago circa 17^/z Millionen Köpfe zählt, noch allerlei auszu¬
machen. Daß die Erde dabei Schaden leide, ist nicht zu besorgen. Halley
konnte noch glauben, daß der Komet von 1680 in Beziehung zur Sündfluth,
zur Zerstörung von Niniveh und zum trojanischen Kriege gestanden habe.
Seitdem sind wir aber klüger geworden.

Die Kometen sind allerdings keine bloßen Meteore oder vorübergehende
Himmelserscheinungen, wie Aristoteles meinte, der sie für Ausdünstungen der
Erde hielt. Sie sind vielmehr dauernde Himmelskörper wie die Planeten und
Fixsterne. Aber sie haben eine sehr geringe Dichtigkeit und Masse.
Sie sind durchsichtig, und sie bewirken keine Brechung des Lichtstrahls, selbst
in ihrem Kerne nicht. Man sah diesen über Fixsterne hinweggehen, ohne
dieselben unsichtbar zu machen oder ihre Erkennbarkeit erheblich zu schwächen.
Ueber die genauere Beschaffenheit der Masse und über die Dichtigkeit der Ko¬
meten weiß man nur, daß beide sehr klein sind, und daß namentlich die letztere
viele Tausend Male geringer sein muß, als die der dünnsten atmosphärischen
Luft. Denn trotz der ungeheuren Größe ihrer Nebelhüllen und Schweife, die
oft den Durchmesser der Sonne weit übertrifft, hat noch niemals ein Komet
auch nur die geringste Spur einer Anziehungskraft auf andere Himmelskörper
gezeigt, selbst in den Fällen nicht, wo er einem Planeten sehr nahe kam, wie
der von 1769, der sich der Erde bis auf 360,000 Meilen näherte.

Für gänzlich unmateriell darf man die Kometen freilich nicht halten;
denn sonst würden sie selbst dem Gesetze der Schwerkraft nicht unterworfen
sein, nicht in bestimmten Bahnen um die Sonne laufen und keine Störungen
von den Planeten erleiden. Dies Letztere ist vorzüglich am Lexell'schen Ko¬
meten beobachtet worden, der 1767 und 1779 dem Jupiter so nahe kam, daß
er zwischen diesem und seinen Monden hindurchging, wodurch die Bahn des
Kometen so stark verändert wurde, daß er seitdem nicht wieder zu sehen ge¬
wesen ist. Er war von dem Jupiter vierundzwanzig Mal so stark angezogen
worden als von der Sonne. Auch der Erde war er bis auf 363 ihrer Halb¬
messer auf den Leib gerückt, und hätte er deren Masse gehabt, so würde, ab¬
gesehen von andern Folgen, sich unser Jahr durch seine Einwirkung um circa
vier Stunden verlängert haben.


entlarvt hat, so hat die Astronomie auch die Schrecken des Himmelsraumes
mehr und mehr ihrer bösen Eigenschaften entkleidet, bis er deren ungefähr so
wenig mehr enthielt, als das Leipziger Rosenthal oder der Berliner Thier¬
garten Tiger oder Krokodile beherbergt.

Nichts würde gegenwärtig von unsern Sternwarten lebhafter willkommen
geheißen werden, als das Erscheinen eines recht großen Kometen, und je näher
er käme, desto mehr würde er die Astronomen zu Danke verpflichten. Denn
das Spektroskop hat mit dem Volke der sogenannten Irrsterne, welches bei¬
läufig nach Arago circa 17^/z Millionen Köpfe zählt, noch allerlei auszu¬
machen. Daß die Erde dabei Schaden leide, ist nicht zu besorgen. Halley
konnte noch glauben, daß der Komet von 1680 in Beziehung zur Sündfluth,
zur Zerstörung von Niniveh und zum trojanischen Kriege gestanden habe.
Seitdem sind wir aber klüger geworden.

Die Kometen sind allerdings keine bloßen Meteore oder vorübergehende
Himmelserscheinungen, wie Aristoteles meinte, der sie für Ausdünstungen der
Erde hielt. Sie sind vielmehr dauernde Himmelskörper wie die Planeten und
Fixsterne. Aber sie haben eine sehr geringe Dichtigkeit und Masse.
Sie sind durchsichtig, und sie bewirken keine Brechung des Lichtstrahls, selbst
in ihrem Kerne nicht. Man sah diesen über Fixsterne hinweggehen, ohne
dieselben unsichtbar zu machen oder ihre Erkennbarkeit erheblich zu schwächen.
Ueber die genauere Beschaffenheit der Masse und über die Dichtigkeit der Ko¬
meten weiß man nur, daß beide sehr klein sind, und daß namentlich die letztere
viele Tausend Male geringer sein muß, als die der dünnsten atmosphärischen
Luft. Denn trotz der ungeheuren Größe ihrer Nebelhüllen und Schweife, die
oft den Durchmesser der Sonne weit übertrifft, hat noch niemals ein Komet
auch nur die geringste Spur einer Anziehungskraft auf andere Himmelskörper
gezeigt, selbst in den Fällen nicht, wo er einem Planeten sehr nahe kam, wie
der von 1769, der sich der Erde bis auf 360,000 Meilen näherte.

Für gänzlich unmateriell darf man die Kometen freilich nicht halten;
denn sonst würden sie selbst dem Gesetze der Schwerkraft nicht unterworfen
sein, nicht in bestimmten Bahnen um die Sonne laufen und keine Störungen
von den Planeten erleiden. Dies Letztere ist vorzüglich am Lexell'schen Ko¬
meten beobachtet worden, der 1767 und 1779 dem Jupiter so nahe kam, daß
er zwischen diesem und seinen Monden hindurchging, wodurch die Bahn des
Kometen so stark verändert wurde, daß er seitdem nicht wieder zu sehen ge¬
wesen ist. Er war von dem Jupiter vierundzwanzig Mal so stark angezogen
worden als von der Sonne. Auch der Erde war er bis auf 363 ihrer Halb¬
messer auf den Leib gerückt, und hätte er deren Masse gehabt, so würde, ab¬
gesehen von andern Folgen, sich unser Jahr durch seine Einwirkung um circa
vier Stunden verlängert haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/496>, abgerufen am 22.12.2024.