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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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habe zu glauben, daß viele schwache Personen durch die Nachricht von dem
Kometen beunruhigt, und viele noch schwächere positiv krank geworden sind."

Mischen wir uns einmal unter diese Bangenden, mindestens Zweifel¬
haften, und eignen wir uns ihre Gedanken an. Betrachten wir Planta-
mour's Weissagung als wohlbegründet und unumstößlich, sei es auch nur, um
in die Prosa des Lebens eine poetische Emotion von einer Viertelstunde Dauer
zu bringen und einmal zu wissen, wie das Gruseln thut. Vielleicht gelingt
der Versuch, vielleicht auch nicht.

Der fürchterliche Leviathan hat also wirklich zum Sprung auf die Erde
angesetzt. In einigen Wochen werden wir ihn ohne Hülfe des Fernglases
am Horizont auftauchen sehen. Es ist eine leuchtende Wolke, nicht größer
als eine Kinderhand, aber sie birgt mehr Schrecken in sich, als jemals die
Menschheit bedrohte und erbeben ließ. Täglich schwillt sie, täglich wird ihr
Glanz feuriger, giftiger, unheimlicher. Nacht auf Nacht betrachten wir ihr
immer rascheres Wachsen, bis ihr Kern größer wie der Vollmond ist, und der
Schweif wie ein blutrother Regenbogen über den ganzen Himmel geht.

Zuletzt, nachdem das Ungethüm auch am Tage sichtbar geworden, über¬
strahlt es selbst die Mittagssonne, Die Luft riecht nach Schwefel- und Jod¬
dämpfen. Die Temperatur wird wärmer und wärmer, zuerst von Tage zu
Tage, dann von Stunde zu Stunde, zuletzt ist sie heißer als auf der obersten
Stufe des heißesten Gemachs eines türkischen Dampfbades.

Aber die Zeit, in der wir in Schweiß und Athemnoth noch so viel Be¬
wußtsein bewahren, um unsere entsetzliche Lage mit einiger Ruhe zu über¬
blicken, ist -- wer von draußen zusahe, würde sagen, Gott sei Dank! -- nur
kurz bemessen. Die letzte Stunde der Mutter Erde und ihrer Kinder ist da.
Die beiden großen Himmelskörper schießen aufeinander mit einer Schnelligkeit
los, mit welcher verglichen der Flug einer Kanonenkugel wie absolute Ruhe
erscheint. Der Zusammenstoß erfolgt. Ein ungeheurer Krach, ein wilder
Aufschrei um uns, und die Millionen und aber Millionen rühriger, stolzer,
empfindsamer, glücklicher und unglücklicher Zwerglein, die auf den Warzen
und um die zu Tage liegenden Adern der Erde herumkrabbelten, sind aus den
Grenzen der Existenz geschleudert, verbrannt, zermalmt, zerstäubt.

Das ist unser Schicksal, wenn wir die dem Kometen zugekehrte Seite des
Erdballs bewohnen. Halten wir uns auf der andern auf, so ergeht es uns
wenig besser. Der Stoß läßt die Berge aufhüpfen wie die Zicklein. Die
Meere und Ströme spritzen, von ihm erschüttert, gen Himmel. Alles geht
aus Rand und Band. Den Gewässern folgt das Feuer im Bauch der Erde
nach. Von allen Seiten des Horizonts her legt sich die glühende Masse des
Kometen auch um diese Hälfte des Planeten, schlägt im Zenith zusammen,
zuckt und wogt und umklammert sein Opfer wie ein riesiger Polyp, saugt es


habe zu glauben, daß viele schwache Personen durch die Nachricht von dem
Kometen beunruhigt, und viele noch schwächere positiv krank geworden sind."

Mischen wir uns einmal unter diese Bangenden, mindestens Zweifel¬
haften, und eignen wir uns ihre Gedanken an. Betrachten wir Planta-
mour's Weissagung als wohlbegründet und unumstößlich, sei es auch nur, um
in die Prosa des Lebens eine poetische Emotion von einer Viertelstunde Dauer
zu bringen und einmal zu wissen, wie das Gruseln thut. Vielleicht gelingt
der Versuch, vielleicht auch nicht.

Der fürchterliche Leviathan hat also wirklich zum Sprung auf die Erde
angesetzt. In einigen Wochen werden wir ihn ohne Hülfe des Fernglases
am Horizont auftauchen sehen. Es ist eine leuchtende Wolke, nicht größer
als eine Kinderhand, aber sie birgt mehr Schrecken in sich, als jemals die
Menschheit bedrohte und erbeben ließ. Täglich schwillt sie, täglich wird ihr
Glanz feuriger, giftiger, unheimlicher. Nacht auf Nacht betrachten wir ihr
immer rascheres Wachsen, bis ihr Kern größer wie der Vollmond ist, und der
Schweif wie ein blutrother Regenbogen über den ganzen Himmel geht.

Zuletzt, nachdem das Ungethüm auch am Tage sichtbar geworden, über¬
strahlt es selbst die Mittagssonne, Die Luft riecht nach Schwefel- und Jod¬
dämpfen. Die Temperatur wird wärmer und wärmer, zuerst von Tage zu
Tage, dann von Stunde zu Stunde, zuletzt ist sie heißer als auf der obersten
Stufe des heißesten Gemachs eines türkischen Dampfbades.

Aber die Zeit, in der wir in Schweiß und Athemnoth noch so viel Be¬
wußtsein bewahren, um unsere entsetzliche Lage mit einiger Ruhe zu über¬
blicken, ist — wer von draußen zusahe, würde sagen, Gott sei Dank! — nur
kurz bemessen. Die letzte Stunde der Mutter Erde und ihrer Kinder ist da.
Die beiden großen Himmelskörper schießen aufeinander mit einer Schnelligkeit
los, mit welcher verglichen der Flug einer Kanonenkugel wie absolute Ruhe
erscheint. Der Zusammenstoß erfolgt. Ein ungeheurer Krach, ein wilder
Aufschrei um uns, und die Millionen und aber Millionen rühriger, stolzer,
empfindsamer, glücklicher und unglücklicher Zwerglein, die auf den Warzen
und um die zu Tage liegenden Adern der Erde herumkrabbelten, sind aus den
Grenzen der Existenz geschleudert, verbrannt, zermalmt, zerstäubt.

Das ist unser Schicksal, wenn wir die dem Kometen zugekehrte Seite des
Erdballs bewohnen. Halten wir uns auf der andern auf, so ergeht es uns
wenig besser. Der Stoß läßt die Berge aufhüpfen wie die Zicklein. Die
Meere und Ströme spritzen, von ihm erschüttert, gen Himmel. Alles geht
aus Rand und Band. Den Gewässern folgt das Feuer im Bauch der Erde
nach. Von allen Seiten des Horizonts her legt sich die glühende Masse des
Kometen auch um diese Hälfte des Planeten, schlägt im Zenith zusammen,
zuckt und wogt und umklammert sein Opfer wie ein riesiger Polyp, saugt es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/492>, abgerufen am 24.08.2024.