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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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"Kahlkopf!" nachgeschrien, Gott an, ihm einen Bären zu schicken, daß er die Rangen
zur Strafe zerreiße, und schickte ihm sein Gott nicht auf der Stelle sogar zwei Stück
Bären, und wurden jene nicht etwa wirklich zerrissen?

Wer's nicht glaubt, der lese zweites Buch der Könige, zweites Capitel,
Vers dreiundzwanzig fig. Der Prophet hieß Elisa, der Ort Bethel, und der
von den Bestien erwürgten Kinder waren zweiundvierzig.

Kehren wir nun aus Judäa nach England und aus der Zeit des Pro¬
pheten Elisa in die des Propheten Plantamour zurück, so verhält sich die Sache,
von der wir die Leser unterhalten wollen, folgendermaßen.

Vor einigen Monaten, also noch nicht in der Saison der Seeschlangen,
die erst jetzt begonnen hat, brachten englische Blätter, einige vielleicht in gutem
Glauben, die Nachricht:

Ein riesiger Komet ist gegen die Erde im Anzüge. Er kommt aus den
weitesten Fernen des Raumes mit millionenfacher Kanonenkugelgeschwindigkeit
auf uns los, gerade auf uns, wie von einem Schützen geschossen, der nie das
Schwarze der Scheibe verfehlt. Am zwölften August, nicht eher, nicht später,
wird er mit der Erde zusammentreffen und sie zerscheitern, ihr Licht aus¬
putzen, wie jener Schütze mit seiner Pistolenkugel ein Jnseltlicht ausputzt. Pass,
Wisch, und die arme Menschheit ist gewesen!

Denkbar ist allerdings, daß noch in der elften Stunde ein wohlwollender
College aus der Planetenschaft, vielleicht der Saturn oder Uranus, auf denen
keine menschenähnlichen Wesen wohnen, die es somit als kinderlose Herren
eher als Andere wagen können, dem Ungeheuer in den Weg tritt und sich
opfert oder es wenigstens an sich anprallen und dadurch bei Seite fahren
läßt. Aber sicher sind wir dessen keineswegs.

Also Achtung, sich gesaßt machen, sich in die gebührende Stimmung ver¬
setzen, alle seine sieben Sachen bei sich haben, wenn das alte Erdenschiff vom
Dampfer Komet angerannt wird und sinkt, damit man sie hübsch säuberlich
ins Jenseits retten kann.

So etwa, vielleicht ein wenig ernster, vielleicht auch ein bischen leicht¬
fertiger die englischen Zeitungen, welche die Sache überhaupt der Besprechung
werth hielten. Dann Widerlegung der Plantamour'schen Ansicht von Seiten
gründlicher gehender Collegen, Nachweisung, daß kein solcher Komet im An¬
züge sei, und daß, wenn wirklich einer erscheinen sollte, er kaum so viel Un¬
bequemlichkeit im Gefolge haben würde, als ein rechtschaffener Londoner Nebel.
Viele fanden ohne Zweifel darin genügenden Trost. Da indeß die Mehrheit
der Menschen mehr auf die Lehren der Phantasie als auf die des Verstandes
zu geben gewohnt ist, so dürfen wir annehmen, daß noch jetzt nicht Wenige
ein starkes Unbehagen empfinden, wenn sie an den zwölften August denken.
Das Fachblatt "Mturk" erklärte noch vor etlichen Wochen, daß es "Grund


„Kahlkopf!" nachgeschrien, Gott an, ihm einen Bären zu schicken, daß er die Rangen
zur Strafe zerreiße, und schickte ihm sein Gott nicht auf der Stelle sogar zwei Stück
Bären, und wurden jene nicht etwa wirklich zerrissen?

Wer's nicht glaubt, der lese zweites Buch der Könige, zweites Capitel,
Vers dreiundzwanzig fig. Der Prophet hieß Elisa, der Ort Bethel, und der
von den Bestien erwürgten Kinder waren zweiundvierzig.

Kehren wir nun aus Judäa nach England und aus der Zeit des Pro¬
pheten Elisa in die des Propheten Plantamour zurück, so verhält sich die Sache,
von der wir die Leser unterhalten wollen, folgendermaßen.

Vor einigen Monaten, also noch nicht in der Saison der Seeschlangen,
die erst jetzt begonnen hat, brachten englische Blätter, einige vielleicht in gutem
Glauben, die Nachricht:

Ein riesiger Komet ist gegen die Erde im Anzüge. Er kommt aus den
weitesten Fernen des Raumes mit millionenfacher Kanonenkugelgeschwindigkeit
auf uns los, gerade auf uns, wie von einem Schützen geschossen, der nie das
Schwarze der Scheibe verfehlt. Am zwölften August, nicht eher, nicht später,
wird er mit der Erde zusammentreffen und sie zerscheitern, ihr Licht aus¬
putzen, wie jener Schütze mit seiner Pistolenkugel ein Jnseltlicht ausputzt. Pass,
Wisch, und die arme Menschheit ist gewesen!

Denkbar ist allerdings, daß noch in der elften Stunde ein wohlwollender
College aus der Planetenschaft, vielleicht der Saturn oder Uranus, auf denen
keine menschenähnlichen Wesen wohnen, die es somit als kinderlose Herren
eher als Andere wagen können, dem Ungeheuer in den Weg tritt und sich
opfert oder es wenigstens an sich anprallen und dadurch bei Seite fahren
läßt. Aber sicher sind wir dessen keineswegs.

Also Achtung, sich gesaßt machen, sich in die gebührende Stimmung ver¬
setzen, alle seine sieben Sachen bei sich haben, wenn das alte Erdenschiff vom
Dampfer Komet angerannt wird und sinkt, damit man sie hübsch säuberlich
ins Jenseits retten kann.

So etwa, vielleicht ein wenig ernster, vielleicht auch ein bischen leicht¬
fertiger die englischen Zeitungen, welche die Sache überhaupt der Besprechung
werth hielten. Dann Widerlegung der Plantamour'schen Ansicht von Seiten
gründlicher gehender Collegen, Nachweisung, daß kein solcher Komet im An¬
züge sei, und daß, wenn wirklich einer erscheinen sollte, er kaum so viel Un¬
bequemlichkeit im Gefolge haben würde, als ein rechtschaffener Londoner Nebel.
Viele fanden ohne Zweifel darin genügenden Trost. Da indeß die Mehrheit
der Menschen mehr auf die Lehren der Phantasie als auf die des Verstandes
zu geben gewohnt ist, so dürfen wir annehmen, daß noch jetzt nicht Wenige
ein starkes Unbehagen empfinden, wenn sie an den zwölften August denken.
Das Fachblatt „Mturk" erklärte noch vor etlichen Wochen, daß es „Grund


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/491>, abgerufen am 22.07.2024.