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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Was ein Weber's Schöpfungen getadelt worden ist und getadelt werden
kann, hat er nirgendwo dadurch verschuldet, daß er es mit der Kunst leicht
nahm; immer wollte er, wie im Leben, das Gute darin, ja das Beste, zu¬
weilen wohl das allzu Eigenthümliche; in vielen Fällen ist er falsch beurtheilt,
am meisten durch Mangel an eingehender Kenntnißnahme oder unrichtige
Behandlung seiner Werke.--

Wie ernster es mit der Kunst nahm, zeigen auch seine schriftstelleri¬
schen Arbeiten, welche sich theils in novellistischen Gebilden, theils als
scharfsinnige und geistvoll geschriebene Abhandlungen, auf dem Boden seiner
Kunst bewegen und überall Zeugniß ablegen von dem ernsten Streben des
Meisters, sich immer klarer zu werden über die Ziele und die Mittel seiner
schönen Kunst/)

Sollen wir schließlich C. M. v. Weber's Gesammtwirkung aus
die musikalische Kunst in kurzen Worten geben, so müssen wir sagen:
Originalität, verbunden mit tiefer Empfindun g und seltener Fantasie,
bezeichnen sein Wesen. Durch sie gewann er für Wahrheit des Aus¬
drucks in seiner reichen Melodik, in der Kühnheit seiner Harmonik durchaus
neue Formen. In seiner Jnstrumentation brach er bisher unbetretene
Bahnen, und in der Einzelwelt fast jedes Instrumentes herrschte er
als Meister. Seine Rythmen waren stets ebenso frisch als edel. -- Mit allen
diesen Eigenschaften begründete er eine neue Epoche, namentlich im musikalischen
Drama, und die Folgezeit wird nach dieser Seite hin noch lange den
Stempel seines Geistes tragen.




Der zwölfte August.

Wie aus Chile berichtet wird, macht man sich dort viel Sorge wegen der
dreitägigen Sonnenfinsterniß, die nach gewissen Prophezeiungen in den letzten
Tagen des Juli eintreten soll. In den Vereinigten Staaten ist ein Bischof
mit einem förmlichen Hirtenbriefe der Angst vor diesem Ereignisse entgegen¬
getreten. In Santiago dagegen schürt man sie von Seiten des Klerus nach
Kräften, indem von den Kanzeln herab verkündigt wird, die Zeit ohne Sonne
werde nicht blos drei Tage, sondern eine ganze Woche dauern. Der kleine
Mann und die Weiblein versehen sich daher fleißig mit geweihten Kerzen, die
in der bösen dunkeln Woche die einzige Lichtquelle bilden werden. Desgleichen
kaufen sie eifrig ein für diese Gelegenheit von einem heiligen Manne ver-



") Wo diese schriftstellerischen Arbeiten im Druck erschienen sind, ist bereits oben in der
Note Mi?, 490 mitgetheilt.

Was ein Weber's Schöpfungen getadelt worden ist und getadelt werden
kann, hat er nirgendwo dadurch verschuldet, daß er es mit der Kunst leicht
nahm; immer wollte er, wie im Leben, das Gute darin, ja das Beste, zu¬
weilen wohl das allzu Eigenthümliche; in vielen Fällen ist er falsch beurtheilt,
am meisten durch Mangel an eingehender Kenntnißnahme oder unrichtige
Behandlung seiner Werke.--

Wie ernster es mit der Kunst nahm, zeigen auch seine schriftstelleri¬
schen Arbeiten, welche sich theils in novellistischen Gebilden, theils als
scharfsinnige und geistvoll geschriebene Abhandlungen, auf dem Boden seiner
Kunst bewegen und überall Zeugniß ablegen von dem ernsten Streben des
Meisters, sich immer klarer zu werden über die Ziele und die Mittel seiner
schönen Kunst/)

Sollen wir schließlich C. M. v. Weber's Gesammtwirkung aus
die musikalische Kunst in kurzen Worten geben, so müssen wir sagen:
Originalität, verbunden mit tiefer Empfindun g und seltener Fantasie,
bezeichnen sein Wesen. Durch sie gewann er für Wahrheit des Aus¬
drucks in seiner reichen Melodik, in der Kühnheit seiner Harmonik durchaus
neue Formen. In seiner Jnstrumentation brach er bisher unbetretene
Bahnen, und in der Einzelwelt fast jedes Instrumentes herrschte er
als Meister. Seine Rythmen waren stets ebenso frisch als edel. — Mit allen
diesen Eigenschaften begründete er eine neue Epoche, namentlich im musikalischen
Drama, und die Folgezeit wird nach dieser Seite hin noch lange den
Stempel seines Geistes tragen.




Der zwölfte August.

Wie aus Chile berichtet wird, macht man sich dort viel Sorge wegen der
dreitägigen Sonnenfinsterniß, die nach gewissen Prophezeiungen in den letzten
Tagen des Juli eintreten soll. In den Vereinigten Staaten ist ein Bischof
mit einem förmlichen Hirtenbriefe der Angst vor diesem Ereignisse entgegen¬
getreten. In Santiago dagegen schürt man sie von Seiten des Klerus nach
Kräften, indem von den Kanzeln herab verkündigt wird, die Zeit ohne Sonne
werde nicht blos drei Tage, sondern eine ganze Woche dauern. Der kleine
Mann und die Weiblein versehen sich daher fleißig mit geweihten Kerzen, die
in der bösen dunkeln Woche die einzige Lichtquelle bilden werden. Desgleichen
kaufen sie eifrig ein für diese Gelegenheit von einem heiligen Manne ver-



") Wo diese schriftstellerischen Arbeiten im Druck erschienen sind, ist bereits oben in der
Note Mi?, 490 mitgetheilt.
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[0489] Was ein Weber's Schöpfungen getadelt worden ist und getadelt werden kann, hat er nirgendwo dadurch verschuldet, daß er es mit der Kunst leicht nahm; immer wollte er, wie im Leben, das Gute darin, ja das Beste, zu¬ weilen wohl das allzu Eigenthümliche; in vielen Fällen ist er falsch beurtheilt, am meisten durch Mangel an eingehender Kenntnißnahme oder unrichtige Behandlung seiner Werke.-- Wie ernster es mit der Kunst nahm, zeigen auch seine schriftstelleri¬ schen Arbeiten, welche sich theils in novellistischen Gebilden, theils als scharfsinnige und geistvoll geschriebene Abhandlungen, auf dem Boden seiner Kunst bewegen und überall Zeugniß ablegen von dem ernsten Streben des Meisters, sich immer klarer zu werden über die Ziele und die Mittel seiner schönen Kunst/) Sollen wir schließlich C. M. v. Weber's Gesammtwirkung aus die musikalische Kunst in kurzen Worten geben, so müssen wir sagen: Originalität, verbunden mit tiefer Empfindun g und seltener Fantasie, bezeichnen sein Wesen. Durch sie gewann er für Wahrheit des Aus¬ drucks in seiner reichen Melodik, in der Kühnheit seiner Harmonik durchaus neue Formen. In seiner Jnstrumentation brach er bisher unbetretene Bahnen, und in der Einzelwelt fast jedes Instrumentes herrschte er als Meister. Seine Rythmen waren stets ebenso frisch als edel. — Mit allen diesen Eigenschaften begründete er eine neue Epoche, namentlich im musikalischen Drama, und die Folgezeit wird nach dieser Seite hin noch lange den Stempel seines Geistes tragen. Der zwölfte August. Wie aus Chile berichtet wird, macht man sich dort viel Sorge wegen der dreitägigen Sonnenfinsterniß, die nach gewissen Prophezeiungen in den letzten Tagen des Juli eintreten soll. In den Vereinigten Staaten ist ein Bischof mit einem förmlichen Hirtenbriefe der Angst vor diesem Ereignisse entgegen¬ getreten. In Santiago dagegen schürt man sie von Seiten des Klerus nach Kräften, indem von den Kanzeln herab verkündigt wird, die Zeit ohne Sonne werde nicht blos drei Tage, sondern eine ganze Woche dauern. Der kleine Mann und die Weiblein versehen sich daher fleißig mit geweihten Kerzen, die in der bösen dunkeln Woche die einzige Lichtquelle bilden werden. Desgleichen kaufen sie eifrig ein für diese Gelegenheit von einem heiligen Manne ver- ") Wo diese schriftstellerischen Arbeiten im Druck erschienen sind, ist bereits oben in der Note Mi?, 490 mitgetheilt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/489>, abgerufen am 22.12.2024.