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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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allen Theatern Deutschlands nicht nur begeisterte Hörer zu sich versammelt,
sondern über Deutschland hinaus fast die ganze civilisirte musikalische Welt
mit ungeschwächter Wirkung fesselt. Der Erfolg des "Freischütz" bei seiner
ersten Aufführung in Berlin am 18. Juni 1821 war ein beispielloser, nie da¬
gewesener, vom Palast bis zur Hütte gleich groß. -- Nicht nur, daß der
Freischütz als die deutscheste aller Opern erkannt wurde, man empfand
auch, wie durch ihn zugleich die romantische Oper erst wahrhaft begründet
worden, und zwar in edelster, vollkommenster und allgemein verständlicher
Weise. Das war der Grund seines Fluges um den Erdball! Denn ist es
nicht ein solcher, wenn wir unter den Punkten, wohin seine Weisen notorisch
gedrungen sind (um nur die äußersten Grenzen seiner Verbreitung anzudeu¬
ten), neben Berlin noch nennen Wien, Paris, London, Se. Petersburg,
Moskau, Stockholm, Mailand, Rom, Neapel, New-Orleans, Valdivia (Chile),
Sidney (Ost-Australien), Orkadische Inseln und Hudsons-Bai? -- Daß der
Freischütz aufs Tiefste den deutschen Geist berührt, das ist seine vornehmste
Eigenschaft; und wo fände sich dieser Geist nicht, sei es auch noch so fern,
diesseits und jenseit des Oceans; denn er ist der Geist der Wahrheit, der
Einfachheit und Tiefe! -- -- Weit entfernt, von solchem Erfolge in die
Bahnen unseliger Selbstüberschätzung geschleudert zu werden, kehrte Weber
freudig dankbar in sein bescheidenes Heim zurück, ja er empfand es schmerzlich,
daß gerade durch den großen, Spontini's Eifersucht scharf erregenden Erfolg
nun jede Aussicht geschwunden war, neben diesem Manne in Berlin die von
ihm so lange schon ersehnte Stellung unter seinem gütigen Freunde und Be¬
schützer, dem verständnißvollen General-Intendanten Grafen Brühl zu gewin¬
nen. -- Kaum wieder in Dresden, wendete Weber sich sofort zur Weiter¬
führung der Composition der Pinto's; aber wieder forderte schon der Sep¬
tember zum Geburtsfest der Schwägerin seines Königs, der Prinzessin Amalie
von Zweibrücken, eine ziemlich umfangreiche Cantate, die am 26. aufgeführt
wurde, und so wurde die Arbeit an den Pinto's unterbrochen. In diese Zeit
fällt die Erhöhung seines bisherigen Gehaltes von 1500 Thlrn. um jährlich
300 Thaler.

Unterdeß hatte in Wien der Freischütz eingeschlagen und gezündet, und
so erhielt Weber, in Folge deß, schon am 13. November 1821 durch Barbaja,
den Pächter des dortigen kaiserlichen Kärnthnerthor-Theaters, die förmliche
Aufforderung, eine neue Oper für dasselbe zu schreiben. Unter einer nam¬
haften Anzahl von Opern-Süjets wählte der Meister nach längerer Erwägung
schließlich das von Helmina von Chezy ihm vorgeschlagene: "Euryanthe."
Schnell zwar ging Helmina an die dichterische Ausführung des Werkes; aber
obwohl sie den ersten Act Weber'n schon am 15. December vorlegte, so erfolgte
doch der vollständige Abschluß des Buches erst sehr viel später und nachdem


allen Theatern Deutschlands nicht nur begeisterte Hörer zu sich versammelt,
sondern über Deutschland hinaus fast die ganze civilisirte musikalische Welt
mit ungeschwächter Wirkung fesselt. Der Erfolg des „Freischütz" bei seiner
ersten Aufführung in Berlin am 18. Juni 1821 war ein beispielloser, nie da¬
gewesener, vom Palast bis zur Hütte gleich groß. — Nicht nur, daß der
Freischütz als die deutscheste aller Opern erkannt wurde, man empfand
auch, wie durch ihn zugleich die romantische Oper erst wahrhaft begründet
worden, und zwar in edelster, vollkommenster und allgemein verständlicher
Weise. Das war der Grund seines Fluges um den Erdball! Denn ist es
nicht ein solcher, wenn wir unter den Punkten, wohin seine Weisen notorisch
gedrungen sind (um nur die äußersten Grenzen seiner Verbreitung anzudeu¬
ten), neben Berlin noch nennen Wien, Paris, London, Se. Petersburg,
Moskau, Stockholm, Mailand, Rom, Neapel, New-Orleans, Valdivia (Chile),
Sidney (Ost-Australien), Orkadische Inseln und Hudsons-Bai? — Daß der
Freischütz aufs Tiefste den deutschen Geist berührt, das ist seine vornehmste
Eigenschaft; und wo fände sich dieser Geist nicht, sei es auch noch so fern,
diesseits und jenseit des Oceans; denn er ist der Geist der Wahrheit, der
Einfachheit und Tiefe! — — Weit entfernt, von solchem Erfolge in die
Bahnen unseliger Selbstüberschätzung geschleudert zu werden, kehrte Weber
freudig dankbar in sein bescheidenes Heim zurück, ja er empfand es schmerzlich,
daß gerade durch den großen, Spontini's Eifersucht scharf erregenden Erfolg
nun jede Aussicht geschwunden war, neben diesem Manne in Berlin die von
ihm so lange schon ersehnte Stellung unter seinem gütigen Freunde und Be¬
schützer, dem verständnißvollen General-Intendanten Grafen Brühl zu gewin¬
nen. — Kaum wieder in Dresden, wendete Weber sich sofort zur Weiter¬
führung der Composition der Pinto's; aber wieder forderte schon der Sep¬
tember zum Geburtsfest der Schwägerin seines Königs, der Prinzessin Amalie
von Zweibrücken, eine ziemlich umfangreiche Cantate, die am 26. aufgeführt
wurde, und so wurde die Arbeit an den Pinto's unterbrochen. In diese Zeit
fällt die Erhöhung seines bisherigen Gehaltes von 1500 Thlrn. um jährlich
300 Thaler.

Unterdeß hatte in Wien der Freischütz eingeschlagen und gezündet, und
so erhielt Weber, in Folge deß, schon am 13. November 1821 durch Barbaja,
den Pächter des dortigen kaiserlichen Kärnthnerthor-Theaters, die förmliche
Aufforderung, eine neue Oper für dasselbe zu schreiben. Unter einer nam¬
haften Anzahl von Opern-Süjets wählte der Meister nach längerer Erwägung
schließlich das von Helmina von Chezy ihm vorgeschlagene: „Euryanthe."
Schnell zwar ging Helmina an die dichterische Ausführung des Werkes; aber
obwohl sie den ersten Act Weber'n schon am 15. December vorlegte, so erfolgte
doch der vollständige Abschluß des Buches erst sehr viel später und nachdem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/478>, abgerufen am 22.07.2024.