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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Bekanntlich hatte der preußische Landtag nach Erledigung seiner dies¬
maligen Berathungsgegenstände im Abgeordnetenhaus, während das Herren¬
haus auf den Bericht seiner Commission über die Kreisordnung wartete, die
Wiederaufnahme der Sitzungen den Präsidenten seiner beiden Häuser über¬
lassen. Auf den 6. Juni hatte der Präsident von Forkenbeck eine Sitzung des
Abgeordnetenhauses angesetzt. Es ist zwischen Mitgliedern beider Häuser des
Landtags und mit der preußischen Staatsregierung eine Verständigung er¬
folgt, die Vertagung des Landtags bis zum 21. October durch gemeinsamen
Antrag beider Häuser herbeizuführen. Denn die Regierung allein kann den
Landtag nur auf 30 Tage vertagen. Damit dieser Bertagungsantrag einge¬
bracht werden könne, war das Abgeordnetenhaus auf den 6. Juni von seinem
Präsidenten zusammenberufen worden. Die Sitzung gab außerdem Gelegen¬
heit zur Einbringung einer Jnterpellation des Abgeordneten Virchow. ob die
Staatsregierung im Rechte gewesen, die Verwaltung der Thierarzneischulen
vom Cultusministerium auf das landwirtschaftliche Ministerium zu über¬
tragen. Interpellant meint, Paragraph 109 der preußischen Verfassung, nach
welchem alle Bestimmungen der bestehenden Gesetzbücher, einzelnen Gesetze und
Verordnungen, welche der Verfassung nicht zuwiderlaufen, in Kraft bleiben,
bis sie durch ein Gesetz abgeändert worden, hätte die Uebertragung auf dem
bloßen Verwaltungswege verbieten müssen.

Wir unsrerseits sind der Ansicht, daß der Artikel 109 nur solche Verord¬
nungen meint, welche im Sinne des älteren absolutistischen Staatsrechts gleich¬
bedeutend waren mit Gesetzen. Der Artikel 109 kann aber nicht bezogen
werden auf das durch die Verfassung nicht aufgehobene königliche Verordnungs¬
recht, welches diejenigen Angelegenheiten regelt, die nicht ihrer Natur nach
Gesetzesstoff sind. Es entsteht die Frage, ob die Organisation der Verwal¬
tung, die Eintheilung der Verwaltungsgegenstände an die verschiedenen Be¬
hörden nach dem jetzigen Staatsrecht Gegenstand der Gesetzgebung ist oder
Gegenstand der königlichen Verordnungsgewalt, v. Rönne weist in seinem
bekannten Werk über das preußische Staatsrecht das Letztere nach, nur mit
dem Vorbehalt, daß wenn die vom Könige getroffenen Verwältungs-Ein¬
richtungen neue Kosten verursachen, diese erst vom Landtag bewilligt werden
müssen. Um solche Kosten handelt es sich nun im vorliegenden Falle nicht.
Der Minister v. Selchow stellte sich denn auch auf den Standpunkt v. Rönne's
und wurde darin vom Cultusminister fecundirt.


0 --r.


Bekanntlich hatte der preußische Landtag nach Erledigung seiner dies¬
maligen Berathungsgegenstände im Abgeordnetenhaus, während das Herren¬
haus auf den Bericht seiner Commission über die Kreisordnung wartete, die
Wiederaufnahme der Sitzungen den Präsidenten seiner beiden Häuser über¬
lassen. Auf den 6. Juni hatte der Präsident von Forkenbeck eine Sitzung des
Abgeordnetenhauses angesetzt. Es ist zwischen Mitgliedern beider Häuser des
Landtags und mit der preußischen Staatsregierung eine Verständigung er¬
folgt, die Vertagung des Landtags bis zum 21. October durch gemeinsamen
Antrag beider Häuser herbeizuführen. Denn die Regierung allein kann den
Landtag nur auf 30 Tage vertagen. Damit dieser Bertagungsantrag einge¬
bracht werden könne, war das Abgeordnetenhaus auf den 6. Juni von seinem
Präsidenten zusammenberufen worden. Die Sitzung gab außerdem Gelegen¬
heit zur Einbringung einer Jnterpellation des Abgeordneten Virchow. ob die
Staatsregierung im Rechte gewesen, die Verwaltung der Thierarzneischulen
vom Cultusministerium auf das landwirtschaftliche Ministerium zu über¬
tragen. Interpellant meint, Paragraph 109 der preußischen Verfassung, nach
welchem alle Bestimmungen der bestehenden Gesetzbücher, einzelnen Gesetze und
Verordnungen, welche der Verfassung nicht zuwiderlaufen, in Kraft bleiben,
bis sie durch ein Gesetz abgeändert worden, hätte die Uebertragung auf dem
bloßen Verwaltungswege verbieten müssen.

Wir unsrerseits sind der Ansicht, daß der Artikel 109 nur solche Verord¬
nungen meint, welche im Sinne des älteren absolutistischen Staatsrechts gleich¬
bedeutend waren mit Gesetzen. Der Artikel 109 kann aber nicht bezogen
werden auf das durch die Verfassung nicht aufgehobene königliche Verordnungs¬
recht, welches diejenigen Angelegenheiten regelt, die nicht ihrer Natur nach
Gesetzesstoff sind. Es entsteht die Frage, ob die Organisation der Verwal¬
tung, die Eintheilung der Verwaltungsgegenstände an die verschiedenen Be¬
hörden nach dem jetzigen Staatsrecht Gegenstand der Gesetzgebung ist oder
Gegenstand der königlichen Verordnungsgewalt, v. Rönne weist in seinem
bekannten Werk über das preußische Staatsrecht das Letztere nach, nur mit
dem Vorbehalt, daß wenn die vom Könige getroffenen Verwältungs-Ein¬
richtungen neue Kosten verursachen, diese erst vom Landtag bewilligt werden
müssen. Um solche Kosten handelt es sich nun im vorliegenden Falle nicht.
Der Minister v. Selchow stellte sich denn auch auf den Standpunkt v. Rönne's
und wurde darin vom Cultusminister fecundirt.


0 —r.


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[0472] Bekanntlich hatte der preußische Landtag nach Erledigung seiner dies¬ maligen Berathungsgegenstände im Abgeordnetenhaus, während das Herren¬ haus auf den Bericht seiner Commission über die Kreisordnung wartete, die Wiederaufnahme der Sitzungen den Präsidenten seiner beiden Häuser über¬ lassen. Auf den 6. Juni hatte der Präsident von Forkenbeck eine Sitzung des Abgeordnetenhauses angesetzt. Es ist zwischen Mitgliedern beider Häuser des Landtags und mit der preußischen Staatsregierung eine Verständigung er¬ folgt, die Vertagung des Landtags bis zum 21. October durch gemeinsamen Antrag beider Häuser herbeizuführen. Denn die Regierung allein kann den Landtag nur auf 30 Tage vertagen. Damit dieser Bertagungsantrag einge¬ bracht werden könne, war das Abgeordnetenhaus auf den 6. Juni von seinem Präsidenten zusammenberufen worden. Die Sitzung gab außerdem Gelegen¬ heit zur Einbringung einer Jnterpellation des Abgeordneten Virchow. ob die Staatsregierung im Rechte gewesen, die Verwaltung der Thierarzneischulen vom Cultusministerium auf das landwirtschaftliche Ministerium zu über¬ tragen. Interpellant meint, Paragraph 109 der preußischen Verfassung, nach welchem alle Bestimmungen der bestehenden Gesetzbücher, einzelnen Gesetze und Verordnungen, welche der Verfassung nicht zuwiderlaufen, in Kraft bleiben, bis sie durch ein Gesetz abgeändert worden, hätte die Uebertragung auf dem bloßen Verwaltungswege verbieten müssen. Wir unsrerseits sind der Ansicht, daß der Artikel 109 nur solche Verord¬ nungen meint, welche im Sinne des älteren absolutistischen Staatsrechts gleich¬ bedeutend waren mit Gesetzen. Der Artikel 109 kann aber nicht bezogen werden auf das durch die Verfassung nicht aufgehobene königliche Verordnungs¬ recht, welches diejenigen Angelegenheiten regelt, die nicht ihrer Natur nach Gesetzesstoff sind. Es entsteht die Frage, ob die Organisation der Verwal¬ tung, die Eintheilung der Verwaltungsgegenstände an die verschiedenen Be¬ hörden nach dem jetzigen Staatsrecht Gegenstand der Gesetzgebung ist oder Gegenstand der königlichen Verordnungsgewalt, v. Rönne weist in seinem bekannten Werk über das preußische Staatsrecht das Letztere nach, nur mit dem Vorbehalt, daß wenn die vom Könige getroffenen Verwältungs-Ein¬ richtungen neue Kosten verursachen, diese erst vom Landtag bewilligt werden müssen. Um solche Kosten handelt es sich nun im vorliegenden Falle nicht. Der Minister v. Selchow stellte sich denn auch auf den Standpunkt v. Rönne's und wurde darin vom Cultusminister fecundirt. 0 —r.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/472>, abgerufen am 24.08.2024.