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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Verbindungen der Commune mit den Preußen, diese Andeutungen über den
Haß und das Mißtrauen, das zwischen Preußen und seinen Verbündeten
herrschen soll -- das sind also noch immer die kindlichen Ammenmärchen, mit
denen sich die große Nation zum Trost für ihre schmerzlichen Niederlagen die
Zeit vertreibt. Wenn solche Fabeln in den gewöhnlichen Tagesblättern immer von
Neuem wieder aufgetischt wurden und noch werden, so ist dies begreiflich und
verzeihlich. Wenn aber selbst die Revue ach üeux ivonäes, die wenigstens
früher als der Sammelplatz der ersten Schriftsteller Frankreichs galt, mit
Vorliebe in dieses Fahrwasser treibt, so ist dies leider ein neuer Beweis, wie
weit es selbst mit den gebildeten Kreisen des geistreichen Volkes gekommen ist.
Der deutsche Leser, wenn er auch zunächst über diese Thorheiten nur aus
vollem Herzen lacht, wird sich bei ernsterem Nachdenken eines gewissen Mit¬
leides nicht erwehren können. Denn es tritt ihm in großer Stärke die
Wahrheit des Urtheils vor die Seele, das der Verfasser der Novelle selbst
irgendwo kurz und bündig mit den Worten ausspricht:

"Es ist ein bemerkenswerther Zug revolutionärer Zeiten,
daß sich der Sinn für die Wahrheit verliert; man betrügt die
andern und man betrügt sich schließlich selbst. Man lügt und
wird zuletzt zum Gimpel, der an seine eigenen Lügen glaubt!


Dr. Adolf Müller.


Dom deutschen Keichstag und vom preußischen Landtag.

Am 3. Juni stand im Reichstag der Abschnitt des Reichshaushaltes über
die Zölle und die gemeinsamen Verbrauchssteuern zur zweiten Berathung.
Zu den gemeinsamen Verbrauchssteuern gehört bekanntlich die Salzsteuer, und
so kam es hier zur entscheidenden Abstimmung über den früher erwähnten
Antrag Hoverbeck auf Herabsetzung der Salzsteuer vom 1. Januar 1873 an.
Der Antrag wurde abgelehnt, ebenso ein anderer Antrag auf gänzliche Auf¬
hebung der Salzsteuer vom, 1. Januar 1873 an, und ein dritter aus Ersetzung
der Salzsteuer vom 1. Januar 1874 an durch Erweiterung der Tabakssteuer
und Hinzuziehung gewisser Stempelsteuern zu den Reichseinnahmen. Da¬
gegen wurde eine Resolution Hoverbeck angenommen, daß die Aufhebung der
Salzsteuer als Forderung einer gesunden Finanzpolitik durchzuführen sei, so¬
bald die Finanzlage es gestattet.

Am 4. Juni wurde der Antrag Hoverbeck auf Beseitigung des zweiten
Alinea des Artikel 28 der Reichsverfassung in zweiter Lesung angenommen.
Das Alinea bestimmt, wie man sich erinnert, die Nichttheilncchme der in


Verbindungen der Commune mit den Preußen, diese Andeutungen über den
Haß und das Mißtrauen, das zwischen Preußen und seinen Verbündeten
herrschen soll — das sind also noch immer die kindlichen Ammenmärchen, mit
denen sich die große Nation zum Trost für ihre schmerzlichen Niederlagen die
Zeit vertreibt. Wenn solche Fabeln in den gewöhnlichen Tagesblättern immer von
Neuem wieder aufgetischt wurden und noch werden, so ist dies begreiflich und
verzeihlich. Wenn aber selbst die Revue ach üeux ivonäes, die wenigstens
früher als der Sammelplatz der ersten Schriftsteller Frankreichs galt, mit
Vorliebe in dieses Fahrwasser treibt, so ist dies leider ein neuer Beweis, wie
weit es selbst mit den gebildeten Kreisen des geistreichen Volkes gekommen ist.
Der deutsche Leser, wenn er auch zunächst über diese Thorheiten nur aus
vollem Herzen lacht, wird sich bei ernsterem Nachdenken eines gewissen Mit¬
leides nicht erwehren können. Denn es tritt ihm in großer Stärke die
Wahrheit des Urtheils vor die Seele, das der Verfasser der Novelle selbst
irgendwo kurz und bündig mit den Worten ausspricht:

„Es ist ein bemerkenswerther Zug revolutionärer Zeiten,
daß sich der Sinn für die Wahrheit verliert; man betrügt die
andern und man betrügt sich schließlich selbst. Man lügt und
wird zuletzt zum Gimpel, der an seine eigenen Lügen glaubt!


Dr. Adolf Müller.


Dom deutschen Keichstag und vom preußischen Landtag.

Am 3. Juni stand im Reichstag der Abschnitt des Reichshaushaltes über
die Zölle und die gemeinsamen Verbrauchssteuern zur zweiten Berathung.
Zu den gemeinsamen Verbrauchssteuern gehört bekanntlich die Salzsteuer, und
so kam es hier zur entscheidenden Abstimmung über den früher erwähnten
Antrag Hoverbeck auf Herabsetzung der Salzsteuer vom 1. Januar 1873 an.
Der Antrag wurde abgelehnt, ebenso ein anderer Antrag auf gänzliche Auf¬
hebung der Salzsteuer vom, 1. Januar 1873 an, und ein dritter aus Ersetzung
der Salzsteuer vom 1. Januar 1874 an durch Erweiterung der Tabakssteuer
und Hinzuziehung gewisser Stempelsteuern zu den Reichseinnahmen. Da¬
gegen wurde eine Resolution Hoverbeck angenommen, daß die Aufhebung der
Salzsteuer als Forderung einer gesunden Finanzpolitik durchzuführen sei, so¬
bald die Finanzlage es gestattet.

Am 4. Juni wurde der Antrag Hoverbeck auf Beseitigung des zweiten
Alinea des Artikel 28 der Reichsverfassung in zweiter Lesung angenommen.
Das Alinea bestimmt, wie man sich erinnert, die Nichttheilncchme der in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/468>, abgerufen am 22.12.2024.