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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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welche ihn bisher abgewiesen hatte, schickte ihm soeben durch den letzten
Courier den Brautring mit einem zärtlichen Brief." ^-

Großer Stephan! Also nicht nur ganze Ausstattungen hat Deine Feld¬
post aus Frankreich nach Deutschland geschafft, Du hast es Dich sogar nicht
der Mühe verdrießen lassen, dem Herrn Professor Sabrina ein echtes fran¬
zösisches Piano als Beutestück nach Berlin zu liefern!

In einem Briefe vom 2. October meldet Hermann, daß er mit dem
Major Hummel und drei Kameraden bei einer alten Dame einquartiert sei,
die nur zwei Enkel, einen Knaben und ein Mädchen, bei sich habe. "Das
Mädchen, eine Blondine von 7--8 Jahren, ist wunderschön; sie blieb den
ganzen Tag auf einem Stuhl sitzen und hielt in ihren Armen eine hübsche
blonde Puppe, wie sich Lieschen eine wünscht. So oft einer von uns ihr
nahe kam, schauderte sie; ich ergötzte mich an ihrer Angst. -- Wenn Du mir
einen Kuß geben wolltest, sagte ich zu ihr, so würde ich Dir Deine Puppe
nicht wegnehmen. -- Sie sah mich ängstlich an. Es war merkwürdig. den
Kampf zu beobachten, der sich in ihrer Seele zwischen der Liebe zu ihrer Puppe
und dem Haß gegen den Preußen entspann. Ihre zitternden Händchen strei¬
chelten fieberhaft die blonde Perrücke ihrer Puppe, ihre Wangen wurden ab¬
wechselnd blaß und roth. Endlich jedoch faßte sie ihren Entschluß und hielt
mir beherzt die Wange hin. In dem Augenblick, als ich mich bückte, um sie
zu küssen, hatte sie. ich weiß nicht wie es zuging, ihre beiden Hände auf ein¬
mal in meinem Gesicht, und ich bekam ganz unverhofft eine tüchtige Ohr¬
feige; darauf lief sie schluchzend fort. Der Haß war stärker gewesen als die
Liebe. Zwar nahm sie ihre Puppe mit, aber der Sergeant Jacob hat sie ihr
aus der Hand gerissen, und den Kopf an der Wand zerschmettert, um den
französischen Kindern Respect vor den deutschen Soldaten beizubringen. --
Lieschen braucht sich darüber nicht, zu grämen; in Paris giebt es andere
Puppen."

Wenn aber der Sergeant Jacob diesen Act der Strenge noch einiger¬
maßen mit pädagogischen Gründen rechtfertigen könnte, so enthüllt doch der
Herr Professor das wahre Motiv der deutschen Zerstörungswuth im Allge¬
meinen durch folgende Betrachtung: "Leider kennt man", schreibt er noch in
demselben Briefe, "an den Ufern der Spree weder diese Eleganz, noch diesen
Reichthum, noch dieses bequeme und volle Leben, und doch müssen wir gerade
darauf unsere Wünsche richten. . . . Wenn ich an unsere mühselige Armuth,
an unsere so beschränkte und so unsichere Existenz, an unsere mageren Gast¬
mähler denke, und wenn ich dann hier meine Blicke umherschweifen lasse und
diese herrlichen Dörfer, diese fürstlichen Wohnungen sehe, dann fühle ich in
mir einen Sturm des Zornes und der Entrüstung sich erheben, und ich denke,
daß man den unverschämten Wohlstand dieser Leute nicht hart genug strafen


welche ihn bisher abgewiesen hatte, schickte ihm soeben durch den letzten
Courier den Brautring mit einem zärtlichen Brief." ^-

Großer Stephan! Also nicht nur ganze Ausstattungen hat Deine Feld¬
post aus Frankreich nach Deutschland geschafft, Du hast es Dich sogar nicht
der Mühe verdrießen lassen, dem Herrn Professor Sabrina ein echtes fran¬
zösisches Piano als Beutestück nach Berlin zu liefern!

In einem Briefe vom 2. October meldet Hermann, daß er mit dem
Major Hummel und drei Kameraden bei einer alten Dame einquartiert sei,
die nur zwei Enkel, einen Knaben und ein Mädchen, bei sich habe. „Das
Mädchen, eine Blondine von 7—8 Jahren, ist wunderschön; sie blieb den
ganzen Tag auf einem Stuhl sitzen und hielt in ihren Armen eine hübsche
blonde Puppe, wie sich Lieschen eine wünscht. So oft einer von uns ihr
nahe kam, schauderte sie; ich ergötzte mich an ihrer Angst. — Wenn Du mir
einen Kuß geben wolltest, sagte ich zu ihr, so würde ich Dir Deine Puppe
nicht wegnehmen. — Sie sah mich ängstlich an. Es war merkwürdig. den
Kampf zu beobachten, der sich in ihrer Seele zwischen der Liebe zu ihrer Puppe
und dem Haß gegen den Preußen entspann. Ihre zitternden Händchen strei¬
chelten fieberhaft die blonde Perrücke ihrer Puppe, ihre Wangen wurden ab¬
wechselnd blaß und roth. Endlich jedoch faßte sie ihren Entschluß und hielt
mir beherzt die Wange hin. In dem Augenblick, als ich mich bückte, um sie
zu küssen, hatte sie. ich weiß nicht wie es zuging, ihre beiden Hände auf ein¬
mal in meinem Gesicht, und ich bekam ganz unverhofft eine tüchtige Ohr¬
feige; darauf lief sie schluchzend fort. Der Haß war stärker gewesen als die
Liebe. Zwar nahm sie ihre Puppe mit, aber der Sergeant Jacob hat sie ihr
aus der Hand gerissen, und den Kopf an der Wand zerschmettert, um den
französischen Kindern Respect vor den deutschen Soldaten beizubringen. —
Lieschen braucht sich darüber nicht, zu grämen; in Paris giebt es andere
Puppen."

Wenn aber der Sergeant Jacob diesen Act der Strenge noch einiger¬
maßen mit pädagogischen Gründen rechtfertigen könnte, so enthüllt doch der
Herr Professor das wahre Motiv der deutschen Zerstörungswuth im Allge¬
meinen durch folgende Betrachtung: „Leider kennt man", schreibt er noch in
demselben Briefe, „an den Ufern der Spree weder diese Eleganz, noch diesen
Reichthum, noch dieses bequeme und volle Leben, und doch müssen wir gerade
darauf unsere Wünsche richten. . . . Wenn ich an unsere mühselige Armuth,
an unsere so beschränkte und so unsichere Existenz, an unsere mageren Gast¬
mähler denke, und wenn ich dann hier meine Blicke umherschweifen lasse und
diese herrlichen Dörfer, diese fürstlichen Wohnungen sehe, dann fühle ich in
mir einen Sturm des Zornes und der Entrüstung sich erheben, und ich denke,
daß man den unverschämten Wohlstand dieser Leute nicht hart genug strafen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/463>, abgerufen am 22.07.2024.