Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ist es gerade der Standpunkt jener Rede, auf den sich der deutsche Staat und
mit ihm die öffentliche Meinung besinnt, und dadurch eine der folgenreichsten
Wendungen unserer Geschichte einleitet.

Es ist bekannt, wie das Abgeordnetenhaus von 1858 im Februar 1860
jene Militärvorlage erhielt, welche für die innere und äußere Entwickelung
Preußens gleich wichtig geworden ist. Gneist äußerte privatim: seinen Wider¬
stand gegen die Beseitigung oder Zurückdrängung der Landwehr hätten die
Minister voraussehen können. Da aber die neue Heeresformation mit Zu¬
stimmung der Negierung einen provisorischen Charakter erhielt und durch die
auswärtigen Verhältnisse überwiegend motivirt wurde, so widersetzte sich Gneist
diesem Provisorium nicht, und auch nicht als dasselbe 1861 noch einmal auf
ein Jahr festgestellt wurde. Dafür erhielt das Abgeordnetenhaus bei den
Neuwahlen von 1861 von der als Fortschrittspartei wieder auf den Schau¬
platz tretenden Demokratie die Censur, daß es seiner Aufgabe nicht gewachsen
gewesen. Gneist, der das Provisorium mit herbeigeführt, wurde einstweilen
nicht wieder gewählt. Als aber das Abgeordnetenhaus von 1861 schon im
März 1862 noch von dem liberalen Ministerium unmittelbar vor dessen Rück¬
tritt aufgelöst wurde, erhielt Gneist bei den Neuwahlen ein Mandat durch
den Kreis Mansfeld.

Die Militärfrage lag jetzt anders. Von einem Provisorium konnte nicht
mehr die Rede sein, sondern nur von der Zustimmung zu einer bleibenden Ma߬
regel. Diese Zustimmung wollte Gneist nicht geben und er wurde während
der nun beginnenden Conflictszeit der geistige Führer der Opposition im Ab¬
geordnetenhause und im Lande gegen die Umänderung der Heeresverfassung.
Er erlangte diese Führerschaft durch das Uebergewicht seines Talentes, noch
mehr aber durch das Uebergewicht seines Glaubens. Wie gegen den Aber¬
glauben die Freigeisterei sich wohl empört, aber nur der Glaube stegreich ist,
so widerstrebte der vergrößerten Heereslast in Preußen die Unlust der Gesell¬
schaft zu erhöhten Opfern an den Staat. Aber der Angstschrei des Egois¬
mus, der immer thut oder auch meint, als ginge es ihm an die Existenz,
wenn er eine ungewohnte Last zu fühlen bekommt, macht wenig Eindruck, so
laut er ist. Nur der Glaube an sittliche Güter und ihre Bedrohung giebt
der Vertheidigung die Energie zum ernsten Kampfe und, wenn es sein soll,
zum Siege. Ein solcher Glaube kann aber auch irrig sein. Gneist fand
durch die Umänderung der preußischen Heerverfassung die Landwehr bedroht,
und er sah in der Landwehr eine Institution vom höchsten sittlich politischen
Werth. Es ist die erste Forderung seiner Staatslehre, daß die großen Staats¬
einrichtungen auf Gesetzen ruhen und durch Gesetze verbürgt sind. Er glaubte
nachweisen zu können, daß das preußische Heerwesen nicht blos in Betreff der
Verpflichtung zum Kriegsdienst, sondern auch in Betreff der Einteilung der


ist es gerade der Standpunkt jener Rede, auf den sich der deutsche Staat und
mit ihm die öffentliche Meinung besinnt, und dadurch eine der folgenreichsten
Wendungen unserer Geschichte einleitet.

Es ist bekannt, wie das Abgeordnetenhaus von 1858 im Februar 1860
jene Militärvorlage erhielt, welche für die innere und äußere Entwickelung
Preußens gleich wichtig geworden ist. Gneist äußerte privatim: seinen Wider¬
stand gegen die Beseitigung oder Zurückdrängung der Landwehr hätten die
Minister voraussehen können. Da aber die neue Heeresformation mit Zu¬
stimmung der Negierung einen provisorischen Charakter erhielt und durch die
auswärtigen Verhältnisse überwiegend motivirt wurde, so widersetzte sich Gneist
diesem Provisorium nicht, und auch nicht als dasselbe 1861 noch einmal auf
ein Jahr festgestellt wurde. Dafür erhielt das Abgeordnetenhaus bei den
Neuwahlen von 1861 von der als Fortschrittspartei wieder auf den Schau¬
platz tretenden Demokratie die Censur, daß es seiner Aufgabe nicht gewachsen
gewesen. Gneist, der das Provisorium mit herbeigeführt, wurde einstweilen
nicht wieder gewählt. Als aber das Abgeordnetenhaus von 1861 schon im
März 1862 noch von dem liberalen Ministerium unmittelbar vor dessen Rück¬
tritt aufgelöst wurde, erhielt Gneist bei den Neuwahlen ein Mandat durch
den Kreis Mansfeld.

Die Militärfrage lag jetzt anders. Von einem Provisorium konnte nicht
mehr die Rede sein, sondern nur von der Zustimmung zu einer bleibenden Ma߬
regel. Diese Zustimmung wollte Gneist nicht geben und er wurde während
der nun beginnenden Conflictszeit der geistige Führer der Opposition im Ab¬
geordnetenhause und im Lande gegen die Umänderung der Heeresverfassung.
Er erlangte diese Führerschaft durch das Uebergewicht seines Talentes, noch
mehr aber durch das Uebergewicht seines Glaubens. Wie gegen den Aber¬
glauben die Freigeisterei sich wohl empört, aber nur der Glaube stegreich ist,
so widerstrebte der vergrößerten Heereslast in Preußen die Unlust der Gesell¬
schaft zu erhöhten Opfern an den Staat. Aber der Angstschrei des Egois¬
mus, der immer thut oder auch meint, als ginge es ihm an die Existenz,
wenn er eine ungewohnte Last zu fühlen bekommt, macht wenig Eindruck, so
laut er ist. Nur der Glaube an sittliche Güter und ihre Bedrohung giebt
der Vertheidigung die Energie zum ernsten Kampfe und, wenn es sein soll,
zum Siege. Ein solcher Glaube kann aber auch irrig sein. Gneist fand
durch die Umänderung der preußischen Heerverfassung die Landwehr bedroht,
und er sah in der Landwehr eine Institution vom höchsten sittlich politischen
Werth. Es ist die erste Forderung seiner Staatslehre, daß die großen Staats¬
einrichtungen auf Gesetzen ruhen und durch Gesetze verbürgt sind. Er glaubte
nachweisen zu können, daß das preußische Heerwesen nicht blos in Betreff der
Verpflichtung zum Kriegsdienst, sondern auch in Betreff der Einteilung der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0458" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127866"/>
          <p xml:id="ID_1481" prev="#ID_1480"> ist es gerade der Standpunkt jener Rede, auf den sich der deutsche Staat und<lb/>
mit ihm die öffentliche Meinung besinnt, und dadurch eine der folgenreichsten<lb/>
Wendungen unserer Geschichte einleitet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1482"> Es ist bekannt, wie das Abgeordnetenhaus von 1858 im Februar 1860<lb/>
jene Militärvorlage erhielt, welche für die innere und äußere Entwickelung<lb/>
Preußens gleich wichtig geworden ist. Gneist äußerte privatim: seinen Wider¬<lb/>
stand gegen die Beseitigung oder Zurückdrängung der Landwehr hätten die<lb/>
Minister voraussehen können. Da aber die neue Heeresformation mit Zu¬<lb/>
stimmung der Negierung einen provisorischen Charakter erhielt und durch die<lb/>
auswärtigen Verhältnisse überwiegend motivirt wurde, so widersetzte sich Gneist<lb/>
diesem Provisorium nicht, und auch nicht als dasselbe 1861 noch einmal auf<lb/>
ein Jahr festgestellt wurde. Dafür erhielt das Abgeordnetenhaus bei den<lb/>
Neuwahlen von 1861 von der als Fortschrittspartei wieder auf den Schau¬<lb/>
platz tretenden Demokratie die Censur, daß es seiner Aufgabe nicht gewachsen<lb/>
gewesen. Gneist, der das Provisorium mit herbeigeführt, wurde einstweilen<lb/>
nicht wieder gewählt. Als aber das Abgeordnetenhaus von 1861 schon im<lb/>
März 1862 noch von dem liberalen Ministerium unmittelbar vor dessen Rück¬<lb/>
tritt aufgelöst wurde, erhielt Gneist bei den Neuwahlen ein Mandat durch<lb/>
den Kreis Mansfeld.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1483" next="#ID_1484"> Die Militärfrage lag jetzt anders. Von einem Provisorium konnte nicht<lb/>
mehr die Rede sein, sondern nur von der Zustimmung zu einer bleibenden Ma߬<lb/>
regel. Diese Zustimmung wollte Gneist nicht geben und er wurde während<lb/>
der nun beginnenden Conflictszeit der geistige Führer der Opposition im Ab¬<lb/>
geordnetenhause und im Lande gegen die Umänderung der Heeresverfassung.<lb/>
Er erlangte diese Führerschaft durch das Uebergewicht seines Talentes, noch<lb/>
mehr aber durch das Uebergewicht seines Glaubens. Wie gegen den Aber¬<lb/>
glauben die Freigeisterei sich wohl empört, aber nur der Glaube stegreich ist,<lb/>
so widerstrebte der vergrößerten Heereslast in Preußen die Unlust der Gesell¬<lb/>
schaft zu erhöhten Opfern an den Staat. Aber der Angstschrei des Egois¬<lb/>
mus, der immer thut oder auch meint, als ginge es ihm an die Existenz,<lb/>
wenn er eine ungewohnte Last zu fühlen bekommt, macht wenig Eindruck, so<lb/>
laut er ist. Nur der Glaube an sittliche Güter und ihre Bedrohung giebt<lb/>
der Vertheidigung die Energie zum ernsten Kampfe und, wenn es sein soll,<lb/>
zum Siege. Ein solcher Glaube kann aber auch irrig sein. Gneist fand<lb/>
durch die Umänderung der preußischen Heerverfassung die Landwehr bedroht,<lb/>
und er sah in der Landwehr eine Institution vom höchsten sittlich politischen<lb/>
Werth. Es ist die erste Forderung seiner Staatslehre, daß die großen Staats¬<lb/>
einrichtungen auf Gesetzen ruhen und durch Gesetze verbürgt sind. Er glaubte<lb/>
nachweisen zu können, daß das preußische Heerwesen nicht blos in Betreff der<lb/>
Verpflichtung zum Kriegsdienst, sondern auch in Betreff der Einteilung der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0458] ist es gerade der Standpunkt jener Rede, auf den sich der deutsche Staat und mit ihm die öffentliche Meinung besinnt, und dadurch eine der folgenreichsten Wendungen unserer Geschichte einleitet. Es ist bekannt, wie das Abgeordnetenhaus von 1858 im Februar 1860 jene Militärvorlage erhielt, welche für die innere und äußere Entwickelung Preußens gleich wichtig geworden ist. Gneist äußerte privatim: seinen Wider¬ stand gegen die Beseitigung oder Zurückdrängung der Landwehr hätten die Minister voraussehen können. Da aber die neue Heeresformation mit Zu¬ stimmung der Negierung einen provisorischen Charakter erhielt und durch die auswärtigen Verhältnisse überwiegend motivirt wurde, so widersetzte sich Gneist diesem Provisorium nicht, und auch nicht als dasselbe 1861 noch einmal auf ein Jahr festgestellt wurde. Dafür erhielt das Abgeordnetenhaus bei den Neuwahlen von 1861 von der als Fortschrittspartei wieder auf den Schau¬ platz tretenden Demokratie die Censur, daß es seiner Aufgabe nicht gewachsen gewesen. Gneist, der das Provisorium mit herbeigeführt, wurde einstweilen nicht wieder gewählt. Als aber das Abgeordnetenhaus von 1861 schon im März 1862 noch von dem liberalen Ministerium unmittelbar vor dessen Rück¬ tritt aufgelöst wurde, erhielt Gneist bei den Neuwahlen ein Mandat durch den Kreis Mansfeld. Die Militärfrage lag jetzt anders. Von einem Provisorium konnte nicht mehr die Rede sein, sondern nur von der Zustimmung zu einer bleibenden Ma߬ regel. Diese Zustimmung wollte Gneist nicht geben und er wurde während der nun beginnenden Conflictszeit der geistige Führer der Opposition im Ab¬ geordnetenhause und im Lande gegen die Umänderung der Heeresverfassung. Er erlangte diese Führerschaft durch das Uebergewicht seines Talentes, noch mehr aber durch das Uebergewicht seines Glaubens. Wie gegen den Aber¬ glauben die Freigeisterei sich wohl empört, aber nur der Glaube stegreich ist, so widerstrebte der vergrößerten Heereslast in Preußen die Unlust der Gesell¬ schaft zu erhöhten Opfern an den Staat. Aber der Angstschrei des Egois¬ mus, der immer thut oder auch meint, als ginge es ihm an die Existenz, wenn er eine ungewohnte Last zu fühlen bekommt, macht wenig Eindruck, so laut er ist. Nur der Glaube an sittliche Güter und ihre Bedrohung giebt der Vertheidigung die Energie zum ernsten Kampfe und, wenn es sein soll, zum Siege. Ein solcher Glaube kann aber auch irrig sein. Gneist fand durch die Umänderung der preußischen Heerverfassung die Landwehr bedroht, und er sah in der Landwehr eine Institution vom höchsten sittlich politischen Werth. Es ist die erste Forderung seiner Staatslehre, daß die großen Staats¬ einrichtungen auf Gesetzen ruhen und durch Gesetze verbürgt sind. Er glaubte nachweisen zu können, daß das preußische Heerwesen nicht blos in Betreff der Verpflichtung zum Kriegsdienst, sondern auch in Betreff der Einteilung der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/458
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/458>, abgerufen am 22.07.2024.