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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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und Ritterschaft in England", der Vorläufer jener Studien über englisches
Staatsrecht, denen sich nun Gneist mit immer intensiverem Eindringen und
immer breiterer Durchforschung des Stoffes zuwendete. Der Grundgedanke
der späteren ausgeführten Werke zeigt sich hier schon im Keim. Merkwürdig
genug erweckte dieser Gedanke, der die vernichtende Widerlegung des romantischen
Ständethums ist. in der ersten undurchgebildeten Andeutung beifällige Auf¬
merksamkeit am Hofe Friedrich Wilhelm IV. Es war davon die Rede, Gneist
zur Verfolgung seiner englischen Studien an Ort und Stelle in den Stand
zu setzen und zu beauftragen. Es kam zu diesem Auftrag nicht, vermuthlich
weil die Barrikade von 1848 wieder hervorgeholt wurde. Gneist hat dann,
wie wir glauben, bis zu diesem Jahr regelmäßig seinen Ferienaufenthalt
lediglich aus eigenem Auftrage in England genommen, und das ist der Sache
am vortheilhaftesten gewesen. Im Jahre 1857 erschien endlich unter dem Titel
"Geschichte und heutige Gestalt der Aemter in England", der erste Band eines
großen Werkes, welches das ganze öffentliche Recht Englands umfassen sollte.
1860 folgte der zweite Theil unter dem Titel: "die englische Communalver-
fassung und Communalverwaltung", 1863 erschien zu dem zweiten Theil ein
Ergänzungsband "die Geschichte des Selfgovernment in England bis zum
Ende des 18. Jahrhunderts". Noch in demselben Jahr erschien vom zweiten
Theil eine umgearbeitete Auflage in zwei Bänden, in welcher die Geschichte
und die heutige Gestalt der englischen Communalverfassung in einander ge¬
arbeitet waren. 1867 kam eine ebenfalls zweibändige Auflage des ersten
Theils, deren erster Band die Geschichte der königlichen Aemter oder des
Organismus der Centrälverwaltung darlegte, während der zweite Band die
heutige Gestalt dieser Aemter beschrieb. Beide Theile haben 1872 bereits eine
dritte Auflage erlebt. Dagegen steht der dritte Theil des Werkes, welcher
das Parlament, seine Geschichte, sein Verfahren und seine Stellung im Staats¬
organismus darlegen soll, noch immer aus. Indeß ist durch die beiden ersten
Theile die neue Anschauung vom Grundriß des englischen Staatsbaues so
deutlich gegeben, daß die Gestalt der Spitze nicht mehr zu verkennen ist, auch
wenn wir den ausgeführten Riß gar nicht erhalten sollten. Der bedeutungs¬
volle Aufschluß, den wir Gneist verdanken, liegt in der klargelegten Beschaffen¬
heit des doppelten Organismus der englischen Aemter, des Organismus der
Centrälverwaltung einerseits, des Organismus der Localverwaltung an¬
dererseits. Der Aufschluß liegt vor allem in der Erkenntniß, warum
die Localverwaltung das ist, was die Engländer Selfgovernment nennen;
welchen Einfluß dieses Selfgovernment auf den gegenüberstehenden Orga¬
nismus der Centrälverwaltung, auf die Natur des ganzen Staates und
auf die Gliederung wie auf .den sittlichen Charakter der Gesellschaft hat.
Im Gegensatz zu den auf dem Continent seit dem 18. Jahrhundert herrschen-


und Ritterschaft in England", der Vorläufer jener Studien über englisches
Staatsrecht, denen sich nun Gneist mit immer intensiverem Eindringen und
immer breiterer Durchforschung des Stoffes zuwendete. Der Grundgedanke
der späteren ausgeführten Werke zeigt sich hier schon im Keim. Merkwürdig
genug erweckte dieser Gedanke, der die vernichtende Widerlegung des romantischen
Ständethums ist. in der ersten undurchgebildeten Andeutung beifällige Auf¬
merksamkeit am Hofe Friedrich Wilhelm IV. Es war davon die Rede, Gneist
zur Verfolgung seiner englischen Studien an Ort und Stelle in den Stand
zu setzen und zu beauftragen. Es kam zu diesem Auftrag nicht, vermuthlich
weil die Barrikade von 1848 wieder hervorgeholt wurde. Gneist hat dann,
wie wir glauben, bis zu diesem Jahr regelmäßig seinen Ferienaufenthalt
lediglich aus eigenem Auftrage in England genommen, und das ist der Sache
am vortheilhaftesten gewesen. Im Jahre 1857 erschien endlich unter dem Titel
„Geschichte und heutige Gestalt der Aemter in England", der erste Band eines
großen Werkes, welches das ganze öffentliche Recht Englands umfassen sollte.
1860 folgte der zweite Theil unter dem Titel: „die englische Communalver-
fassung und Communalverwaltung", 1863 erschien zu dem zweiten Theil ein
Ergänzungsband „die Geschichte des Selfgovernment in England bis zum
Ende des 18. Jahrhunderts". Noch in demselben Jahr erschien vom zweiten
Theil eine umgearbeitete Auflage in zwei Bänden, in welcher die Geschichte
und die heutige Gestalt der englischen Communalverfassung in einander ge¬
arbeitet waren. 1867 kam eine ebenfalls zweibändige Auflage des ersten
Theils, deren erster Band die Geschichte der königlichen Aemter oder des
Organismus der Centrälverwaltung darlegte, während der zweite Band die
heutige Gestalt dieser Aemter beschrieb. Beide Theile haben 1872 bereits eine
dritte Auflage erlebt. Dagegen steht der dritte Theil des Werkes, welcher
das Parlament, seine Geschichte, sein Verfahren und seine Stellung im Staats¬
organismus darlegen soll, noch immer aus. Indeß ist durch die beiden ersten
Theile die neue Anschauung vom Grundriß des englischen Staatsbaues so
deutlich gegeben, daß die Gestalt der Spitze nicht mehr zu verkennen ist, auch
wenn wir den ausgeführten Riß gar nicht erhalten sollten. Der bedeutungs¬
volle Aufschluß, den wir Gneist verdanken, liegt in der klargelegten Beschaffen¬
heit des doppelten Organismus der englischen Aemter, des Organismus der
Centrälverwaltung einerseits, des Organismus der Localverwaltung an¬
dererseits. Der Aufschluß liegt vor allem in der Erkenntniß, warum
die Localverwaltung das ist, was die Engländer Selfgovernment nennen;
welchen Einfluß dieses Selfgovernment auf den gegenüberstehenden Orga¬
nismus der Centrälverwaltung, auf die Natur des ganzen Staates und
auf die Gliederung wie auf .den sittlichen Charakter der Gesellschaft hat.
Im Gegensatz zu den auf dem Continent seit dem 18. Jahrhundert herrschen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/456>, abgerufen am 23.12.2024.