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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Selbstlosigkeit darf nicht unerwähnt bleiben, daß er, bei dieser verhältnißmäßig
großen Anzahl einstudirter Werke, nicht eine seiner eignen Opern zur
Aufführung gebracht hatte.

Die Förderung des anerkannt Besten in jedem Genre war sein Ziel
gewesen und hieß ihn selbst zurücktreten. Jenes zu beschützen schien ihm
um so nothwendiger, als Zeitgeschmack und Laune des Publicums ihm ohne¬
dies genug Unbedeutendes aufnöthigten. So konnte denn Weber mit der
Empfindung vollster Pflichterfüllung Prag verlassen und, wenn auch in
seinen anfänglichen Erwartungen getäuscht, zugleich die Ueberzeugung mit sich
hinwegnehmen, manches verständnißvolle und ihm ergebene Herz zurückzu¬
lassen. -- Am 13. Oetober kam Weber zum zweiten Male in diesem Jahre
in Berlin an, um im Hause seines Freundes Lichtenstein vorläufig ganz der
Composition zu leben. Aber am 19. November verlobte er sich dort mit
Carolina Brandt, einer vorzüglichen Sängerin und Schauspielerin im
Fache des naiven, einer selten geistvollen und liebenswerthen Persönlichkeit,
die als Mitglied der Prager Bühne schon lange seine Neigung gefesselt hatte
und eben jetzt am Berliner Hoftheater eine Reihe von Gastvorstellungen gab.
-- Die Jahre 1813 bis 16, in denen Weber fast ausschließlich an Prag ge¬
bunden war, brachten, trotz seiner vielen Amtsgeschäfte, dennoch eine verhält¬
nißmäßig namhafte Anzahl von musikalischen Schöpfungen zur Reife. Als
Hervorragendstes ist zu nennen: Aus dem Jahre 1813, dem dienstlich schwersten:
Das ^klü^lito und Rondo onF-irLSö für Fagott, und die vier schönen Lieder
Ur. 2--S im op. 30. -- Aus dem Jahre 1814: Die schon genannten 10
Kriegslieder aus "Leyer und Schwert." -- Aus 1815: Pft.-Variationen über
"Schöne Minka", zwei große italienische Concert-Arien op. 51 und 52, Quin¬
tett für obligates Clarinett mit Streich-Instrumenten, und "Kampf und
Sieg." -- Aus 1816: Die unvergleichliche, glänz- und fantasievolle große
Pfte.-Sonate Ur. 2 in ^s, den charakteristischen Gesänge-Cyklus "Die
vier Temperamente beim Verluste der Geliebten", das große Duo evneertant
für Pfte. und Clarinett, und die dämonische großartige Pfte.-Sonate
Ur. 3 in v. --

Waren die Jahre 1810 bis 1816 für Weber wichtig geworden, so daß
man sie füglich seine zweite Lebensepoche nennen konnte, so begann mit
dem Jahre 1817 nun recht eigentlich seine dritte und letzte; sie war die
ereignißreichste, in ihren äußeren Erfolgen die bei Weitem glänzendste und
auch für die musikalische Kunst und ihre Förderung durch Weber die bedeu¬
tendste.

Am 13. Januar 1817 kam Weber zur Uebernahme seiner Stellung als
königlich sächsischer Capellmeister nach Dresden. Seine Amtsfunctionen
waren mannigfache, und wenn die Zahl derselben schon nicht klein war, so


Selbstlosigkeit darf nicht unerwähnt bleiben, daß er, bei dieser verhältnißmäßig
großen Anzahl einstudirter Werke, nicht eine seiner eignen Opern zur
Aufführung gebracht hatte.

Die Förderung des anerkannt Besten in jedem Genre war sein Ziel
gewesen und hieß ihn selbst zurücktreten. Jenes zu beschützen schien ihm
um so nothwendiger, als Zeitgeschmack und Laune des Publicums ihm ohne¬
dies genug Unbedeutendes aufnöthigten. So konnte denn Weber mit der
Empfindung vollster Pflichterfüllung Prag verlassen und, wenn auch in
seinen anfänglichen Erwartungen getäuscht, zugleich die Ueberzeugung mit sich
hinwegnehmen, manches verständnißvolle und ihm ergebene Herz zurückzu¬
lassen. — Am 13. Oetober kam Weber zum zweiten Male in diesem Jahre
in Berlin an, um im Hause seines Freundes Lichtenstein vorläufig ganz der
Composition zu leben. Aber am 19. November verlobte er sich dort mit
Carolina Brandt, einer vorzüglichen Sängerin und Schauspielerin im
Fache des naiven, einer selten geistvollen und liebenswerthen Persönlichkeit,
die als Mitglied der Prager Bühne schon lange seine Neigung gefesselt hatte
und eben jetzt am Berliner Hoftheater eine Reihe von Gastvorstellungen gab.
— Die Jahre 1813 bis 16, in denen Weber fast ausschließlich an Prag ge¬
bunden war, brachten, trotz seiner vielen Amtsgeschäfte, dennoch eine verhält¬
nißmäßig namhafte Anzahl von musikalischen Schöpfungen zur Reife. Als
Hervorragendstes ist zu nennen: Aus dem Jahre 1813, dem dienstlich schwersten:
Das ^klü^lito und Rondo onF-irLSö für Fagott, und die vier schönen Lieder
Ur. 2—S im op. 30. — Aus dem Jahre 1814: Die schon genannten 10
Kriegslieder aus „Leyer und Schwert." — Aus 1815: Pft.-Variationen über
„Schöne Minka", zwei große italienische Concert-Arien op. 51 und 52, Quin¬
tett für obligates Clarinett mit Streich-Instrumenten, und „Kampf und
Sieg." — Aus 1816: Die unvergleichliche, glänz- und fantasievolle große
Pfte.-Sonate Ur. 2 in ^s, den charakteristischen Gesänge-Cyklus „Die
vier Temperamente beim Verluste der Geliebten", das große Duo evneertant
für Pfte. und Clarinett, und die dämonische großartige Pfte.-Sonate
Ur. 3 in v. —

Waren die Jahre 1810 bis 1816 für Weber wichtig geworden, so daß
man sie füglich seine zweite Lebensepoche nennen konnte, so begann mit
dem Jahre 1817 nun recht eigentlich seine dritte und letzte; sie war die
ereignißreichste, in ihren äußeren Erfolgen die bei Weitem glänzendste und
auch für die musikalische Kunst und ihre Förderung durch Weber die bedeu¬
tendste.

Am 13. Januar 1817 kam Weber zur Uebernahme seiner Stellung als
königlich sächsischer Capellmeister nach Dresden. Seine Amtsfunctionen
waren mannigfache, und wenn die Zahl derselben schon nicht klein war, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/446>, abgerufen am 23.07.2024.