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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Handel von 1867 rückgängig wurde, obwohl er zur Verhinderung nichts
beitrug.

Wir haben ein vollständiges Eisenbahnnetz, was zugleich dem Durchgangs¬
verkehr unserer Nachbarländer dient. Das Terrain sämmtlicher Eisenbahnen
gehört einer Gesellschaft, die sich Wilhelm-Luxemburg nennt, der Betrieb aber
war in den Händen der französischen Ostbahn-Gesellschaft, Unser Land hätte
die Betriebsmittel nimmermehr aufgebracht, und die Anschaffung eines beson¬
deren Betriebsmaterials für diese kurzen Strecken wäre auch eine Verschwen¬
dung sondergleichen gewesen. Nun erinnert sich der Leser abermals, daß im
Jahre 1869 die französische Ostbahn-Gesellschaft einen Theil des belgischen
Eisenbahnnetzes ankaufen wollte, wogegen sich die belgische Regierung durch
ein eigenes Gesetz schützte. Der Unterschied zwischen beiden Fällen springt in
die Augen. Unser Land hatte keinen selbständigen Eisenbahnbetrieb wie
Belgien. In Belgien war die Betriebsübernahme durch eine französische Ge¬
sellschaft in der That der Schritt zu einer französischen Annexion. Wir be¬
fanden uns bei der Entstehung unseres Eisenbahnnetzes unter dem Schutz der
preußischen Kanonen in der Festung Luxemburg und später unter dem Schutz
einer europäischen Gesammtbürgschaft, die allerdings Belgien auch nicht ent¬
behrte. Allein der Uebergang belgischer Bahnen in französischen Betrieb hätte
den von Frankreich abhängig gemachten Interessen nach und nach eine
Schwere gegeben, gegen welche die europäische Bürgschaft weit mehr Aufmerk¬
samkeit und Kraft hätte entfalten müssen, als gegen die Anfalltendenz,/ die in
unserem Ländchen, allerdings nicht zur Förderung der Ruhe und Sicherheit,
erzeugt wurde.

Die europäische Bürgschaft reichte nicht aus, um die Ostbahn-Gesellschaft
zu verhindern, während des deutsch-französischen Krieges durch unser Land
heimlich mehr als einen Proviantzug nach der französischen Festung Dieden-
hofen zu expediren. Darüber beschwerte sich Fürst Bismarck in einer bekann¬
ten Note, und stritte Neutralität wurde fortan bei uns die Losung, in welche
Ultramontane, Franzosenfreunde und aufrichtige Anhänger des status puo
einstimmten.

Durch den Frieden zu Frankfurt ging das Eigenthum der französischen
Ostbahn auf nunmehr deutschem Boden in die Hände einer deutschen Betriebs-
Commission über. In demselben Frieden ward stipulirt, daß die französische
Ostbahn-Gesellschaft den Betrieb des luxemburgischen Bahnnetzes an die
deutsche Betriebscommission in Elsaß-Lothringen abtreten sollte.

Unsere Ultramontanen waren sehr erbaut, als d?r Betrieb unseres Eisen¬
bahnnetzes in französischen Händen war. Jetzt bieten sie Alles auf, denselben
Betrieb nicht in deutsche Hände gelangen zu lassen, weil damit die Unab¬
hängigkeit und Neutralität unseres Großherzogthums verletzt werde, Warum


Handel von 1867 rückgängig wurde, obwohl er zur Verhinderung nichts
beitrug.

Wir haben ein vollständiges Eisenbahnnetz, was zugleich dem Durchgangs¬
verkehr unserer Nachbarländer dient. Das Terrain sämmtlicher Eisenbahnen
gehört einer Gesellschaft, die sich Wilhelm-Luxemburg nennt, der Betrieb aber
war in den Händen der französischen Ostbahn-Gesellschaft, Unser Land hätte
die Betriebsmittel nimmermehr aufgebracht, und die Anschaffung eines beson¬
deren Betriebsmaterials für diese kurzen Strecken wäre auch eine Verschwen¬
dung sondergleichen gewesen. Nun erinnert sich der Leser abermals, daß im
Jahre 1869 die französische Ostbahn-Gesellschaft einen Theil des belgischen
Eisenbahnnetzes ankaufen wollte, wogegen sich die belgische Regierung durch
ein eigenes Gesetz schützte. Der Unterschied zwischen beiden Fällen springt in
die Augen. Unser Land hatte keinen selbständigen Eisenbahnbetrieb wie
Belgien. In Belgien war die Betriebsübernahme durch eine französische Ge¬
sellschaft in der That der Schritt zu einer französischen Annexion. Wir be¬
fanden uns bei der Entstehung unseres Eisenbahnnetzes unter dem Schutz der
preußischen Kanonen in der Festung Luxemburg und später unter dem Schutz
einer europäischen Gesammtbürgschaft, die allerdings Belgien auch nicht ent¬
behrte. Allein der Uebergang belgischer Bahnen in französischen Betrieb hätte
den von Frankreich abhängig gemachten Interessen nach und nach eine
Schwere gegeben, gegen welche die europäische Bürgschaft weit mehr Aufmerk¬
samkeit und Kraft hätte entfalten müssen, als gegen die Anfalltendenz,/ die in
unserem Ländchen, allerdings nicht zur Förderung der Ruhe und Sicherheit,
erzeugt wurde.

Die europäische Bürgschaft reichte nicht aus, um die Ostbahn-Gesellschaft
zu verhindern, während des deutsch-französischen Krieges durch unser Land
heimlich mehr als einen Proviantzug nach der französischen Festung Dieden-
hofen zu expediren. Darüber beschwerte sich Fürst Bismarck in einer bekann¬
ten Note, und stritte Neutralität wurde fortan bei uns die Losung, in welche
Ultramontane, Franzosenfreunde und aufrichtige Anhänger des status puo
einstimmten.

Durch den Frieden zu Frankfurt ging das Eigenthum der französischen
Ostbahn auf nunmehr deutschem Boden in die Hände einer deutschen Betriebs-
Commission über. In demselben Frieden ward stipulirt, daß die französische
Ostbahn-Gesellschaft den Betrieb des luxemburgischen Bahnnetzes an die
deutsche Betriebscommission in Elsaß-Lothringen abtreten sollte.

Unsere Ultramontanen waren sehr erbaut, als d?r Betrieb unseres Eisen¬
bahnnetzes in französischen Händen war. Jetzt bieten sie Alles auf, denselben
Betrieb nicht in deutsche Hände gelangen zu lassen, weil damit die Unab¬
hängigkeit und Neutralität unseres Großherzogthums verletzt werde, Warum


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[0043] Handel von 1867 rückgängig wurde, obwohl er zur Verhinderung nichts beitrug. Wir haben ein vollständiges Eisenbahnnetz, was zugleich dem Durchgangs¬ verkehr unserer Nachbarländer dient. Das Terrain sämmtlicher Eisenbahnen gehört einer Gesellschaft, die sich Wilhelm-Luxemburg nennt, der Betrieb aber war in den Händen der französischen Ostbahn-Gesellschaft, Unser Land hätte die Betriebsmittel nimmermehr aufgebracht, und die Anschaffung eines beson¬ deren Betriebsmaterials für diese kurzen Strecken wäre auch eine Verschwen¬ dung sondergleichen gewesen. Nun erinnert sich der Leser abermals, daß im Jahre 1869 die französische Ostbahn-Gesellschaft einen Theil des belgischen Eisenbahnnetzes ankaufen wollte, wogegen sich die belgische Regierung durch ein eigenes Gesetz schützte. Der Unterschied zwischen beiden Fällen springt in die Augen. Unser Land hatte keinen selbständigen Eisenbahnbetrieb wie Belgien. In Belgien war die Betriebsübernahme durch eine französische Ge¬ sellschaft in der That der Schritt zu einer französischen Annexion. Wir be¬ fanden uns bei der Entstehung unseres Eisenbahnnetzes unter dem Schutz der preußischen Kanonen in der Festung Luxemburg und später unter dem Schutz einer europäischen Gesammtbürgschaft, die allerdings Belgien auch nicht ent¬ behrte. Allein der Uebergang belgischer Bahnen in französischen Betrieb hätte den von Frankreich abhängig gemachten Interessen nach und nach eine Schwere gegeben, gegen welche die europäische Bürgschaft weit mehr Aufmerk¬ samkeit und Kraft hätte entfalten müssen, als gegen die Anfalltendenz,/ die in unserem Ländchen, allerdings nicht zur Förderung der Ruhe und Sicherheit, erzeugt wurde. Die europäische Bürgschaft reichte nicht aus, um die Ostbahn-Gesellschaft zu verhindern, während des deutsch-französischen Krieges durch unser Land heimlich mehr als einen Proviantzug nach der französischen Festung Dieden- hofen zu expediren. Darüber beschwerte sich Fürst Bismarck in einer bekann¬ ten Note, und stritte Neutralität wurde fortan bei uns die Losung, in welche Ultramontane, Franzosenfreunde und aufrichtige Anhänger des status puo einstimmten. Durch den Frieden zu Frankfurt ging das Eigenthum der französischen Ostbahn auf nunmehr deutschem Boden in die Hände einer deutschen Betriebs- Commission über. In demselben Frieden ward stipulirt, daß die französische Ostbahn-Gesellschaft den Betrieb des luxemburgischen Bahnnetzes an die deutsche Betriebscommission in Elsaß-Lothringen abtreten sollte. Unsere Ultramontanen waren sehr erbaut, als d?r Betrieb unseres Eisen¬ bahnnetzes in französischen Händen war. Jetzt bieten sie Alles auf, denselben Betrieb nicht in deutsche Hände gelangen zu lassen, weil damit die Unab¬ hängigkeit und Neutralität unseres Großherzogthums verletzt werde, Warum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/43>, abgerufen am 22.07.2024.