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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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denkt der deutsch gebliebne Nachbar des trcucnbrietzner Franzosen. Seinem
Keller fehlt es nicht an Wein von den besten Marken. abc°r er reicht durstigen
Menschenkindern auch ein gutes Bier, das er billiger und selbstverständlicher
Weise allerdings so berechnet, daß der Gast nicht leicht durch Rücksichten der
Sparsamkeit zu einer Bevorzugung des Gambrinus vor dem Bachus ver¬
anlaßt wird.

Ein weiteres Vorurtheil der Politik, die im Truthahn regiert, ist, daß
von seiner Mittagstafel landesübliche und volkstümliche Gerichte verbannt sind,
weil sie "noble Herrschaften" verscheuchen sollen. Es ist dem Wirth dabei
entgangen, daß solche Herrschaften grade derartige neue Schüsseln gern kosten
und Spötterei darüber gewöhnlich aus Kreisen stammt, an deren Besuch dem
Hotelier nichts liegt, von Leuten, die "nicht weit her" sind und von einem
"feinen Hotel" erwarten, daß Alles anders drin ist, als sie's zu Hause haben.

Daß solchen Stücken Volksthum ihre volle Bäuerlichkeit und Ungeheuer¬
lichkeit erhalten bleibt, ist nicht nöthig, man darf das Urwüchsige veredeln.
Auch soll damit der gekochte Hase mit Reis und kleinen Rosinen, den eine
Bauernfrau einem bei ihr in Cantonnement liegenden Leipziger Officier vor¬
setzte, der Tafel des goldnen Truthahns keineswegs empfohlen werden. Wir
meinen damit nur berechtigte, nicht gegen alle und jede Regeln des Wohlge¬
schmacks verstoßende Eigenthümlichkeiten der betreffenden Provinz des Reiches.

So zurückhaltend man im Truthahn mit dem wichtigsten Gewürz, dem
Salze ist, so aufdringlich ist der dort waltende Koch mit andern Gewürzen.
Der Hammelbraten duftet von Knoblauch, und andere Schüsseln riechen, als
ob, sie in einem Zwiebelbeete das Schmecken gelernt hätten; wir Reisenden
können aber doch unmöglich alle Juden sein. Der Senf ferner ist mit Estragon
versetzt, der zwar theuer, aber vielen Leuten ein Greuel ist. In das Brot
ist Kümmel gebacken, wodurch es für die Hälfte der Gäste eben so ungenießbar
wird, wie nach dem Aberglauben für die Wichtelmännchen. Die Regel ist hier:
möglichst wenig Gewürz; denn bei zu wenig läßt sich nachhelfen, bei zu viel
nicht abhelfen. Der Einzelne mag dann thun, was ihm gut scheint, nach¬
salzen, nachpfeffern, sich den Salat mit Rahm oder Zucker mischen, und wenn
er ein ganzer Barbar ist, Zimmt in den Thee und Citronensaft auf die
Austern thun -- meinetwegen auch Himbeersaft; denn das ist seine Privat¬
sache, nur soll der Wirth seinem edel' as cui^iiw keine Wandalismen erlauben.

Ein andrer Wirthsaberglaube ist, daß alle Begehungs- und Unterlassungs¬
sünden der Küche dadurch ausgeglichen würden, wenn bisweilen unter den
Speisen Kostspieligkeiten wie Forellen, Steinbutt, getrüffelter Fasan, Schild¬
krötensuppe oder Riesenspargcl auf dem Tische erscheinen. Durch solche große
Staatsactionen wird nur der Dilettant bestochen, der Beifall des Kenners aber
wird lediglich durch guten Stoff und fachgerechte Zubereitung der Ordinaria


denkt der deutsch gebliebne Nachbar des trcucnbrietzner Franzosen. Seinem
Keller fehlt es nicht an Wein von den besten Marken. abc°r er reicht durstigen
Menschenkindern auch ein gutes Bier, das er billiger und selbstverständlicher
Weise allerdings so berechnet, daß der Gast nicht leicht durch Rücksichten der
Sparsamkeit zu einer Bevorzugung des Gambrinus vor dem Bachus ver¬
anlaßt wird.

Ein weiteres Vorurtheil der Politik, die im Truthahn regiert, ist, daß
von seiner Mittagstafel landesübliche und volkstümliche Gerichte verbannt sind,
weil sie „noble Herrschaften" verscheuchen sollen. Es ist dem Wirth dabei
entgangen, daß solche Herrschaften grade derartige neue Schüsseln gern kosten
und Spötterei darüber gewöhnlich aus Kreisen stammt, an deren Besuch dem
Hotelier nichts liegt, von Leuten, die „nicht weit her" sind und von einem
„feinen Hotel" erwarten, daß Alles anders drin ist, als sie's zu Hause haben.

Daß solchen Stücken Volksthum ihre volle Bäuerlichkeit und Ungeheuer¬
lichkeit erhalten bleibt, ist nicht nöthig, man darf das Urwüchsige veredeln.
Auch soll damit der gekochte Hase mit Reis und kleinen Rosinen, den eine
Bauernfrau einem bei ihr in Cantonnement liegenden Leipziger Officier vor¬
setzte, der Tafel des goldnen Truthahns keineswegs empfohlen werden. Wir
meinen damit nur berechtigte, nicht gegen alle und jede Regeln des Wohlge¬
schmacks verstoßende Eigenthümlichkeiten der betreffenden Provinz des Reiches.

So zurückhaltend man im Truthahn mit dem wichtigsten Gewürz, dem
Salze ist, so aufdringlich ist der dort waltende Koch mit andern Gewürzen.
Der Hammelbraten duftet von Knoblauch, und andere Schüsseln riechen, als
ob, sie in einem Zwiebelbeete das Schmecken gelernt hätten; wir Reisenden
können aber doch unmöglich alle Juden sein. Der Senf ferner ist mit Estragon
versetzt, der zwar theuer, aber vielen Leuten ein Greuel ist. In das Brot
ist Kümmel gebacken, wodurch es für die Hälfte der Gäste eben so ungenießbar
wird, wie nach dem Aberglauben für die Wichtelmännchen. Die Regel ist hier:
möglichst wenig Gewürz; denn bei zu wenig läßt sich nachhelfen, bei zu viel
nicht abhelfen. Der Einzelne mag dann thun, was ihm gut scheint, nach¬
salzen, nachpfeffern, sich den Salat mit Rahm oder Zucker mischen, und wenn
er ein ganzer Barbar ist, Zimmt in den Thee und Citronensaft auf die
Austern thun — meinetwegen auch Himbeersaft; denn das ist seine Privat¬
sache, nur soll der Wirth seinem edel' as cui^iiw keine Wandalismen erlauben.

Ein andrer Wirthsaberglaube ist, daß alle Begehungs- und Unterlassungs¬
sünden der Küche dadurch ausgeglichen würden, wenn bisweilen unter den
Speisen Kostspieligkeiten wie Forellen, Steinbutt, getrüffelter Fasan, Schild¬
krötensuppe oder Riesenspargcl auf dem Tische erscheinen. Durch solche große
Staatsactionen wird nur der Dilettant bestochen, der Beifall des Kenners aber
wird lediglich durch guten Stoff und fachgerechte Zubereitung der Ordinaria


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/425>, abgerufen am 22.07.2024.