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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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die zu den Herrlichkeiten oben führt. Was für ein Bandelier! Was für
ein würdevoller Silberknopf auf seinem Scepter! Welch ein schöner Bart!
Wäre er nicht gepudert, wir möchten ihn für Nebukadnezar oder einen an¬
dern großen Potentaten halten, so majestätisch blickt er uns an. Unwillkür¬
lich ducken wir uns einen Augenblick, als wir an ihm vorübergehen.

Unsere Ehrfurcht ist überwunden. Wir fragen in die Gruppe von Gentle¬
men in elegantem Frack und tadelloser Wäsche hinein, welche die Stelle in
der mosaikgeschmückten Hausflur einnimmt, wo uns im Lamm ein Hausknecht
in Hemdsärmeln empfangen haben würde, ob wir ein Zimmer haben können.

"Ein Zimmer?" sagt der eine, sieht erst mich, dann den Gerichtsrath,
dann den Kutscher an, ob wir denn wirklich nicht mehr als einel^f Koffer
haben, und wiederholt, als sich nichts weiter zeigt, merklich weniger höflich:
"Ein Zimmer? Wollen 'mal sehen."

Er sieht auf die Tafel mit den Zimmernummern, findet, daß wir eins
haben können, wendet sich mit der entsprechenden Geberde nach uns um und
schreitet uns dann voraus, eine Treppe hinauf, zwei, drei, vier Treppen hin¬
auf, einen langen Gang rechts, einen kurzen Gang links hin, wieder ein paar
Stufen hinab, wieder einen Gang, endlich sind wir am Ziele, und ein kleines,
etwas dumpfig riechendes Zimmer nimmt uns auf, in welchem der Gentle¬
man-Kellner uns unserm Schicksal überläßt, natürlich nicht ohne vorher die
bekannten ävux douAies angezündet zu haben.

So wären wir denn unter den gastlichen Fittichen des Goldenen Trut-
hahns, oder um in seiner und des Herrn Wirths -- er ist ein Kind Treuen -
brietzens -- Muttersprache zu reden, im Kranä Ilotöl an viator ä'or. In
der That ein prächtiger Vogel, wenn auch weniger hier oben. Und nachdem
wir uns von der ersten Pracht ein wenig erholt und vom Treppensteigen
wieder zu Athem gekommen sind, gehen uns noch andere kleine Bedenken bei,
ob wir recht gethan haben, uns hier Obdach zu suchen.

Die Treppen waren zwar bis zur dritten Etage von Marmor, ihre Ge¬
länder vergoldet, ihre Stufen mit feinen Teppichen belegt. Aber vier davon
emporklettern zu müssen, war doch mehr Turnübung als Vergnügen, und wir
finden uns darüber nur damit getröstet, daß wir so Gelegenheit haben werden,
ohne weiteres Steigen mit dem Thürmer der benachbarten Kirche mündlich
Bekanntschaft zu machen.

Die großen Corridors, durch die wir schritten, zeigten Decken- und
Wandgemälde, riesige Spiegel und Säulen von Stuck und Gold. Ader was
uns lieber gewesen wäre, fehlte. Man hatte die Ventilation vergessen, und
ein garstiger Brodem, bei dem wir an übergelaufene Küchenkasferole und zu¬
gleich an schmutzige Wäsche dachten, und die Möglichkeit fürchteten, daß sich
hier ein schlagendes Wetter entwickeln könnte, erfüllte schwül, in den Neben-


Grenzboten II. 1872. 54

die zu den Herrlichkeiten oben führt. Was für ein Bandelier! Was für
ein würdevoller Silberknopf auf seinem Scepter! Welch ein schöner Bart!
Wäre er nicht gepudert, wir möchten ihn für Nebukadnezar oder einen an¬
dern großen Potentaten halten, so majestätisch blickt er uns an. Unwillkür¬
lich ducken wir uns einen Augenblick, als wir an ihm vorübergehen.

Unsere Ehrfurcht ist überwunden. Wir fragen in die Gruppe von Gentle¬
men in elegantem Frack und tadelloser Wäsche hinein, welche die Stelle in
der mosaikgeschmückten Hausflur einnimmt, wo uns im Lamm ein Hausknecht
in Hemdsärmeln empfangen haben würde, ob wir ein Zimmer haben können.

„Ein Zimmer?" sagt der eine, sieht erst mich, dann den Gerichtsrath,
dann den Kutscher an, ob wir denn wirklich nicht mehr als einel^f Koffer
haben, und wiederholt, als sich nichts weiter zeigt, merklich weniger höflich:
„Ein Zimmer? Wollen 'mal sehen."

Er sieht auf die Tafel mit den Zimmernummern, findet, daß wir eins
haben können, wendet sich mit der entsprechenden Geberde nach uns um und
schreitet uns dann voraus, eine Treppe hinauf, zwei, drei, vier Treppen hin¬
auf, einen langen Gang rechts, einen kurzen Gang links hin, wieder ein paar
Stufen hinab, wieder einen Gang, endlich sind wir am Ziele, und ein kleines,
etwas dumpfig riechendes Zimmer nimmt uns auf, in welchem der Gentle¬
man-Kellner uns unserm Schicksal überläßt, natürlich nicht ohne vorher die
bekannten ävux douAies angezündet zu haben.

So wären wir denn unter den gastlichen Fittichen des Goldenen Trut-
hahns, oder um in seiner und des Herrn Wirths — er ist ein Kind Treuen -
brietzens — Muttersprache zu reden, im Kranä Ilotöl an viator ä'or. In
der That ein prächtiger Vogel, wenn auch weniger hier oben. Und nachdem
wir uns von der ersten Pracht ein wenig erholt und vom Treppensteigen
wieder zu Athem gekommen sind, gehen uns noch andere kleine Bedenken bei,
ob wir recht gethan haben, uns hier Obdach zu suchen.

Die Treppen waren zwar bis zur dritten Etage von Marmor, ihre Ge¬
länder vergoldet, ihre Stufen mit feinen Teppichen belegt. Aber vier davon
emporklettern zu müssen, war doch mehr Turnübung als Vergnügen, und wir
finden uns darüber nur damit getröstet, daß wir so Gelegenheit haben werden,
ohne weiteres Steigen mit dem Thürmer der benachbarten Kirche mündlich
Bekanntschaft zu machen.

Die großen Corridors, durch die wir schritten, zeigten Decken- und
Wandgemälde, riesige Spiegel und Säulen von Stuck und Gold. Ader was
uns lieber gewesen wäre, fehlte. Man hatte die Ventilation vergessen, und
ein garstiger Brodem, bei dem wir an übergelaufene Küchenkasferole und zu¬
gleich an schmutzige Wäsche dachten, und die Möglichkeit fürchteten, daß sich
hier ein schlagendes Wetter entwickeln könnte, erfüllte schwül, in den Neben-


Grenzboten II. 1872. 54
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[0421] die zu den Herrlichkeiten oben führt. Was für ein Bandelier! Was für ein würdevoller Silberknopf auf seinem Scepter! Welch ein schöner Bart! Wäre er nicht gepudert, wir möchten ihn für Nebukadnezar oder einen an¬ dern großen Potentaten halten, so majestätisch blickt er uns an. Unwillkür¬ lich ducken wir uns einen Augenblick, als wir an ihm vorübergehen. Unsere Ehrfurcht ist überwunden. Wir fragen in die Gruppe von Gentle¬ men in elegantem Frack und tadelloser Wäsche hinein, welche die Stelle in der mosaikgeschmückten Hausflur einnimmt, wo uns im Lamm ein Hausknecht in Hemdsärmeln empfangen haben würde, ob wir ein Zimmer haben können. „Ein Zimmer?" sagt der eine, sieht erst mich, dann den Gerichtsrath, dann den Kutscher an, ob wir denn wirklich nicht mehr als einel^f Koffer haben, und wiederholt, als sich nichts weiter zeigt, merklich weniger höflich: „Ein Zimmer? Wollen 'mal sehen." Er sieht auf die Tafel mit den Zimmernummern, findet, daß wir eins haben können, wendet sich mit der entsprechenden Geberde nach uns um und schreitet uns dann voraus, eine Treppe hinauf, zwei, drei, vier Treppen hin¬ auf, einen langen Gang rechts, einen kurzen Gang links hin, wieder ein paar Stufen hinab, wieder einen Gang, endlich sind wir am Ziele, und ein kleines, etwas dumpfig riechendes Zimmer nimmt uns auf, in welchem der Gentle¬ man-Kellner uns unserm Schicksal überläßt, natürlich nicht ohne vorher die bekannten ävux douAies angezündet zu haben. So wären wir denn unter den gastlichen Fittichen des Goldenen Trut- hahns, oder um in seiner und des Herrn Wirths — er ist ein Kind Treuen - brietzens — Muttersprache zu reden, im Kranä Ilotöl an viator ä'or. In der That ein prächtiger Vogel, wenn auch weniger hier oben. Und nachdem wir uns von der ersten Pracht ein wenig erholt und vom Treppensteigen wieder zu Athem gekommen sind, gehen uns noch andere kleine Bedenken bei, ob wir recht gethan haben, uns hier Obdach zu suchen. Die Treppen waren zwar bis zur dritten Etage von Marmor, ihre Ge¬ länder vergoldet, ihre Stufen mit feinen Teppichen belegt. Aber vier davon emporklettern zu müssen, war doch mehr Turnübung als Vergnügen, und wir finden uns darüber nur damit getröstet, daß wir so Gelegenheit haben werden, ohne weiteres Steigen mit dem Thürmer der benachbarten Kirche mündlich Bekanntschaft zu machen. Die großen Corridors, durch die wir schritten, zeigten Decken- und Wandgemälde, riesige Spiegel und Säulen von Stuck und Gold. Ader was uns lieber gewesen wäre, fehlte. Man hatte die Ventilation vergessen, und ein garstiger Brodem, bei dem wir an übergelaufene Küchenkasferole und zu¬ gleich an schmutzige Wäsche dachten, und die Möglichkeit fürchteten, daß sich hier ein schlagendes Wetter entwickeln könnte, erfüllte schwül, in den Neben- Grenzboten II. 1872. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/421>, abgerufen am 24.08.2024.