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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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aufraffen. Monate lang blieben die "Getreuen" unthätig beisammen, den
Diätenbezug ausnutzend, trotzdem Briegleb das Unwürdige dieses Verhaltens
durch Zurückweisung seiner Tagegelder deutlich genug kennzeichnete.

So trostlosen Zuständen mußte ein Ende gemacht werden und Briegleb
übernahm es. den Boden durchzuschlagen. Am 24. Februar 1843 begründete
er den Antrag, gegen den verantwortlichen Staatsminister "aus dem Grunde,
weil derselbe die Versammlung in einer unvollständigen, deßhalb verfassungs¬
widrigen Zusammensetzung berufen und den Deputirten der Stadt Coburg
47 Tage lang, bis nach Beendigung der Etatsangelegenheiten fern gehalten
hat", Beschwerde und eventuell Anklage zu erheben. Die Berathung über
diesen Antrag abzuwarten, sich gegen denselben zu vertheidigen, hielt die
Staatsregierung nicht für angemessen; am 3. März 1843 wurde der Landtag
(der "sogenannte", wie er in der Geschichte des Coburger Versassungs-
lebens heißt) aufgelöst und der erstaunten Bevölkerung bekannt gemacht,
daß der Abgeordnete der Hauptstadt die Versammlung zu "offener Wider¬
setzlichkeit", zur "Hintansetzung der beschworenen Verfassung" verleitet habe.

Den Vortrag vom 24. Februar hatte Briegleb als Manuscript drucken
lassen und einem Theile seiner Wähler mitgetheilt, eine Kühnheit, die in
Coburg unerhört war und exemplarisch gestraft werden mußte. Eine Depu¬
tation des Justizcollegiums wurde mit der Führung einer Criminalunter-
suchung "wegen Inhalt und Verbreitung eines Vortrags und der damit
etwa in Verbindung stehenden strafbaren Handlungen" (!) beauftragt. Den
Namen des Verbrechen "konnte und durfte" die Untersuchungsbehörde dem
Angeschuldigten nicht nennen, desto geflissentlicher aber verbreitete man im
Publicum die Worte "Hochverrath" und "Majestätsbeleidigung". Eine Zeit
lang schien der Justiz-Apparat gefügig seine Dienste zu leisten, in Coburg und
Gotha wurde wirklich auf Einleitung der Specialuntersuchung erkannt^ So
sicher war man seines Triumphes, daß man schon ein Strafgefängniß im
Zeughause für den "Staatsverbrecher" in Bereitschaft gestellt hatte. Aber
die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Oberappellationsgerichts zu Jena
zerriß das ganze Gewebe durch die endgültige Entscheidung, daß kein Grund
zur, Einleitung einer ftrafgerichtlichen Untersuchung vorliege. Die Bürger¬
schaft jubelte, der populärste Mann in Coburg war damals Moriz Briegleb.

Inzwischen war Herzog Ernst I. am 29. Januar 1844 in Gotha einer
kurzen Krankheit erlegen. Wie wir gesehen, hatte sein patriarchalisches Regi¬
ment in den letzten Jahren an Gemüthlichkeit und Harmlosigkeit viel verloren.
Noch kurz vor seinem Tode mußte einer seiner begabtesten Rathgeber, früher
selbst ein "Liberaler", in einer offiziell verbreiteten Denkschrift der aufgelösten
Ständeversammlung einen wenig schmeichelhaften Nachruf widmen und sich
abmühen, dem Lande die Verfassungsmäßigkeit des Neeusationsrechtes begreiflich


aufraffen. Monate lang blieben die „Getreuen" unthätig beisammen, den
Diätenbezug ausnutzend, trotzdem Briegleb das Unwürdige dieses Verhaltens
durch Zurückweisung seiner Tagegelder deutlich genug kennzeichnete.

So trostlosen Zuständen mußte ein Ende gemacht werden und Briegleb
übernahm es. den Boden durchzuschlagen. Am 24. Februar 1843 begründete
er den Antrag, gegen den verantwortlichen Staatsminister „aus dem Grunde,
weil derselbe die Versammlung in einer unvollständigen, deßhalb verfassungs¬
widrigen Zusammensetzung berufen und den Deputirten der Stadt Coburg
47 Tage lang, bis nach Beendigung der Etatsangelegenheiten fern gehalten
hat", Beschwerde und eventuell Anklage zu erheben. Die Berathung über
diesen Antrag abzuwarten, sich gegen denselben zu vertheidigen, hielt die
Staatsregierung nicht für angemessen; am 3. März 1843 wurde der Landtag
(der „sogenannte", wie er in der Geschichte des Coburger Versassungs-
lebens heißt) aufgelöst und der erstaunten Bevölkerung bekannt gemacht,
daß der Abgeordnete der Hauptstadt die Versammlung zu „offener Wider¬
setzlichkeit", zur „Hintansetzung der beschworenen Verfassung" verleitet habe.

Den Vortrag vom 24. Februar hatte Briegleb als Manuscript drucken
lassen und einem Theile seiner Wähler mitgetheilt, eine Kühnheit, die in
Coburg unerhört war und exemplarisch gestraft werden mußte. Eine Depu¬
tation des Justizcollegiums wurde mit der Führung einer Criminalunter-
suchung „wegen Inhalt und Verbreitung eines Vortrags und der damit
etwa in Verbindung stehenden strafbaren Handlungen" (!) beauftragt. Den
Namen des Verbrechen „konnte und durfte" die Untersuchungsbehörde dem
Angeschuldigten nicht nennen, desto geflissentlicher aber verbreitete man im
Publicum die Worte „Hochverrath" und „Majestätsbeleidigung". Eine Zeit
lang schien der Justiz-Apparat gefügig seine Dienste zu leisten, in Coburg und
Gotha wurde wirklich auf Einleitung der Specialuntersuchung erkannt^ So
sicher war man seines Triumphes, daß man schon ein Strafgefängniß im
Zeughause für den „Staatsverbrecher" in Bereitschaft gestellt hatte. Aber
die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Oberappellationsgerichts zu Jena
zerriß das ganze Gewebe durch die endgültige Entscheidung, daß kein Grund
zur, Einleitung einer ftrafgerichtlichen Untersuchung vorliege. Die Bürger¬
schaft jubelte, der populärste Mann in Coburg war damals Moriz Briegleb.

Inzwischen war Herzog Ernst I. am 29. Januar 1844 in Gotha einer
kurzen Krankheit erlegen. Wie wir gesehen, hatte sein patriarchalisches Regi¬
ment in den letzten Jahren an Gemüthlichkeit und Harmlosigkeit viel verloren.
Noch kurz vor seinem Tode mußte einer seiner begabtesten Rathgeber, früher
selbst ein „Liberaler", in einer offiziell verbreiteten Denkschrift der aufgelösten
Ständeversammlung einen wenig schmeichelhaften Nachruf widmen und sich
abmühen, dem Lande die Verfassungsmäßigkeit des Neeusationsrechtes begreiflich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/412>, abgerufen am 24.08.2024.