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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Moriz Iriegleö.
Ein Nekrolog aus einem deutschen Kleinstaat.

Zu keiner Zeit drängt sich uns die Erkenntniß von dem wahren Werthe
eines bedeutenden Menschen lebhafter auf, als bei seinem Tode, in der schmerz¬
lichen Stunde, in welcher wir uns vergegenwärtigen, was wir an dem Hin¬
geschiedenen verloren haben. Seine hervorragenden Eigenschaften verklären sich
alsdann zu einem Gesammtbilde, wie es sich mitten im Streben und Wirken,
im Kämpfen und Ringen des Lebenden gleich vollständig und rein nicht er¬
kennen läßt. Solch ein Lebens- und Charakterbild steht jetzt vor uns bei der
Erinnerung an den Reichstagsabgeordneten Moriz Briegleb aus
Coburg, der am 28. April 1872 in Berlin gestorben und am 2. Mai auf
dem Friedhof seiner Vaterstadt zur ewigen Ruhe gebettet worden ist.

Briegleb wurde in Coburg am 10. November 1809 geboren. Sein
Vater war Advocat daselbst, führte aber auf Grund einer Verleihung des
Grafen Orttenburg, eines benachbarten bayerischen Standesherrn, den Titel
Canzleirath. Ein guter Jurist, überhaupt ein klarer Kopf, genoß er als ge¬
schickter, strenger Verfechter des Rechts und als pünktlicher, sorgsamer Ver¬
walter fremden Vermögens großes Vertrauen. Seine Gattin, eine kluge
Hausfrau, ergänzte ihn in manchen Stücken durch ein mildes, sanftes, wohl¬
wollendes Wesen. Moriz. der älteste Sohn, schlug in die Art des Vaters
ein. Frühzeitig zeigte er ungewöhnliche geistige Anlagen und eine seltene
Lernbegierde. Auf dem Casimirianum seiner Heimathstadt legte er die Grund¬
lage zu einer gediegenen wissenschaftlichen Bildung, lebhaft angeregt von
tüchtigen Lehrern, wie Forberg und Trompheller, die damals in den frischesten
Mannesjahren standen. In Jena und Heidelberg war er ein eifriger Schüler
der großen Rechtslehrer Martin, Thibaut, Mittermaier, Carl Salomo
Zachariä, Bald nach der Staatsprüfung, nachdem er einige Monate lang
in dem freundlichen Landstädtchen Königsberg das Actuariat versehen hatte,
wandte er sich in seiner Vaterstadt der anwaltschaftlichen Laufbahn zu. Die
Natur hatte ihm reiche Gaben grade für diesen Beruf verliehen: eine seltene
Schärfe des Urtheils, überzeugende Klarheit des mündlichen und schriftlichen
Ausdrucks, lebhaftes NeclMgefühl, nachhaltige Kampfeslust wider alles Unrecht,


Grenzboten II. 1872. 51
Moriz Iriegleö.
Ein Nekrolog aus einem deutschen Kleinstaat.

Zu keiner Zeit drängt sich uns die Erkenntniß von dem wahren Werthe
eines bedeutenden Menschen lebhafter auf, als bei seinem Tode, in der schmerz¬
lichen Stunde, in welcher wir uns vergegenwärtigen, was wir an dem Hin¬
geschiedenen verloren haben. Seine hervorragenden Eigenschaften verklären sich
alsdann zu einem Gesammtbilde, wie es sich mitten im Streben und Wirken,
im Kämpfen und Ringen des Lebenden gleich vollständig und rein nicht er¬
kennen läßt. Solch ein Lebens- und Charakterbild steht jetzt vor uns bei der
Erinnerung an den Reichstagsabgeordneten Moriz Briegleb aus
Coburg, der am 28. April 1872 in Berlin gestorben und am 2. Mai auf
dem Friedhof seiner Vaterstadt zur ewigen Ruhe gebettet worden ist.

Briegleb wurde in Coburg am 10. November 1809 geboren. Sein
Vater war Advocat daselbst, führte aber auf Grund einer Verleihung des
Grafen Orttenburg, eines benachbarten bayerischen Standesherrn, den Titel
Canzleirath. Ein guter Jurist, überhaupt ein klarer Kopf, genoß er als ge¬
schickter, strenger Verfechter des Rechts und als pünktlicher, sorgsamer Ver¬
walter fremden Vermögens großes Vertrauen. Seine Gattin, eine kluge
Hausfrau, ergänzte ihn in manchen Stücken durch ein mildes, sanftes, wohl¬
wollendes Wesen. Moriz. der älteste Sohn, schlug in die Art des Vaters
ein. Frühzeitig zeigte er ungewöhnliche geistige Anlagen und eine seltene
Lernbegierde. Auf dem Casimirianum seiner Heimathstadt legte er die Grund¬
lage zu einer gediegenen wissenschaftlichen Bildung, lebhaft angeregt von
tüchtigen Lehrern, wie Forberg und Trompheller, die damals in den frischesten
Mannesjahren standen. In Jena und Heidelberg war er ein eifriger Schüler
der großen Rechtslehrer Martin, Thibaut, Mittermaier, Carl Salomo
Zachariä, Bald nach der Staatsprüfung, nachdem er einige Monate lang
in dem freundlichen Landstädtchen Königsberg das Actuariat versehen hatte,
wandte er sich in seiner Vaterstadt der anwaltschaftlichen Laufbahn zu. Die
Natur hatte ihm reiche Gaben grade für diesen Beruf verliehen: eine seltene
Schärfe des Urtheils, überzeugende Klarheit des mündlichen und schriftlichen
Ausdrucks, lebhaftes NeclMgefühl, nachhaltige Kampfeslust wider alles Unrecht,


Grenzboten II. 1872. 51
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[0409] Moriz Iriegleö. Ein Nekrolog aus einem deutschen Kleinstaat. Zu keiner Zeit drängt sich uns die Erkenntniß von dem wahren Werthe eines bedeutenden Menschen lebhafter auf, als bei seinem Tode, in der schmerz¬ lichen Stunde, in welcher wir uns vergegenwärtigen, was wir an dem Hin¬ geschiedenen verloren haben. Seine hervorragenden Eigenschaften verklären sich alsdann zu einem Gesammtbilde, wie es sich mitten im Streben und Wirken, im Kämpfen und Ringen des Lebenden gleich vollständig und rein nicht er¬ kennen läßt. Solch ein Lebens- und Charakterbild steht jetzt vor uns bei der Erinnerung an den Reichstagsabgeordneten Moriz Briegleb aus Coburg, der am 28. April 1872 in Berlin gestorben und am 2. Mai auf dem Friedhof seiner Vaterstadt zur ewigen Ruhe gebettet worden ist. Briegleb wurde in Coburg am 10. November 1809 geboren. Sein Vater war Advocat daselbst, führte aber auf Grund einer Verleihung des Grafen Orttenburg, eines benachbarten bayerischen Standesherrn, den Titel Canzleirath. Ein guter Jurist, überhaupt ein klarer Kopf, genoß er als ge¬ schickter, strenger Verfechter des Rechts und als pünktlicher, sorgsamer Ver¬ walter fremden Vermögens großes Vertrauen. Seine Gattin, eine kluge Hausfrau, ergänzte ihn in manchen Stücken durch ein mildes, sanftes, wohl¬ wollendes Wesen. Moriz. der älteste Sohn, schlug in die Art des Vaters ein. Frühzeitig zeigte er ungewöhnliche geistige Anlagen und eine seltene Lernbegierde. Auf dem Casimirianum seiner Heimathstadt legte er die Grund¬ lage zu einer gediegenen wissenschaftlichen Bildung, lebhaft angeregt von tüchtigen Lehrern, wie Forberg und Trompheller, die damals in den frischesten Mannesjahren standen. In Jena und Heidelberg war er ein eifriger Schüler der großen Rechtslehrer Martin, Thibaut, Mittermaier, Carl Salomo Zachariä, Bald nach der Staatsprüfung, nachdem er einige Monate lang in dem freundlichen Landstädtchen Königsberg das Actuariat versehen hatte, wandte er sich in seiner Vaterstadt der anwaltschaftlichen Laufbahn zu. Die Natur hatte ihm reiche Gaben grade für diesen Beruf verliehen: eine seltene Schärfe des Urtheils, überzeugende Klarheit des mündlichen und schriftlichen Ausdrucks, lebhaftes NeclMgefühl, nachhaltige Kampfeslust wider alles Unrecht, Grenzboten II. 1872. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/409>, abgerufen am 03.07.2024.