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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Wahrheit komme hinterher zu spät, um die Spuren solcher Gottlosigkeit zu
verwischen. Auch dem Syllabus wurde geistreiches Lob zu Theil. Dessen Ver¬
urteilung der modernen Civilisation treffe nur deren schlimme Seiten, den
"irrthümlichen Indifferentismus". Die Logik sei es, mit der man dem Syl¬
labus so übel mitgespielt habe; aber Niemand dürfe annehmen, daß das
Oberhaupt der kathol. Kirche Sätze aufstelle, die jedem halbwegs Vernünftigen
als Unsinn erscheinen müßten.

Vom Referenten wurde gegen diese und andere Auslassungen bemerkt,
daß der Syllabus vom Secretär des Concils, Fehler, als kathedralisches katho¬
lisches Recht anerkannt worden und die deutschen Bischöfe, ja Cardinäle hätten
in Rom selbst die neuen Lehren für staatsgefährlich erklärt; daß sie damit
mehr Recht gehabt als mit ihrer späteren Nevocation, beweisen die offenen
Geständnisse der Jesuiten in der "Ilniüi, eattvliek", daß es in der Welt nicht
eher Frieden geben werde, als bis die sogen. Menschenrechte vom Henker ver¬
brannt und die erhabenen Lehren des Syllabus zum Grundgesetz der Staaten
erhoben seien. Das seien die Ziele des Romanismus im maßgebenden
Sinne der Jesuiten. Diesen gegenüber sollen und müssen die modernen Staaten
Stellung nehmen, es handle sich da um ihre Existenz und so sei auch der
Art. 47 gerechtfertigt und müsse sogar als sehr gemäßigt erscheinen. "Wir
wollen Frieden haben im Vaterland unter den Confessionen und darum müssen
wir das Palladium der Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Verfassung
wahren."

Heißer noch als um den Art. 47 war der Kampf um Art. 48. Auch
dieser nimmt den Standpunkt nicht des corporativen, sondern des indivi¬
duellen Rechts ein mit seiner Garantie und zugleich nothwendigen Beschrän¬
kung der Cultusfreiheit durch die Sittlichkeit und die öffentliche Ordnung;
aber er erkennt keine Confession mehr an, wie die bisherige Verfassung. Die
vielen Bürger, die keiner christl. Confession angehören, sollen bezüglich ihres
Cultus nicht mehr geringeres Recht haben, als Katholiken und Protestanten.
Aber andererseits kann die Organisation der Confessionen als solche nicht
ausdrücklich garantirt werden, "am wenigsten die heutige Organisation der
kathol. Kirche, die das Laienelement vollständig der allein mit Rechten aus¬
gestatteten Priesterherrschaft unterwirft." Der Art. wahrt dem Bunde und
den Cantonen den Schutz der öffentlichen Ordnung und des Friedens unter
den Confessionen und giebt beiden das Recht auch die Bürger und den Staat
selbst gegen Eingriffe kirchlicher Behörden zu schützen. Die bisherige Verfassung
garantirte bloß den Cultus anerkannter christlicher Confessionen; die Ausdehnung
dieser Garantie im vorliegenden Artikel ist eine bloße Consequenz des Grund¬
satzes der Gewissensfreiheit. Die anderen Bestimmungen des Artikels betreffen
theils die altschweizerische Garantie des Landfriedens, theils sind sie eine Cor-


Wahrheit komme hinterher zu spät, um die Spuren solcher Gottlosigkeit zu
verwischen. Auch dem Syllabus wurde geistreiches Lob zu Theil. Dessen Ver¬
urteilung der modernen Civilisation treffe nur deren schlimme Seiten, den
„irrthümlichen Indifferentismus". Die Logik sei es, mit der man dem Syl¬
labus so übel mitgespielt habe; aber Niemand dürfe annehmen, daß das
Oberhaupt der kathol. Kirche Sätze aufstelle, die jedem halbwegs Vernünftigen
als Unsinn erscheinen müßten.

Vom Referenten wurde gegen diese und andere Auslassungen bemerkt,
daß der Syllabus vom Secretär des Concils, Fehler, als kathedralisches katho¬
lisches Recht anerkannt worden und die deutschen Bischöfe, ja Cardinäle hätten
in Rom selbst die neuen Lehren für staatsgefährlich erklärt; daß sie damit
mehr Recht gehabt als mit ihrer späteren Nevocation, beweisen die offenen
Geständnisse der Jesuiten in der „Ilniüi, eattvliek", daß es in der Welt nicht
eher Frieden geben werde, als bis die sogen. Menschenrechte vom Henker ver¬
brannt und die erhabenen Lehren des Syllabus zum Grundgesetz der Staaten
erhoben seien. Das seien die Ziele des Romanismus im maßgebenden
Sinne der Jesuiten. Diesen gegenüber sollen und müssen die modernen Staaten
Stellung nehmen, es handle sich da um ihre Existenz und so sei auch der
Art. 47 gerechtfertigt und müsse sogar als sehr gemäßigt erscheinen. „Wir
wollen Frieden haben im Vaterland unter den Confessionen und darum müssen
wir das Palladium der Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Verfassung
wahren."

Heißer noch als um den Art. 47 war der Kampf um Art. 48. Auch
dieser nimmt den Standpunkt nicht des corporativen, sondern des indivi¬
duellen Rechts ein mit seiner Garantie und zugleich nothwendigen Beschrän¬
kung der Cultusfreiheit durch die Sittlichkeit und die öffentliche Ordnung;
aber er erkennt keine Confession mehr an, wie die bisherige Verfassung. Die
vielen Bürger, die keiner christl. Confession angehören, sollen bezüglich ihres
Cultus nicht mehr geringeres Recht haben, als Katholiken und Protestanten.
Aber andererseits kann die Organisation der Confessionen als solche nicht
ausdrücklich garantirt werden, „am wenigsten die heutige Organisation der
kathol. Kirche, die das Laienelement vollständig der allein mit Rechten aus¬
gestatteten Priesterherrschaft unterwirft." Der Art. wahrt dem Bunde und
den Cantonen den Schutz der öffentlichen Ordnung und des Friedens unter
den Confessionen und giebt beiden das Recht auch die Bürger und den Staat
selbst gegen Eingriffe kirchlicher Behörden zu schützen. Die bisherige Verfassung
garantirte bloß den Cultus anerkannter christlicher Confessionen; die Ausdehnung
dieser Garantie im vorliegenden Artikel ist eine bloße Consequenz des Grund¬
satzes der Gewissensfreiheit. Die anderen Bestimmungen des Artikels betreffen
theils die altschweizerische Garantie des Landfriedens, theils sind sie eine Cor-


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[0039] Wahrheit komme hinterher zu spät, um die Spuren solcher Gottlosigkeit zu verwischen. Auch dem Syllabus wurde geistreiches Lob zu Theil. Dessen Ver¬ urteilung der modernen Civilisation treffe nur deren schlimme Seiten, den „irrthümlichen Indifferentismus". Die Logik sei es, mit der man dem Syl¬ labus so übel mitgespielt habe; aber Niemand dürfe annehmen, daß das Oberhaupt der kathol. Kirche Sätze aufstelle, die jedem halbwegs Vernünftigen als Unsinn erscheinen müßten. Vom Referenten wurde gegen diese und andere Auslassungen bemerkt, daß der Syllabus vom Secretär des Concils, Fehler, als kathedralisches katho¬ lisches Recht anerkannt worden und die deutschen Bischöfe, ja Cardinäle hätten in Rom selbst die neuen Lehren für staatsgefährlich erklärt; daß sie damit mehr Recht gehabt als mit ihrer späteren Nevocation, beweisen die offenen Geständnisse der Jesuiten in der „Ilniüi, eattvliek", daß es in der Welt nicht eher Frieden geben werde, als bis die sogen. Menschenrechte vom Henker ver¬ brannt und die erhabenen Lehren des Syllabus zum Grundgesetz der Staaten erhoben seien. Das seien die Ziele des Romanismus im maßgebenden Sinne der Jesuiten. Diesen gegenüber sollen und müssen die modernen Staaten Stellung nehmen, es handle sich da um ihre Existenz und so sei auch der Art. 47 gerechtfertigt und müsse sogar als sehr gemäßigt erscheinen. „Wir wollen Frieden haben im Vaterland unter den Confessionen und darum müssen wir das Palladium der Glaubens- und Gewissensfreiheit in der Verfassung wahren." Heißer noch als um den Art. 47 war der Kampf um Art. 48. Auch dieser nimmt den Standpunkt nicht des corporativen, sondern des indivi¬ duellen Rechts ein mit seiner Garantie und zugleich nothwendigen Beschrän¬ kung der Cultusfreiheit durch die Sittlichkeit und die öffentliche Ordnung; aber er erkennt keine Confession mehr an, wie die bisherige Verfassung. Die vielen Bürger, die keiner christl. Confession angehören, sollen bezüglich ihres Cultus nicht mehr geringeres Recht haben, als Katholiken und Protestanten. Aber andererseits kann die Organisation der Confessionen als solche nicht ausdrücklich garantirt werden, „am wenigsten die heutige Organisation der kathol. Kirche, die das Laienelement vollständig der allein mit Rechten aus¬ gestatteten Priesterherrschaft unterwirft." Der Art. wahrt dem Bunde und den Cantonen den Schutz der öffentlichen Ordnung und des Friedens unter den Confessionen und giebt beiden das Recht auch die Bürger und den Staat selbst gegen Eingriffe kirchlicher Behörden zu schützen. Die bisherige Verfassung garantirte bloß den Cultus anerkannter christlicher Confessionen; die Ausdehnung dieser Garantie im vorliegenden Artikel ist eine bloße Consequenz des Grund¬ satzes der Gewissensfreiheit. Die anderen Bestimmungen des Artikels betreffen theils die altschweizerische Garantie des Landfriedens, theils sind sie eine Cor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/39>, abgerufen am 22.07.2024.