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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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und berechnete jeden ihrer Schritte aufs Schärfste: so ist sie aller Schwierig¬
keiten Herr geworden. Ich wüßte nicht zu sagen, ob Chievres oder ob Gat¬
tin ara oder ob einem der anderen Minister das Verdienst dieses Erfolges ge¬
bührt: jedenfalls der junge Fürst selbst, daran zweifle ich nicht, hat hier noch
nicht die Leitung seiner Diplomatie geführt: Selbstherrscher war er damals
noch nicht.

Nicht ganz ohne Bedeutung war es für Karl gewesen, daß man die
öffentliche Meinung, das populäre Element, auf feine Seite zu bringen ge¬
wußt hatte. In Deutschland meinten viele, gerade darin sei eine Bürgschaft
gegeben dafür, daß der neue jugendliche und mächtige Kaiser die deutsche
Frage in nationalem Sinne zu lösen versuchen müsse. Es ist in diesem Zu¬
sammenhange nicht möglich, die ungeheuere Erregung zu schildern, welche da¬
mals ganz Deutschland bewegte. In politischen, in kirchlichen, in socialen
Dingen war Alles von revolutionären Tendenzen und Ideen erfüllt. Das
große religiöse Ereigniß, das damals in denselben Tagen, in denen Karls
Kaiserthum geboren wurde, zu Leipzig den sächsischen Mönch Martin Luther
zum Abgott der deutschen Nation emporgehoben hatte -- die große Frage,
ob Deutschland von römischem Einflüsse sich losmachen und für sich zu einer
wahrhaft religiösen Kirchenreformation gelangen könnte -- dies schwebte da¬
mals noch unentschieden über der deutschen Zukunft. Was hing nicht Alles
davon ab, ob Karl mit diesen Tendenzen Fühlung und Berührung gewinnen
könnte! Wenn Karl nach den Wünschen der gebildeten Kreise von Deutsch¬
land diese Angelegenheit in die Hand hätte nehmen wollen, er hätte wahrlich
auch wieder im wahren Sinne des Wortes der Herr des deutschen Reiches
werden müssen!

Damals und gerade in dieser Angelegenheit geschah es, daß man zum
ersten Male einem persönlichen Entschlüsse des einundzwanzigjähriger Kaisers
begegnete.

Die officiellen Kirchengewalten hatten schon ihr Verdict über Luther ab¬
gegeben: er war in den Bann gethan, und seine Schriften sollten der Ver¬
nichtung durch Feuer preisgegeben werden. Es galt den Vertretern des
Papstthums, den Kaiser und die Fürsten von Deutschland davon abzuhalten,
daß sie ihren Schutz dem Ketzer gewährten. Karl war dazu bereit, der Kirche
seinen Arm zu leihen. In seinen niederländischen Gebieten geschah, was der
Papst verlangte: für Deutschland hielt man ähnliche entschiedene Maßregeln
in Bereitschaft. Und, was hier ganz besonders des Historikers Aufmerksam¬
keit fesseln muß, der junge Kaiser persönlich trat für Strenge und Energie
und unbeugsame Kirchlichkeit auf. Ihm stand damals ein Beichtvater zur
Seite, UM er nur aus der spanischen Schule und Zucht hervorgehen konnte:
ein spanischer Mönch, Namens Glapion, ist der erste in der Reihe der tires-


und berechnete jeden ihrer Schritte aufs Schärfste: so ist sie aller Schwierig¬
keiten Herr geworden. Ich wüßte nicht zu sagen, ob Chievres oder ob Gat¬
tin ara oder ob einem der anderen Minister das Verdienst dieses Erfolges ge¬
bührt: jedenfalls der junge Fürst selbst, daran zweifle ich nicht, hat hier noch
nicht die Leitung seiner Diplomatie geführt: Selbstherrscher war er damals
noch nicht.

Nicht ganz ohne Bedeutung war es für Karl gewesen, daß man die
öffentliche Meinung, das populäre Element, auf feine Seite zu bringen ge¬
wußt hatte. In Deutschland meinten viele, gerade darin sei eine Bürgschaft
gegeben dafür, daß der neue jugendliche und mächtige Kaiser die deutsche
Frage in nationalem Sinne zu lösen versuchen müsse. Es ist in diesem Zu¬
sammenhange nicht möglich, die ungeheuere Erregung zu schildern, welche da¬
mals ganz Deutschland bewegte. In politischen, in kirchlichen, in socialen
Dingen war Alles von revolutionären Tendenzen und Ideen erfüllt. Das
große religiöse Ereigniß, das damals in denselben Tagen, in denen Karls
Kaiserthum geboren wurde, zu Leipzig den sächsischen Mönch Martin Luther
zum Abgott der deutschen Nation emporgehoben hatte — die große Frage,
ob Deutschland von römischem Einflüsse sich losmachen und für sich zu einer
wahrhaft religiösen Kirchenreformation gelangen könnte — dies schwebte da¬
mals noch unentschieden über der deutschen Zukunft. Was hing nicht Alles
davon ab, ob Karl mit diesen Tendenzen Fühlung und Berührung gewinnen
könnte! Wenn Karl nach den Wünschen der gebildeten Kreise von Deutsch¬
land diese Angelegenheit in die Hand hätte nehmen wollen, er hätte wahrlich
auch wieder im wahren Sinne des Wortes der Herr des deutschen Reiches
werden müssen!

Damals und gerade in dieser Angelegenheit geschah es, daß man zum
ersten Male einem persönlichen Entschlüsse des einundzwanzigjähriger Kaisers
begegnete.

Die officiellen Kirchengewalten hatten schon ihr Verdict über Luther ab¬
gegeben: er war in den Bann gethan, und seine Schriften sollten der Ver¬
nichtung durch Feuer preisgegeben werden. Es galt den Vertretern des
Papstthums, den Kaiser und die Fürsten von Deutschland davon abzuhalten,
daß sie ihren Schutz dem Ketzer gewährten. Karl war dazu bereit, der Kirche
seinen Arm zu leihen. In seinen niederländischen Gebieten geschah, was der
Papst verlangte: für Deutschland hielt man ähnliche entschiedene Maßregeln
in Bereitschaft. Und, was hier ganz besonders des Historikers Aufmerksam¬
keit fesseln muß, der junge Kaiser persönlich trat für Strenge und Energie
und unbeugsame Kirchlichkeit auf. Ihm stand damals ein Beichtvater zur
Seite, UM er nur aus der spanischen Schule und Zucht hervorgehen konnte:
ein spanischer Mönch, Namens Glapion, ist der erste in der Reihe der tires-


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[0378] und berechnete jeden ihrer Schritte aufs Schärfste: so ist sie aller Schwierig¬ keiten Herr geworden. Ich wüßte nicht zu sagen, ob Chievres oder ob Gat¬ tin ara oder ob einem der anderen Minister das Verdienst dieses Erfolges ge¬ bührt: jedenfalls der junge Fürst selbst, daran zweifle ich nicht, hat hier noch nicht die Leitung seiner Diplomatie geführt: Selbstherrscher war er damals noch nicht. Nicht ganz ohne Bedeutung war es für Karl gewesen, daß man die öffentliche Meinung, das populäre Element, auf feine Seite zu bringen ge¬ wußt hatte. In Deutschland meinten viele, gerade darin sei eine Bürgschaft gegeben dafür, daß der neue jugendliche und mächtige Kaiser die deutsche Frage in nationalem Sinne zu lösen versuchen müsse. Es ist in diesem Zu¬ sammenhange nicht möglich, die ungeheuere Erregung zu schildern, welche da¬ mals ganz Deutschland bewegte. In politischen, in kirchlichen, in socialen Dingen war Alles von revolutionären Tendenzen und Ideen erfüllt. Das große religiöse Ereigniß, das damals in denselben Tagen, in denen Karls Kaiserthum geboren wurde, zu Leipzig den sächsischen Mönch Martin Luther zum Abgott der deutschen Nation emporgehoben hatte — die große Frage, ob Deutschland von römischem Einflüsse sich losmachen und für sich zu einer wahrhaft religiösen Kirchenreformation gelangen könnte — dies schwebte da¬ mals noch unentschieden über der deutschen Zukunft. Was hing nicht Alles davon ab, ob Karl mit diesen Tendenzen Fühlung und Berührung gewinnen könnte! Wenn Karl nach den Wünschen der gebildeten Kreise von Deutsch¬ land diese Angelegenheit in die Hand hätte nehmen wollen, er hätte wahrlich auch wieder im wahren Sinne des Wortes der Herr des deutschen Reiches werden müssen! Damals und gerade in dieser Angelegenheit geschah es, daß man zum ersten Male einem persönlichen Entschlüsse des einundzwanzigjähriger Kaisers begegnete. Die officiellen Kirchengewalten hatten schon ihr Verdict über Luther ab¬ gegeben: er war in den Bann gethan, und seine Schriften sollten der Ver¬ nichtung durch Feuer preisgegeben werden. Es galt den Vertretern des Papstthums, den Kaiser und die Fürsten von Deutschland davon abzuhalten, daß sie ihren Schutz dem Ketzer gewährten. Karl war dazu bereit, der Kirche seinen Arm zu leihen. In seinen niederländischen Gebieten geschah, was der Papst verlangte: für Deutschland hielt man ähnliche entschiedene Maßregeln in Bereitschaft. Und, was hier ganz besonders des Historikers Aufmerksam¬ keit fesseln muß, der junge Kaiser persönlich trat für Strenge und Energie und unbeugsame Kirchlichkeit auf. Ihm stand damals ein Beichtvater zur Seite, UM er nur aus der spanischen Schule und Zucht hervorgehen konnte: ein spanischer Mönch, Namens Glapion, ist der erste in der Reihe der tires-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/378>, abgerufen am 24.08.2024.