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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Gehorsams hinüber. Also einem Fremdherrscher, für fremde, Spanien wenig
berührende Zwecke sollten Spaniens Reichthümer hingegeben werden -- fo
lautete die Klage der spanischen Volksvertreter. Einzelne energische Männer
traten zusammen; sie gaben die Losung aus: man solle den König bitten, in
Spanien zu bleiben und nach den Wünschen der spanischen Cortes zu regie¬
ren. Karl aber bestand auf dem einmal gefaßten Entschlüsse. Er erzwang auch
von den städtischen Behörden in Valladolid das Zugeständnis?, daß man ihm
einen Tribut zahlen würde: trotz des Protestes anderer Städte begann er
seinen Beschluß ausführen zu lassen. Als die Städte sahen, seine Reise wür¬
den sie nicht hindern, verlangten sie, daß in der Landesregierung auch ihnen
eine Stimme ertheilt würde. Karl schob die Antwort hinaus; endlich, im
Begriffe sich einzuschiffen, in Santjago schlug er die Bitte ab: als Regenten
setzte er den Cardinal Adrian ein, den Niederländer; im Mai 1520 ging er
in See.

In der heftigsten Unruhe ließ er Spanien zurück. Seine Krone gerieth
während seiner Abwesenheit in die größte Gefahr. Erst eine Aenderung seiner
Politik hat einen Umschwung zu seinen Gunsten hervorgerufen.

Einstweilen, 1520 und 1521, erschien Karl auf einer neuen Bühne. Die
erste Probe seiner persönlichen Art sollte er in Deutschland ablegen. Er hatte
noch viel zu lernen, ehe er sich als den Mittelpunkt eines weltgeschichtlichen
Momentes ansehen durfte.

Während Karl in Spanien geweilt, hatte der alternde Kaiser Maximi¬
lian seiner Zukunft vorzuarbeiten sich bemüht. Er hatte Alles darauf gerichtet,
daß mit dem Erbe des alten östreichisch-habsburgischen Hausgutes auch die
Kaiserkrone Karl zufalle. Ehe der förmliche Abschluß erzielt, war Maximilian
selbst im Januar 1519 gestorben. Einem verwickelten Jntnguenspiel war da¬
mit die Bahn frei. Neben Karl trat ernstlich als Rivale der französische
König Franz I. in die Schranken. Große Interessen standen beiderseits auf
dem Spiele. Alle Welt wurde durch den Wettkampf der Bewerber aufs Leb¬
hafteste erregt: gewaltige Summen wurden von beiden Seiten zur Bestechung
der deutschen Kurfürsten verschleudert: alle Mittel der Diplomatie wurden in
Scene gesetzt, die Kurfürsten und die öffentliche Meinung in der deutschen
Nation zu bearbeiten; auch der römische Papst sprach in zweideutigster Weise
sein Wort in dies Treiben hinein: das Endresultat wa< daß der Habsburger
am 28. Juni 1519 in Frankfurt gewählt wurde. Wenn man sich ganz ob¬
jectiv den Verlauf der Wahlangelegenheit vergegenwärtigt, so sieht man, wie
sehr die Staatskunst dieser habsburgisch-spanischen Politik den andern Mächten
überlegen gewesen ist: mit der größten Entschiedenheit trat sie auf, sie kannte
den Boden und die Mittel der politischen Action aufs Gründlichste; siL erwog


Grenjvoten II. 1872. 47

Gehorsams hinüber. Also einem Fremdherrscher, für fremde, Spanien wenig
berührende Zwecke sollten Spaniens Reichthümer hingegeben werden — fo
lautete die Klage der spanischen Volksvertreter. Einzelne energische Männer
traten zusammen; sie gaben die Losung aus: man solle den König bitten, in
Spanien zu bleiben und nach den Wünschen der spanischen Cortes zu regie¬
ren. Karl aber bestand auf dem einmal gefaßten Entschlüsse. Er erzwang auch
von den städtischen Behörden in Valladolid das Zugeständnis?, daß man ihm
einen Tribut zahlen würde: trotz des Protestes anderer Städte begann er
seinen Beschluß ausführen zu lassen. Als die Städte sahen, seine Reise wür¬
den sie nicht hindern, verlangten sie, daß in der Landesregierung auch ihnen
eine Stimme ertheilt würde. Karl schob die Antwort hinaus; endlich, im
Begriffe sich einzuschiffen, in Santjago schlug er die Bitte ab: als Regenten
setzte er den Cardinal Adrian ein, den Niederländer; im Mai 1520 ging er
in See.

In der heftigsten Unruhe ließ er Spanien zurück. Seine Krone gerieth
während seiner Abwesenheit in die größte Gefahr. Erst eine Aenderung seiner
Politik hat einen Umschwung zu seinen Gunsten hervorgerufen.

Einstweilen, 1520 und 1521, erschien Karl auf einer neuen Bühne. Die
erste Probe seiner persönlichen Art sollte er in Deutschland ablegen. Er hatte
noch viel zu lernen, ehe er sich als den Mittelpunkt eines weltgeschichtlichen
Momentes ansehen durfte.

Während Karl in Spanien geweilt, hatte der alternde Kaiser Maximi¬
lian seiner Zukunft vorzuarbeiten sich bemüht. Er hatte Alles darauf gerichtet,
daß mit dem Erbe des alten östreichisch-habsburgischen Hausgutes auch die
Kaiserkrone Karl zufalle. Ehe der förmliche Abschluß erzielt, war Maximilian
selbst im Januar 1519 gestorben. Einem verwickelten Jntnguenspiel war da¬
mit die Bahn frei. Neben Karl trat ernstlich als Rivale der französische
König Franz I. in die Schranken. Große Interessen standen beiderseits auf
dem Spiele. Alle Welt wurde durch den Wettkampf der Bewerber aufs Leb¬
hafteste erregt: gewaltige Summen wurden von beiden Seiten zur Bestechung
der deutschen Kurfürsten verschleudert: alle Mittel der Diplomatie wurden in
Scene gesetzt, die Kurfürsten und die öffentliche Meinung in der deutschen
Nation zu bearbeiten; auch der römische Papst sprach in zweideutigster Weise
sein Wort in dies Treiben hinein: das Endresultat wa< daß der Habsburger
am 28. Juni 1519 in Frankfurt gewählt wurde. Wenn man sich ganz ob¬
jectiv den Verlauf der Wahlangelegenheit vergegenwärtigt, so sieht man, wie
sehr die Staatskunst dieser habsburgisch-spanischen Politik den andern Mächten
überlegen gewesen ist: mit der größten Entschiedenheit trat sie auf, sie kannte
den Boden und die Mittel der politischen Action aufs Gründlichste; siL erwog


Grenjvoten II. 1872. 47
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[0377] Gehorsams hinüber. Also einem Fremdherrscher, für fremde, Spanien wenig berührende Zwecke sollten Spaniens Reichthümer hingegeben werden — fo lautete die Klage der spanischen Volksvertreter. Einzelne energische Männer traten zusammen; sie gaben die Losung aus: man solle den König bitten, in Spanien zu bleiben und nach den Wünschen der spanischen Cortes zu regie¬ ren. Karl aber bestand auf dem einmal gefaßten Entschlüsse. Er erzwang auch von den städtischen Behörden in Valladolid das Zugeständnis?, daß man ihm einen Tribut zahlen würde: trotz des Protestes anderer Städte begann er seinen Beschluß ausführen zu lassen. Als die Städte sahen, seine Reise wür¬ den sie nicht hindern, verlangten sie, daß in der Landesregierung auch ihnen eine Stimme ertheilt würde. Karl schob die Antwort hinaus; endlich, im Begriffe sich einzuschiffen, in Santjago schlug er die Bitte ab: als Regenten setzte er den Cardinal Adrian ein, den Niederländer; im Mai 1520 ging er in See. In der heftigsten Unruhe ließ er Spanien zurück. Seine Krone gerieth während seiner Abwesenheit in die größte Gefahr. Erst eine Aenderung seiner Politik hat einen Umschwung zu seinen Gunsten hervorgerufen. Einstweilen, 1520 und 1521, erschien Karl auf einer neuen Bühne. Die erste Probe seiner persönlichen Art sollte er in Deutschland ablegen. Er hatte noch viel zu lernen, ehe er sich als den Mittelpunkt eines weltgeschichtlichen Momentes ansehen durfte. Während Karl in Spanien geweilt, hatte der alternde Kaiser Maximi¬ lian seiner Zukunft vorzuarbeiten sich bemüht. Er hatte Alles darauf gerichtet, daß mit dem Erbe des alten östreichisch-habsburgischen Hausgutes auch die Kaiserkrone Karl zufalle. Ehe der förmliche Abschluß erzielt, war Maximilian selbst im Januar 1519 gestorben. Einem verwickelten Jntnguenspiel war da¬ mit die Bahn frei. Neben Karl trat ernstlich als Rivale der französische König Franz I. in die Schranken. Große Interessen standen beiderseits auf dem Spiele. Alle Welt wurde durch den Wettkampf der Bewerber aufs Leb¬ hafteste erregt: gewaltige Summen wurden von beiden Seiten zur Bestechung der deutschen Kurfürsten verschleudert: alle Mittel der Diplomatie wurden in Scene gesetzt, die Kurfürsten und die öffentliche Meinung in der deutschen Nation zu bearbeiten; auch der römische Papst sprach in zweideutigster Weise sein Wort in dies Treiben hinein: das Endresultat wa< daß der Habsburger am 28. Juni 1519 in Frankfurt gewählt wurde. Wenn man sich ganz ob¬ jectiv den Verlauf der Wahlangelegenheit vergegenwärtigt, so sieht man, wie sehr die Staatskunst dieser habsburgisch-spanischen Politik den andern Mächten überlegen gewesen ist: mit der größten Entschiedenheit trat sie auf, sie kannte den Boden und die Mittel der politischen Action aufs Gründlichste; siL erwog Grenjvoten II. 1872. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/377>, abgerufen am 22.12.2024.