Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

licher Personen eine größere körperliche Bewegung, als die Einzelhaft gewähren
kann, erheischt, und daß die geistige Entwickelung durch die Einsamkeit ver¬
hindert wird. So groß auch für Erwachsene die Vorzüge der Einzelhaft
gegenüber der gemeinsamen Haft sind, müssen wir uns bei jugendlichen Personen
gegen die Einzelhaft aussprechen und dieselbe nur ausnahmsweise und für
kurze Zeit dann zulassen, wenn durch die Nothwendigkeit eine Steigerung der
Strafe geboten wird. Bei der Bekämpfung der Einzelhaft für jugendliche
Personen stoßen wir zwar auf den Widerspruch mancher Schriftsteller, indeß
fehlt es auch nicht an solchen Schriftstellern, welche, gestützt aus eine reiche
umsichtig gesammelte Erfahrung, uns beipflichten. Brunn. welcher zu diesen
gehört, führt auf Grund genauer Wägungen*) an, daß während durchschnitt¬
lich 16 pCt. erwachsene Sträflinge zu den Erkrankten gehörten, dieser Pro¬
centsatz bei jugendlichen Sträflingen in der Einzelhaft 25'88 betrug; nur
7 pCt. zeigten keine Veränderung, mehr als 16 pCt. verloren an Ge¬
wicht, von 43 Kindern wurde 1 in eine Irrenanstalt gebracht. -- Von nicht
geringer Bedeutung ist der besondere Nachtheil, welchen die Einzelhaft für
jugendliche Individuen während und nach der Entwickelung der geschlechtlichen
Reife hat; die Einzelhaft nämlich begünstigt bei ihnen das Laster der Selbst¬
befleckung, welches auf Geist und Körper so verderblich einwirkt.

Bevor wir die Erörterung der Haftsysteme schließen, müssen wir das¬
jenige Haftsystem hervorheben, welches in den "Uebergangsanstalten für
Gefangene" besteht. In diesen Anstalten sollen die Gefangenen die letzte
Zeit ihrer Strafe verbüßen und die in den gewöhnlichen Gefängnissen be¬
gonnene Vorbereitung für die Freiheit vollenden. Die Hauptleistung jener
Anstalten soll darin bestehen, daß sie den Gefangenen körperlich und geistig
kräftigen, damit die nachtheiligen Folgen der in den früheren Gefängnissen
überstandenen Haft beseitigt werden, bevor die Entlassung ihm die Ausgabe
stellt, durch ehrlichen Erwerb in gesundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen.
Als Vorbild für diese Anstalten können die irischen "IlltLrmväiate ?risons"
dienen. Diese Anstalten bilden das eine Glied in dem Strafsysteme von
Croston, welches in Irland seit 1836 zur Anwendung kommt, ein sogenann¬
tes Progressivsystem ist, und darin besteht, daß der Gefangene von vornherein
mehrere Monate in der Einzelhaft, später in der gemeinsamen Haft mit
Rangclafsen, alsdann in der Zwischenanstalt seine Strafe verbüßt und, bei
guter Führung, vor Ablauf der urtheilsmäßigen Strafzeit urlaubsweise aus
der Haft widerruflich entlassen wird.**) Man nennt das System von Crofton




-) I. v. S. 4S7.
-) v. Holtzendorff: Kritische Untersuchungen über die Grundsätze und Ergebnisse des irischen
Strafvollzuges. Berlin 18(!5. - John: Ueber Strafanstalten. Berlin 1865.

licher Personen eine größere körperliche Bewegung, als die Einzelhaft gewähren
kann, erheischt, und daß die geistige Entwickelung durch die Einsamkeit ver¬
hindert wird. So groß auch für Erwachsene die Vorzüge der Einzelhaft
gegenüber der gemeinsamen Haft sind, müssen wir uns bei jugendlichen Personen
gegen die Einzelhaft aussprechen und dieselbe nur ausnahmsweise und für
kurze Zeit dann zulassen, wenn durch die Nothwendigkeit eine Steigerung der
Strafe geboten wird. Bei der Bekämpfung der Einzelhaft für jugendliche
Personen stoßen wir zwar auf den Widerspruch mancher Schriftsteller, indeß
fehlt es auch nicht an solchen Schriftstellern, welche, gestützt aus eine reiche
umsichtig gesammelte Erfahrung, uns beipflichten. Brunn. welcher zu diesen
gehört, führt auf Grund genauer Wägungen*) an, daß während durchschnitt¬
lich 16 pCt. erwachsene Sträflinge zu den Erkrankten gehörten, dieser Pro¬
centsatz bei jugendlichen Sträflingen in der Einzelhaft 25'88 betrug; nur
7 pCt. zeigten keine Veränderung, mehr als 16 pCt. verloren an Ge¬
wicht, von 43 Kindern wurde 1 in eine Irrenanstalt gebracht. — Von nicht
geringer Bedeutung ist der besondere Nachtheil, welchen die Einzelhaft für
jugendliche Individuen während und nach der Entwickelung der geschlechtlichen
Reife hat; die Einzelhaft nämlich begünstigt bei ihnen das Laster der Selbst¬
befleckung, welches auf Geist und Körper so verderblich einwirkt.

Bevor wir die Erörterung der Haftsysteme schließen, müssen wir das¬
jenige Haftsystem hervorheben, welches in den „Uebergangsanstalten für
Gefangene" besteht. In diesen Anstalten sollen die Gefangenen die letzte
Zeit ihrer Strafe verbüßen und die in den gewöhnlichen Gefängnissen be¬
gonnene Vorbereitung für die Freiheit vollenden. Die Hauptleistung jener
Anstalten soll darin bestehen, daß sie den Gefangenen körperlich und geistig
kräftigen, damit die nachtheiligen Folgen der in den früheren Gefängnissen
überstandenen Haft beseitigt werden, bevor die Entlassung ihm die Ausgabe
stellt, durch ehrlichen Erwerb in gesundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen.
Als Vorbild für diese Anstalten können die irischen „IlltLrmväiate ?risons"
dienen. Diese Anstalten bilden das eine Glied in dem Strafsysteme von
Croston, welches in Irland seit 1836 zur Anwendung kommt, ein sogenann¬
tes Progressivsystem ist, und darin besteht, daß der Gefangene von vornherein
mehrere Monate in der Einzelhaft, später in der gemeinsamen Haft mit
Rangclafsen, alsdann in der Zwischenanstalt seine Strafe verbüßt und, bei
guter Führung, vor Ablauf der urtheilsmäßigen Strafzeit urlaubsweise aus
der Haft widerruflich entlassen wird.**) Man nennt das System von Crofton




-) I. v. S. 4S7.
-) v. Holtzendorff: Kritische Untersuchungen über die Grundsätze und Ergebnisse des irischen
Strafvollzuges. Berlin 18(!5. - John: Ueber Strafanstalten. Berlin 1865.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0347" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127743"/>
          <p xml:id="ID_1106" prev="#ID_1105"> licher Personen eine größere körperliche Bewegung, als die Einzelhaft gewähren<lb/>
kann, erheischt, und daß die geistige Entwickelung durch die Einsamkeit ver¬<lb/>
hindert wird. So groß auch für Erwachsene die Vorzüge der Einzelhaft<lb/>
gegenüber der gemeinsamen Haft sind, müssen wir uns bei jugendlichen Personen<lb/>
gegen die Einzelhaft aussprechen und dieselbe nur ausnahmsweise und für<lb/>
kurze Zeit dann zulassen, wenn durch die Nothwendigkeit eine Steigerung der<lb/>
Strafe geboten wird. Bei der Bekämpfung der Einzelhaft für jugendliche<lb/>
Personen stoßen wir zwar auf den Widerspruch mancher Schriftsteller, indeß<lb/>
fehlt es auch nicht an solchen Schriftstellern, welche, gestützt aus eine reiche<lb/>
umsichtig gesammelte Erfahrung, uns beipflichten. Brunn. welcher zu diesen<lb/>
gehört, führt auf Grund genauer Wägungen*) an, daß während durchschnitt¬<lb/>
lich 16 pCt. erwachsene Sträflinge zu den Erkrankten gehörten, dieser Pro¬<lb/>
centsatz bei jugendlichen Sträflingen in der Einzelhaft 25'88 betrug; nur<lb/>
7 pCt. zeigten keine Veränderung, mehr als 16 pCt. verloren an Ge¬<lb/>
wicht, von 43 Kindern wurde 1 in eine Irrenanstalt gebracht. &#x2014; Von nicht<lb/>
geringer Bedeutung ist der besondere Nachtheil, welchen die Einzelhaft für<lb/>
jugendliche Individuen während und nach der Entwickelung der geschlechtlichen<lb/>
Reife hat; die Einzelhaft nämlich begünstigt bei ihnen das Laster der Selbst¬<lb/>
befleckung, welches auf Geist und Körper so verderblich einwirkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1107" next="#ID_1108"> Bevor wir die Erörterung der Haftsysteme schließen, müssen wir das¬<lb/>
jenige Haftsystem hervorheben, welches in den &#x201E;Uebergangsanstalten für<lb/>
Gefangene" besteht. In diesen Anstalten sollen die Gefangenen die letzte<lb/>
Zeit ihrer Strafe verbüßen und die in den gewöhnlichen Gefängnissen be¬<lb/>
gonnene Vorbereitung für die Freiheit vollenden. Die Hauptleistung jener<lb/>
Anstalten soll darin bestehen, daß sie den Gefangenen körperlich und geistig<lb/>
kräftigen, damit die nachtheiligen Folgen der in den früheren Gefängnissen<lb/>
überstandenen Haft beseitigt werden, bevor die Entlassung ihm die Ausgabe<lb/>
stellt, durch ehrlichen Erwerb in gesundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen.<lb/>
Als Vorbild für diese Anstalten können die irischen &#x201E;IlltLrmväiate ?risons"<lb/>
dienen. Diese Anstalten bilden das eine Glied in dem Strafsysteme von<lb/>
Croston, welches in Irland seit 1836 zur Anwendung kommt, ein sogenann¬<lb/>
tes Progressivsystem ist, und darin besteht, daß der Gefangene von vornherein<lb/>
mehrere Monate in der Einzelhaft, später in der gemeinsamen Haft mit<lb/>
Rangclafsen, alsdann in der Zwischenanstalt seine Strafe verbüßt und, bei<lb/>
guter Führung, vor Ablauf der urtheilsmäßigen Strafzeit urlaubsweise aus<lb/>
der Haft widerruflich entlassen wird.**) Man nennt das System von Crofton</p><lb/>
          <note xml:id="FID_97" place="foot"> -) I. v. S. 4S7.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_98" place="foot"> -) v. Holtzendorff: Kritische Untersuchungen über die Grundsätze und Ergebnisse des irischen<lb/>
Strafvollzuges. Berlin 18(!5. - John: Ueber Strafanstalten. Berlin 1865.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0347] licher Personen eine größere körperliche Bewegung, als die Einzelhaft gewähren kann, erheischt, und daß die geistige Entwickelung durch die Einsamkeit ver¬ hindert wird. So groß auch für Erwachsene die Vorzüge der Einzelhaft gegenüber der gemeinsamen Haft sind, müssen wir uns bei jugendlichen Personen gegen die Einzelhaft aussprechen und dieselbe nur ausnahmsweise und für kurze Zeit dann zulassen, wenn durch die Nothwendigkeit eine Steigerung der Strafe geboten wird. Bei der Bekämpfung der Einzelhaft für jugendliche Personen stoßen wir zwar auf den Widerspruch mancher Schriftsteller, indeß fehlt es auch nicht an solchen Schriftstellern, welche, gestützt aus eine reiche umsichtig gesammelte Erfahrung, uns beipflichten. Brunn. welcher zu diesen gehört, führt auf Grund genauer Wägungen*) an, daß während durchschnitt¬ lich 16 pCt. erwachsene Sträflinge zu den Erkrankten gehörten, dieser Pro¬ centsatz bei jugendlichen Sträflingen in der Einzelhaft 25'88 betrug; nur 7 pCt. zeigten keine Veränderung, mehr als 16 pCt. verloren an Ge¬ wicht, von 43 Kindern wurde 1 in eine Irrenanstalt gebracht. — Von nicht geringer Bedeutung ist der besondere Nachtheil, welchen die Einzelhaft für jugendliche Individuen während und nach der Entwickelung der geschlechtlichen Reife hat; die Einzelhaft nämlich begünstigt bei ihnen das Laster der Selbst¬ befleckung, welches auf Geist und Körper so verderblich einwirkt. Bevor wir die Erörterung der Haftsysteme schließen, müssen wir das¬ jenige Haftsystem hervorheben, welches in den „Uebergangsanstalten für Gefangene" besteht. In diesen Anstalten sollen die Gefangenen die letzte Zeit ihrer Strafe verbüßen und die in den gewöhnlichen Gefängnissen be¬ gonnene Vorbereitung für die Freiheit vollenden. Die Hauptleistung jener Anstalten soll darin bestehen, daß sie den Gefangenen körperlich und geistig kräftigen, damit die nachtheiligen Folgen der in den früheren Gefängnissen überstandenen Haft beseitigt werden, bevor die Entlassung ihm die Ausgabe stellt, durch ehrlichen Erwerb in gesundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen. Als Vorbild für diese Anstalten können die irischen „IlltLrmväiate ?risons" dienen. Diese Anstalten bilden das eine Glied in dem Strafsysteme von Croston, welches in Irland seit 1836 zur Anwendung kommt, ein sogenann¬ tes Progressivsystem ist, und darin besteht, daß der Gefangene von vornherein mehrere Monate in der Einzelhaft, später in der gemeinsamen Haft mit Rangclafsen, alsdann in der Zwischenanstalt seine Strafe verbüßt und, bei guter Führung, vor Ablauf der urtheilsmäßigen Strafzeit urlaubsweise aus der Haft widerruflich entlassen wird.**) Man nennt das System von Crofton -) I. v. S. 4S7. -) v. Holtzendorff: Kritische Untersuchungen über die Grundsätze und Ergebnisse des irischen Strafvollzuges. Berlin 18(!5. - John: Ueber Strafanstalten. Berlin 1865.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/347
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/347>, abgerufen am 23.12.2024.