Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

körperlichen Schmerzen dermaßen, daß sie es vermeiden, sich ihnen auszusetzen,
-- der Gedanke daran, daß solche Schmerzen vorübergehen, kann die ab¬
schreckende Wirkung der körperlichen Züchtigung nur bei denjenigen Gefange¬
nen schwächen, welche in höherem Grade abgestumpft sind. Wenn man in
Folge dieser Erwägung die körperliche Züchtigung unter den Disciplinar-
strafen beläßt, müssen wir selbstverständlich darauf halten, daß sie mit der¬
jenigen Vorsicht und Einschränkung angewandt werde, welche durch die Rück¬
sicht auf die Vermeidung einer Gesundheitsschädigung geboten wird. Zehn
Hiebe sollten das äußerste Maaß der körperlichen Züchtigung sein, dieser aber
dürfen überhaupt nur solche Gefangene unterworfen werden, bei denen der
Arzt eine körperliche Züchtigung für zulässig erachtet. In der Voraussetzung
dieser Vorsicht und Einschränkung halte ich die körperliche Züchtigung für
diejenige Disciplinarstrase, gegen welche aus Gesundheitsrücksichten Einwen¬
dungen fast ebenso wenig wie gegen die Einzelhaft sich erheben lassen. Jeden¬
falls ist aus Gesundheitsrücksichten die Abschaffung der Lichtentziehung, der
Latten und der Kostentziehung viel Wünschenswerther als die Abschaffung der
körperlichen Züchtigung.




Line völkerrechtliche Kuriosität weniger.
"

Anfangs Mai ging eine Notiz durch die Presse, nach welcher in diesen
Tagen die seit etwa fünfzig Jahren in der Lösung begriffene Frage wegen
des Gebiets von Altenberg endlich, und zwar ohne Blutvergießen
wirklich gelöst worden sei. Man erfuhr, daß das fraglich gewesene Gebiet
einige Stunden von Aachen zwischen Preußen und Belgien liege, daß es seit
dem zweiten pariser Frieden herrenlos, abgaben-, militair- und verschiedentlich
sonst noch frei gewesen und daß es mit diesen Eigenschaften etwa eine ähn¬
liche Merkwürdigkeit auf der Karte Europa's gebildet, wie das Rittergut
Wolde zwischen Mecklenburg und der Priegnitz, welches bis jetzt ebenfalls in
politischer Beziehung nicht recht weiß, wem es gehört und zinset.

Diese Angaben sind nicht durchaus richtig, und da der Gegenstand eine
Merkwürdigkeit und überdieß als solche im Verschwinden begriffen ist, scheint
es wünschenswerth. daß man sich ihn richtig merkt. Dafür, daß er klein ist.
kann er nichts, auch' darf er sich in diesem Betracht mit andern Raritäten.
Liechtenstein z. B.. Monaco und den Republiken von San Morino und An¬
dorra trösten, die auch klein und doch interessant sind. Gestatten Sie daher,
daß ich Ihnen mit einiger Ausführlichkeit über die Sache berichte.


körperlichen Schmerzen dermaßen, daß sie es vermeiden, sich ihnen auszusetzen,
— der Gedanke daran, daß solche Schmerzen vorübergehen, kann die ab¬
schreckende Wirkung der körperlichen Züchtigung nur bei denjenigen Gefange¬
nen schwächen, welche in höherem Grade abgestumpft sind. Wenn man in
Folge dieser Erwägung die körperliche Züchtigung unter den Disciplinar-
strafen beläßt, müssen wir selbstverständlich darauf halten, daß sie mit der¬
jenigen Vorsicht und Einschränkung angewandt werde, welche durch die Rück¬
sicht auf die Vermeidung einer Gesundheitsschädigung geboten wird. Zehn
Hiebe sollten das äußerste Maaß der körperlichen Züchtigung sein, dieser aber
dürfen überhaupt nur solche Gefangene unterworfen werden, bei denen der
Arzt eine körperliche Züchtigung für zulässig erachtet. In der Voraussetzung
dieser Vorsicht und Einschränkung halte ich die körperliche Züchtigung für
diejenige Disciplinarstrase, gegen welche aus Gesundheitsrücksichten Einwen¬
dungen fast ebenso wenig wie gegen die Einzelhaft sich erheben lassen. Jeden¬
falls ist aus Gesundheitsrücksichten die Abschaffung der Lichtentziehung, der
Latten und der Kostentziehung viel Wünschenswerther als die Abschaffung der
körperlichen Züchtigung.




Line völkerrechtliche Kuriosität weniger.
»

Anfangs Mai ging eine Notiz durch die Presse, nach welcher in diesen
Tagen die seit etwa fünfzig Jahren in der Lösung begriffene Frage wegen
des Gebiets von Altenberg endlich, und zwar ohne Blutvergießen
wirklich gelöst worden sei. Man erfuhr, daß das fraglich gewesene Gebiet
einige Stunden von Aachen zwischen Preußen und Belgien liege, daß es seit
dem zweiten pariser Frieden herrenlos, abgaben-, militair- und verschiedentlich
sonst noch frei gewesen und daß es mit diesen Eigenschaften etwa eine ähn¬
liche Merkwürdigkeit auf der Karte Europa's gebildet, wie das Rittergut
Wolde zwischen Mecklenburg und der Priegnitz, welches bis jetzt ebenfalls in
politischer Beziehung nicht recht weiß, wem es gehört und zinset.

Diese Angaben sind nicht durchaus richtig, und da der Gegenstand eine
Merkwürdigkeit und überdieß als solche im Verschwinden begriffen ist, scheint
es wünschenswerth. daß man sich ihn richtig merkt. Dafür, daß er klein ist.
kann er nichts, auch' darf er sich in diesem Betracht mit andern Raritäten.
Liechtenstein z. B.. Monaco und den Republiken von San Morino und An¬
dorra trösten, die auch klein und doch interessant sind. Gestatten Sie daher,
daß ich Ihnen mit einiger Ausführlichkeit über die Sache berichte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127702"/>
          <p xml:id="ID_989" prev="#ID_988"> körperlichen Schmerzen dermaßen, daß sie es vermeiden, sich ihnen auszusetzen,<lb/>
&#x2014; der Gedanke daran, daß solche Schmerzen vorübergehen, kann die ab¬<lb/>
schreckende Wirkung der körperlichen Züchtigung nur bei denjenigen Gefange¬<lb/>
nen schwächen, welche in höherem Grade abgestumpft sind. Wenn man in<lb/>
Folge dieser Erwägung die körperliche Züchtigung unter den Disciplinar-<lb/>
strafen beläßt, müssen wir selbstverständlich darauf halten, daß sie mit der¬<lb/>
jenigen Vorsicht und Einschränkung angewandt werde, welche durch die Rück¬<lb/>
sicht auf die Vermeidung einer Gesundheitsschädigung geboten wird. Zehn<lb/>
Hiebe sollten das äußerste Maaß der körperlichen Züchtigung sein, dieser aber<lb/>
dürfen überhaupt nur solche Gefangene unterworfen werden, bei denen der<lb/>
Arzt eine körperliche Züchtigung für zulässig erachtet. In der Voraussetzung<lb/>
dieser Vorsicht und Einschränkung halte ich die körperliche Züchtigung für<lb/>
diejenige Disciplinarstrase, gegen welche aus Gesundheitsrücksichten Einwen¬<lb/>
dungen fast ebenso wenig wie gegen die Einzelhaft sich erheben lassen. Jeden¬<lb/>
falls ist aus Gesundheitsrücksichten die Abschaffung der Lichtentziehung, der<lb/>
Latten und der Kostentziehung viel Wünschenswerther als die Abschaffung der<lb/>
körperlichen Züchtigung.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Line völkerrechtliche Kuriosität weniger.<lb/>
»</head><lb/>
          <p xml:id="ID_990"> Anfangs Mai ging eine Notiz durch die Presse, nach welcher in diesen<lb/>
Tagen die seit etwa fünfzig Jahren in der Lösung begriffene Frage wegen<lb/>
des Gebiets von Altenberg endlich, und zwar ohne Blutvergießen<lb/>
wirklich gelöst worden sei. Man erfuhr, daß das fraglich gewesene Gebiet<lb/>
einige Stunden von Aachen zwischen Preußen und Belgien liege, daß es seit<lb/>
dem zweiten pariser Frieden herrenlos, abgaben-, militair- und verschiedentlich<lb/>
sonst noch frei gewesen und daß es mit diesen Eigenschaften etwa eine ähn¬<lb/>
liche Merkwürdigkeit auf der Karte Europa's gebildet, wie das Rittergut<lb/>
Wolde zwischen Mecklenburg und der Priegnitz, welches bis jetzt ebenfalls in<lb/>
politischer Beziehung nicht recht weiß, wem es gehört und zinset.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_991"> Diese Angaben sind nicht durchaus richtig, und da der Gegenstand eine<lb/>
Merkwürdigkeit und überdieß als solche im Verschwinden begriffen ist, scheint<lb/>
es wünschenswerth. daß man sich ihn richtig merkt. Dafür, daß er klein ist.<lb/>
kann er nichts, auch' darf er sich in diesem Betracht mit andern Raritäten.<lb/>
Liechtenstein z. B.. Monaco und den Republiken von San Morino und An¬<lb/>
dorra trösten, die auch klein und doch interessant sind. Gestatten Sie daher,<lb/>
daß ich Ihnen mit einiger Ausführlichkeit über die Sache berichte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0306] körperlichen Schmerzen dermaßen, daß sie es vermeiden, sich ihnen auszusetzen, — der Gedanke daran, daß solche Schmerzen vorübergehen, kann die ab¬ schreckende Wirkung der körperlichen Züchtigung nur bei denjenigen Gefange¬ nen schwächen, welche in höherem Grade abgestumpft sind. Wenn man in Folge dieser Erwägung die körperliche Züchtigung unter den Disciplinar- strafen beläßt, müssen wir selbstverständlich darauf halten, daß sie mit der¬ jenigen Vorsicht und Einschränkung angewandt werde, welche durch die Rück¬ sicht auf die Vermeidung einer Gesundheitsschädigung geboten wird. Zehn Hiebe sollten das äußerste Maaß der körperlichen Züchtigung sein, dieser aber dürfen überhaupt nur solche Gefangene unterworfen werden, bei denen der Arzt eine körperliche Züchtigung für zulässig erachtet. In der Voraussetzung dieser Vorsicht und Einschränkung halte ich die körperliche Züchtigung für diejenige Disciplinarstrase, gegen welche aus Gesundheitsrücksichten Einwen¬ dungen fast ebenso wenig wie gegen die Einzelhaft sich erheben lassen. Jeden¬ falls ist aus Gesundheitsrücksichten die Abschaffung der Lichtentziehung, der Latten und der Kostentziehung viel Wünschenswerther als die Abschaffung der körperlichen Züchtigung. Line völkerrechtliche Kuriosität weniger. » Anfangs Mai ging eine Notiz durch die Presse, nach welcher in diesen Tagen die seit etwa fünfzig Jahren in der Lösung begriffene Frage wegen des Gebiets von Altenberg endlich, und zwar ohne Blutvergießen wirklich gelöst worden sei. Man erfuhr, daß das fraglich gewesene Gebiet einige Stunden von Aachen zwischen Preußen und Belgien liege, daß es seit dem zweiten pariser Frieden herrenlos, abgaben-, militair- und verschiedentlich sonst noch frei gewesen und daß es mit diesen Eigenschaften etwa eine ähn¬ liche Merkwürdigkeit auf der Karte Europa's gebildet, wie das Rittergut Wolde zwischen Mecklenburg und der Priegnitz, welches bis jetzt ebenfalls in politischer Beziehung nicht recht weiß, wem es gehört und zinset. Diese Angaben sind nicht durchaus richtig, und da der Gegenstand eine Merkwürdigkeit und überdieß als solche im Verschwinden begriffen ist, scheint es wünschenswerth. daß man sich ihn richtig merkt. Dafür, daß er klein ist. kann er nichts, auch' darf er sich in diesem Betracht mit andern Raritäten. Liechtenstein z. B.. Monaco und den Republiken von San Morino und An¬ dorra trösten, die auch klein und doch interessant sind. Gestatten Sie daher, daß ich Ihnen mit einiger Ausführlichkeit über die Sache berichte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/306
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/306>, abgerufen am 22.12.2024.