Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen. Die Behandlung der Gefangenen
macht sich geltend in dem Unterrichte und in der Erziehung derselben.

Der Unterricht, welcher in der Gefangenenanstalt ertheilt wird, muß
darauf Rücksicht nehmen, daß viele Gefangene selbst dasjenige, was die Ele¬
mentarschulen darbieten, nicht gelernt, oder Vieles davon vergessen haben.
Während er sich für diese Gefangenen als Elementarunterricht gestaltet, muß
er für andere höher arten, ihnen eine nützliche Vermehrung ihres mitgebrachten
Wissens gewähren und Stoff zum Denken darbieten. Der Unterricht in der
Glaubens- und Sittenlehre muß sich auf alle Gefangenen ausdehnen, damit
sie zu der richtigen Selbsterkenntniß gelangen und in sich denjenigen Halt ge¬
winnen, welcher nach ihrer Entlassung aus der Haft ihnen möglich machen
soll, den das Interesse der Gesellschaft währenden Gesetzen gemäß zu leben
und der Versuchung zu widerstehen, welche ihre Rückfälligkeit zur Folge haben
könnte. Der den Gefangenen zu ertheilende Unterricht, wie die öffentliche
Gesundheitspflege ihn wünscht, hat einen praktischen Zweck, nämlich den, daß
der aus der Haft Entlassene an Kenntnissen bereichert und sittlich gebessert
dem ehrlichen Erwerbe gewachsen sei, durch welchen er in gesundheitsgemäße
Verhältnisse gelangen soll. Wie der Unterricht geartet sein müsse, um diesem
Zwecke zu entsprechen, ist leicht einzusehen, deshalb darf ich hier nicht näher
darauf eingehen. Das Eine aber möchte ich nicht verschweigen, nämlich die
Wahrnehmung, daß man nicht immer den richtigen Weg einschlägt, um den
Gefangenen zur Einkehr in sich selbst und zur Neue zu bewegen. Man sollte
es sorgfältig vermeiden, die Einwirkung auf das Gemüth des Gefangenen so
weit zu treiben, daß seine Reue in Verzweiflung ausarte. Entmuthigung ist
nicht die Quelle frischer Arbeitskraft und nüchterner Selbstbeschränkung, diese
beiden aber braucht der aus der Haft Entlassene, das sollte man nicht ver-
gessen. Ich kann den Wunsch nicht unterdrücken, daß auch in den Gefäng¬
nissen dasjenige Beispiel beherzigt werden möchte, welches Sokrates gab, als
er, um in dem Volke den Hauptsatz aller Wahrheit .,7^^ o'xttvro^" (erkenne
Dich selbst), zu verbreiten, unter den Vornehmen wie in der Werkstätte des
Arbeiters die Menschen anleitete, sittlichen Beweggründen und
Zwecken zu folgen und Vertrauen in die eigene Kraft zu setzen.
Wer die Gefangenen dahin bringt, daß sie in ihr Schuldbewußtsein sich ver¬
tiefen, muß sein Verdienst-vollenden, indem er sie dahin bringt, daß sie zu
dem thatkräftigen Entschlüsse sich erheben, der Gesellschaft zu nützen, -- die
andauernde Zerknirschung aber läßt einen solchen Entschluß nicht reifen.

Richt nur zu der Vermehrung der Kenntnisse und zu der sittlichen Er¬
hebung muß der Unterricht die Gefangenen anleiten, sondern auch zu der Ar-
beit, zu derjenigen Arbeit, welche sie nach der Entlassung aus der Haft ver¬
werthen sollen, um durch ehrlichen Erwerb in gesundheitsgemäße Verhältnisse


sundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen. Die Behandlung der Gefangenen
macht sich geltend in dem Unterrichte und in der Erziehung derselben.

Der Unterricht, welcher in der Gefangenenanstalt ertheilt wird, muß
darauf Rücksicht nehmen, daß viele Gefangene selbst dasjenige, was die Ele¬
mentarschulen darbieten, nicht gelernt, oder Vieles davon vergessen haben.
Während er sich für diese Gefangenen als Elementarunterricht gestaltet, muß
er für andere höher arten, ihnen eine nützliche Vermehrung ihres mitgebrachten
Wissens gewähren und Stoff zum Denken darbieten. Der Unterricht in der
Glaubens- und Sittenlehre muß sich auf alle Gefangenen ausdehnen, damit
sie zu der richtigen Selbsterkenntniß gelangen und in sich denjenigen Halt ge¬
winnen, welcher nach ihrer Entlassung aus der Haft ihnen möglich machen
soll, den das Interesse der Gesellschaft währenden Gesetzen gemäß zu leben
und der Versuchung zu widerstehen, welche ihre Rückfälligkeit zur Folge haben
könnte. Der den Gefangenen zu ertheilende Unterricht, wie die öffentliche
Gesundheitspflege ihn wünscht, hat einen praktischen Zweck, nämlich den, daß
der aus der Haft Entlassene an Kenntnissen bereichert und sittlich gebessert
dem ehrlichen Erwerbe gewachsen sei, durch welchen er in gesundheitsgemäße
Verhältnisse gelangen soll. Wie der Unterricht geartet sein müsse, um diesem
Zwecke zu entsprechen, ist leicht einzusehen, deshalb darf ich hier nicht näher
darauf eingehen. Das Eine aber möchte ich nicht verschweigen, nämlich die
Wahrnehmung, daß man nicht immer den richtigen Weg einschlägt, um den
Gefangenen zur Einkehr in sich selbst und zur Neue zu bewegen. Man sollte
es sorgfältig vermeiden, die Einwirkung auf das Gemüth des Gefangenen so
weit zu treiben, daß seine Reue in Verzweiflung ausarte. Entmuthigung ist
nicht die Quelle frischer Arbeitskraft und nüchterner Selbstbeschränkung, diese
beiden aber braucht der aus der Haft Entlassene, das sollte man nicht ver-
gessen. Ich kann den Wunsch nicht unterdrücken, daß auch in den Gefäng¬
nissen dasjenige Beispiel beherzigt werden möchte, welches Sokrates gab, als
er, um in dem Volke den Hauptsatz aller Wahrheit .,7^^ o'xttvro^" (erkenne
Dich selbst), zu verbreiten, unter den Vornehmen wie in der Werkstätte des
Arbeiters die Menschen anleitete, sittlichen Beweggründen und
Zwecken zu folgen und Vertrauen in die eigene Kraft zu setzen.
Wer die Gefangenen dahin bringt, daß sie in ihr Schuldbewußtsein sich ver¬
tiefen, muß sein Verdienst-vollenden, indem er sie dahin bringt, daß sie zu
dem thatkräftigen Entschlüsse sich erheben, der Gesellschaft zu nützen, — die
andauernde Zerknirschung aber läßt einen solchen Entschluß nicht reifen.

Richt nur zu der Vermehrung der Kenntnisse und zu der sittlichen Er¬
hebung muß der Unterricht die Gefangenen anleiten, sondern auch zu der Ar-
beit, zu derjenigen Arbeit, welche sie nach der Entlassung aus der Haft ver¬
werthen sollen, um durch ehrlichen Erwerb in gesundheitsgemäße Verhältnisse


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127698"/>
          <p xml:id="ID_981" prev="#ID_980"> sundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen. Die Behandlung der Gefangenen<lb/>
macht sich geltend in dem Unterrichte und in der Erziehung derselben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_982"> Der Unterricht, welcher in der Gefangenenanstalt ertheilt wird, muß<lb/>
darauf Rücksicht nehmen, daß viele Gefangene selbst dasjenige, was die Ele¬<lb/>
mentarschulen darbieten, nicht gelernt, oder Vieles davon vergessen haben.<lb/>
Während er sich für diese Gefangenen als Elementarunterricht gestaltet, muß<lb/>
er für andere höher arten, ihnen eine nützliche Vermehrung ihres mitgebrachten<lb/>
Wissens gewähren und Stoff zum Denken darbieten. Der Unterricht in der<lb/>
Glaubens- und Sittenlehre muß sich auf alle Gefangenen ausdehnen, damit<lb/>
sie zu der richtigen Selbsterkenntniß gelangen und in sich denjenigen Halt ge¬<lb/>
winnen, welcher nach ihrer Entlassung aus der Haft ihnen möglich machen<lb/>
soll, den das Interesse der Gesellschaft währenden Gesetzen gemäß zu leben<lb/>
und der Versuchung zu widerstehen, welche ihre Rückfälligkeit zur Folge haben<lb/>
könnte. Der den Gefangenen zu ertheilende Unterricht, wie die öffentliche<lb/>
Gesundheitspflege ihn wünscht, hat einen praktischen Zweck, nämlich den, daß<lb/>
der aus der Haft Entlassene an Kenntnissen bereichert und sittlich gebessert<lb/>
dem ehrlichen Erwerbe gewachsen sei, durch welchen er in gesundheitsgemäße<lb/>
Verhältnisse gelangen soll. Wie der Unterricht geartet sein müsse, um diesem<lb/>
Zwecke zu entsprechen, ist leicht einzusehen, deshalb darf ich hier nicht näher<lb/>
darauf eingehen. Das Eine aber möchte ich nicht verschweigen, nämlich die<lb/>
Wahrnehmung, daß man nicht immer den richtigen Weg einschlägt, um den<lb/>
Gefangenen zur Einkehr in sich selbst und zur Neue zu bewegen. Man sollte<lb/>
es sorgfältig vermeiden, die Einwirkung auf das Gemüth des Gefangenen so<lb/>
weit zu treiben, daß seine Reue in Verzweiflung ausarte. Entmuthigung ist<lb/>
nicht die Quelle frischer Arbeitskraft und nüchterner Selbstbeschränkung, diese<lb/>
beiden aber braucht der aus der Haft Entlassene, das sollte man nicht ver-<lb/>
gessen. Ich kann den Wunsch nicht unterdrücken, daß auch in den Gefäng¬<lb/>
nissen dasjenige Beispiel beherzigt werden möchte, welches Sokrates gab, als<lb/>
er, um in dem Volke den Hauptsatz aller Wahrheit .,7^^ o'xttvro^" (erkenne<lb/>
Dich selbst), zu verbreiten, unter den Vornehmen wie in der Werkstätte des<lb/>
Arbeiters die Menschen anleitete, sittlichen Beweggründen und<lb/>
Zwecken zu folgen und Vertrauen in die eigene Kraft zu setzen.<lb/>
Wer die Gefangenen dahin bringt, daß sie in ihr Schuldbewußtsein sich ver¬<lb/>
tiefen, muß sein Verdienst-vollenden, indem er sie dahin bringt, daß sie zu<lb/>
dem thatkräftigen Entschlüsse sich erheben, der Gesellschaft zu nützen, &#x2014; die<lb/>
andauernde Zerknirschung aber läßt einen solchen Entschluß nicht reifen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_983" next="#ID_984"> Richt nur zu der Vermehrung der Kenntnisse und zu der sittlichen Er¬<lb/>
hebung muß der Unterricht die Gefangenen anleiten, sondern auch zu der Ar-<lb/>
beit, zu derjenigen Arbeit, welche sie nach der Entlassung aus der Haft ver¬<lb/>
werthen sollen, um durch ehrlichen Erwerb in gesundheitsgemäße Verhältnisse</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] sundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen. Die Behandlung der Gefangenen macht sich geltend in dem Unterrichte und in der Erziehung derselben. Der Unterricht, welcher in der Gefangenenanstalt ertheilt wird, muß darauf Rücksicht nehmen, daß viele Gefangene selbst dasjenige, was die Ele¬ mentarschulen darbieten, nicht gelernt, oder Vieles davon vergessen haben. Während er sich für diese Gefangenen als Elementarunterricht gestaltet, muß er für andere höher arten, ihnen eine nützliche Vermehrung ihres mitgebrachten Wissens gewähren und Stoff zum Denken darbieten. Der Unterricht in der Glaubens- und Sittenlehre muß sich auf alle Gefangenen ausdehnen, damit sie zu der richtigen Selbsterkenntniß gelangen und in sich denjenigen Halt ge¬ winnen, welcher nach ihrer Entlassung aus der Haft ihnen möglich machen soll, den das Interesse der Gesellschaft währenden Gesetzen gemäß zu leben und der Versuchung zu widerstehen, welche ihre Rückfälligkeit zur Folge haben könnte. Der den Gefangenen zu ertheilende Unterricht, wie die öffentliche Gesundheitspflege ihn wünscht, hat einen praktischen Zweck, nämlich den, daß der aus der Haft Entlassene an Kenntnissen bereichert und sittlich gebessert dem ehrlichen Erwerbe gewachsen sei, durch welchen er in gesundheitsgemäße Verhältnisse gelangen soll. Wie der Unterricht geartet sein müsse, um diesem Zwecke zu entsprechen, ist leicht einzusehen, deshalb darf ich hier nicht näher darauf eingehen. Das Eine aber möchte ich nicht verschweigen, nämlich die Wahrnehmung, daß man nicht immer den richtigen Weg einschlägt, um den Gefangenen zur Einkehr in sich selbst und zur Neue zu bewegen. Man sollte es sorgfältig vermeiden, die Einwirkung auf das Gemüth des Gefangenen so weit zu treiben, daß seine Reue in Verzweiflung ausarte. Entmuthigung ist nicht die Quelle frischer Arbeitskraft und nüchterner Selbstbeschränkung, diese beiden aber braucht der aus der Haft Entlassene, das sollte man nicht ver- gessen. Ich kann den Wunsch nicht unterdrücken, daß auch in den Gefäng¬ nissen dasjenige Beispiel beherzigt werden möchte, welches Sokrates gab, als er, um in dem Volke den Hauptsatz aller Wahrheit .,7^^ o'xttvro^" (erkenne Dich selbst), zu verbreiten, unter den Vornehmen wie in der Werkstätte des Arbeiters die Menschen anleitete, sittlichen Beweggründen und Zwecken zu folgen und Vertrauen in die eigene Kraft zu setzen. Wer die Gefangenen dahin bringt, daß sie in ihr Schuldbewußtsein sich ver¬ tiefen, muß sein Verdienst-vollenden, indem er sie dahin bringt, daß sie zu dem thatkräftigen Entschlüsse sich erheben, der Gesellschaft zu nützen, — die andauernde Zerknirschung aber läßt einen solchen Entschluß nicht reifen. Richt nur zu der Vermehrung der Kenntnisse und zu der sittlichen Er¬ hebung muß der Unterricht die Gefangenen anleiten, sondern auch zu der Ar- beit, zu derjenigen Arbeit, welche sie nach der Entlassung aus der Haft ver¬ werthen sollen, um durch ehrlichen Erwerb in gesundheitsgemäße Verhältnisse

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/302>, abgerufen am 22.07.2024.