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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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es billige, daß durch die neuere Gesetzgebung die Dauer der Strafhaft abge¬
kürzt, die frühere kürzeste Haftdauer von 2 Jahren auf 1 Jahr herabgesetzt,
und die Möglichkeit, den Gefangenen vor Ablauf der urtheilsmäßigen Straf¬
zeit aus der Haft widerruflich zu entlassen, dargeboten wird. Diese vorläufige
Entlassung, welche in verschiedenen Ländern eingeführt ist, besteht in einer
Beurlaubung solcher Sträflinge, welche sich während der Haft durch gute
Führung auszeichnen. So können zum Beispiel in Deutschland (nach § 23
des Strafgesetzbuches) die zu einer längeren Zuchthaus- oder Gefängnißstrafe
Beurtheilten, wenn sie 3 Viertheile, mindestens aber 1 Jahr der ihnen auf¬
erlegten Strafe verbüßt und sich während dieser Zeit gut aufgeführt haben,
vorläufig entlassen werden.

Die Einmischung der öffentlichen Gesundheitspflege in das Gefängni߬
wesen ist nicht überall willkommen. Unter den Einwänden, mit denen man
sie fernhalten will, begegnen wir namentlich auch demjenigen, welcher die
Thatsache geltend zu machen versucht, daß es Gefangene gibt, deren Gesund¬
heitszustand bei der Entlassung aus dem Gefängnisse besser ist, als er bei dem
Beginne der Haft war. Aber selbst dann, wenn diese Gefangenen zahlreicher
wären als sie sind, dürften sie die Fürsorge der öffentlichen Gesundheitspflege
von den anderen Gefangenen nicht ablenken, deren Gesundheit durch die Haft
angegriffen wird. Letzteres geschieht natürlicherweise in verschiedenem Maaße,
je nach dem Widerstandsvermögen der Gefangenen, welches von dem Alter,
der Constitution und Krankheitsanlagen derselben, von der Dauer der Haft
u. s. w. abhängt. Abgesehen von den ausgesprochenermaßen Erkrankten, zeigte
in allen von mir besuchten Strafanstalten die überwiegend große Zahl der
Gefangenen fahle Gesichtsfarbe, schlaffe Muskulatur, Blutarmuth und Ent¬
kräftung, insbesondere machte ich diese Wahrnehmung bei solchen Gefangenen,
welche bereits 1 Jahr der Strafhaft zurückgelegt hatten. Hiermit stimmen
auch die von verschiedenen Beobachtern gemachten Wahrnehmungen überein.
So erfahren wir z. B. von dem Chef der Abtheilung für Gefangenwesen in
dem dänischen Justizministerium Brunn/) daß in dem dänischen Zellenge¬
fängnisse Vroedsloeselille, während eine Strafzeit, welche noch nicht 1 Jahr
gedauert hatte, der Gesundheit fast gar nicht schadete, bei einer Strafzeit
von 16 Monaten schon viele Gefangene angegriffen waren und zwar war
die Anzahl dieser Angegriffenen verhältnißmäßig größer als die Zahl der¬
jenigen Angegriffenen, welche in den Strafanstalten überhaupt vorkamen; bei
einer Haftzeit von 2'/- Jahren stieg die Procentzahl der Angegriffenen auf 4 071,
von 3^2 Jahren auf 44-12; das ungünstigste Verhältniß zeigten die Sträf¬
linge in dem Alter von 15 bis 18 Jahren, die Zahl der Angegriffenen be-



') I. S. 545.

es billige, daß durch die neuere Gesetzgebung die Dauer der Strafhaft abge¬
kürzt, die frühere kürzeste Haftdauer von 2 Jahren auf 1 Jahr herabgesetzt,
und die Möglichkeit, den Gefangenen vor Ablauf der urtheilsmäßigen Straf¬
zeit aus der Haft widerruflich zu entlassen, dargeboten wird. Diese vorläufige
Entlassung, welche in verschiedenen Ländern eingeführt ist, besteht in einer
Beurlaubung solcher Sträflinge, welche sich während der Haft durch gute
Führung auszeichnen. So können zum Beispiel in Deutschland (nach § 23
des Strafgesetzbuches) die zu einer längeren Zuchthaus- oder Gefängnißstrafe
Beurtheilten, wenn sie 3 Viertheile, mindestens aber 1 Jahr der ihnen auf¬
erlegten Strafe verbüßt und sich während dieser Zeit gut aufgeführt haben,
vorläufig entlassen werden.

Die Einmischung der öffentlichen Gesundheitspflege in das Gefängni߬
wesen ist nicht überall willkommen. Unter den Einwänden, mit denen man
sie fernhalten will, begegnen wir namentlich auch demjenigen, welcher die
Thatsache geltend zu machen versucht, daß es Gefangene gibt, deren Gesund¬
heitszustand bei der Entlassung aus dem Gefängnisse besser ist, als er bei dem
Beginne der Haft war. Aber selbst dann, wenn diese Gefangenen zahlreicher
wären als sie sind, dürften sie die Fürsorge der öffentlichen Gesundheitspflege
von den anderen Gefangenen nicht ablenken, deren Gesundheit durch die Haft
angegriffen wird. Letzteres geschieht natürlicherweise in verschiedenem Maaße,
je nach dem Widerstandsvermögen der Gefangenen, welches von dem Alter,
der Constitution und Krankheitsanlagen derselben, von der Dauer der Haft
u. s. w. abhängt. Abgesehen von den ausgesprochenermaßen Erkrankten, zeigte
in allen von mir besuchten Strafanstalten die überwiegend große Zahl der
Gefangenen fahle Gesichtsfarbe, schlaffe Muskulatur, Blutarmuth und Ent¬
kräftung, insbesondere machte ich diese Wahrnehmung bei solchen Gefangenen,
welche bereits 1 Jahr der Strafhaft zurückgelegt hatten. Hiermit stimmen
auch die von verschiedenen Beobachtern gemachten Wahrnehmungen überein.
So erfahren wir z. B. von dem Chef der Abtheilung für Gefangenwesen in
dem dänischen Justizministerium Brunn/) daß in dem dänischen Zellenge¬
fängnisse Vroedsloeselille, während eine Strafzeit, welche noch nicht 1 Jahr
gedauert hatte, der Gesundheit fast gar nicht schadete, bei einer Strafzeit
von 16 Monaten schon viele Gefangene angegriffen waren und zwar war
die Anzahl dieser Angegriffenen verhältnißmäßig größer als die Zahl der¬
jenigen Angegriffenen, welche in den Strafanstalten überhaupt vorkamen; bei
einer Haftzeit von 2'/- Jahren stieg die Procentzahl der Angegriffenen auf 4 071,
von 3^2 Jahren auf 44-12; das ungünstigste Verhältniß zeigten die Sträf¬
linge in dem Alter von 15 bis 18 Jahren, die Zahl der Angegriffenen be-



') I. S. 545.
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[0294] es billige, daß durch die neuere Gesetzgebung die Dauer der Strafhaft abge¬ kürzt, die frühere kürzeste Haftdauer von 2 Jahren auf 1 Jahr herabgesetzt, und die Möglichkeit, den Gefangenen vor Ablauf der urtheilsmäßigen Straf¬ zeit aus der Haft widerruflich zu entlassen, dargeboten wird. Diese vorläufige Entlassung, welche in verschiedenen Ländern eingeführt ist, besteht in einer Beurlaubung solcher Sträflinge, welche sich während der Haft durch gute Führung auszeichnen. So können zum Beispiel in Deutschland (nach § 23 des Strafgesetzbuches) die zu einer längeren Zuchthaus- oder Gefängnißstrafe Beurtheilten, wenn sie 3 Viertheile, mindestens aber 1 Jahr der ihnen auf¬ erlegten Strafe verbüßt und sich während dieser Zeit gut aufgeführt haben, vorläufig entlassen werden. Die Einmischung der öffentlichen Gesundheitspflege in das Gefängni߬ wesen ist nicht überall willkommen. Unter den Einwänden, mit denen man sie fernhalten will, begegnen wir namentlich auch demjenigen, welcher die Thatsache geltend zu machen versucht, daß es Gefangene gibt, deren Gesund¬ heitszustand bei der Entlassung aus dem Gefängnisse besser ist, als er bei dem Beginne der Haft war. Aber selbst dann, wenn diese Gefangenen zahlreicher wären als sie sind, dürften sie die Fürsorge der öffentlichen Gesundheitspflege von den anderen Gefangenen nicht ablenken, deren Gesundheit durch die Haft angegriffen wird. Letzteres geschieht natürlicherweise in verschiedenem Maaße, je nach dem Widerstandsvermögen der Gefangenen, welches von dem Alter, der Constitution und Krankheitsanlagen derselben, von der Dauer der Haft u. s. w. abhängt. Abgesehen von den ausgesprochenermaßen Erkrankten, zeigte in allen von mir besuchten Strafanstalten die überwiegend große Zahl der Gefangenen fahle Gesichtsfarbe, schlaffe Muskulatur, Blutarmuth und Ent¬ kräftung, insbesondere machte ich diese Wahrnehmung bei solchen Gefangenen, welche bereits 1 Jahr der Strafhaft zurückgelegt hatten. Hiermit stimmen auch die von verschiedenen Beobachtern gemachten Wahrnehmungen überein. So erfahren wir z. B. von dem Chef der Abtheilung für Gefangenwesen in dem dänischen Justizministerium Brunn/) daß in dem dänischen Zellenge¬ fängnisse Vroedsloeselille, während eine Strafzeit, welche noch nicht 1 Jahr gedauert hatte, der Gesundheit fast gar nicht schadete, bei einer Strafzeit von 16 Monaten schon viele Gefangene angegriffen waren und zwar war die Anzahl dieser Angegriffenen verhältnißmäßig größer als die Zahl der¬ jenigen Angegriffenen, welche in den Strafanstalten überhaupt vorkamen; bei einer Haftzeit von 2'/- Jahren stieg die Procentzahl der Angegriffenen auf 4 071, von 3^2 Jahren auf 44-12; das ungünstigste Verhältniß zeigten die Sträf¬ linge in dem Alter von 15 bis 18 Jahren, die Zahl der Angegriffenen be- ') I. S. 545.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/294>, abgerufen am 22.07.2024.