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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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liehen Gesellschaft so wenig erwünscht, daß wir ihnen das Verbleiben in dem Gefäng¬
nisse nicht verleiden sollten. Wer wollte wohl aus Rücksicht auf solche Men¬
schen sich dagegen erklären, die Lage der Gefangenen den Ansprüchen der
öffentlichen Gesundheitspflege gemäß zu verbessern?

Die öffentliche Gesundheitspflege weiß sehr wohl, daß, abgesehen von den
Untersuchungsgefangenen, die Haft eine Strafe für die Gefangenen sein und
ihnen Entbehrungen und Leiden auferlegen soll. Die öffentliche Gesundheits¬
pflege weiß dies und hat durchaus nicht das Bestreben, diesen Strafzweck zu
vereiteln. Sie weiß aber auch, daß die Haft außer diesem Zwecke nicht etwa
noch denjenigen hat oder haben darf, die Gesundheit des Gefangenen zu schä¬
digen und sein Leben zu verkürzen. Die öffentliche Gesundheitspflege verlangt
nicht, die Strafe zu entkräften, -- was sie verlangt, ist: daß die Vollstreckung
der Strafe den Rücksichten der öffentlichen Gesundheit entsprechen soll. Bei
den Ansprüchen, welche wir demgemäß an die Vollstreckung der Strafhaft
machen, dürfen wir uns nicht von dem Mitleide mit den Gefangenen bestim¬
men lassen, sondern ausschließlich von dem Interesse der öffentlichen Gesund¬
heitspflege. Nur aus der öffentlichen Gesundheitspflege leiten- wir die Berech¬
tigung unserer Ansprüche an die Gefängnisse her, die öffentliche Gesundheits¬
pflege allein ist es, welche diese Ansprüche begrenzt. Welches aber ist der
Inhalt dieser Ansprüche? Ihr Gesammtinhalt läßt sich, nach meiner Auf¬
fassung, in dem Satze feststellen: Während der Strafhaft muß dem
Gefangenen diejenige Vorbereitung zu Theil werden, welche
ihn nach der Entlassung befähigt, durch ehrlichen Erwerb in
gesundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen.

Ich fürchte nicht den Einwand, daß die Gefängnisse keine Erziehungs- und
Lehr - Anstalten seien, -- wer ihn geltend machen will, dem erwidere ich:
wenn sie es nicht sind, dann sollen sie es werden. Bei dieser Auffassung habe
ich kein anderes Interesse im Auge, als das Interesse der öffentlichen Ge¬
sundheitspflege. Eine gute Erziehung ist überhaupt das sicherste Mittel, Ver¬
brechen zu verhüten; "ü xiü sieuro eng, xiü äiküeil msszio al xrevenire i
dizlitti si ü al xkrtiz^ionars l'eZueai-ionösagt Beccaria.*) Eine gute
Erziehung der Gefangenen hat insbesondere zur Folge, daß die Rück-
fälligkeit der Entlassener und die Rückkehr in die gesundheitsschädliche Haft
verhütet wird.

Wenn ich die Vorbereitung der Gefangenen für die Freiheit als die
Hauptaufgabe bezeichne, welche die öffentliche Gesundheitspflege den Gefäng¬
nissen stellt, möchte ich daran erinnern, daß die Gefängnisse sich dieser Aus-



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liehen Gesellschaft so wenig erwünscht, daß wir ihnen das Verbleiben in dem Gefäng¬
nisse nicht verleiden sollten. Wer wollte wohl aus Rücksicht auf solche Men¬
schen sich dagegen erklären, die Lage der Gefangenen den Ansprüchen der
öffentlichen Gesundheitspflege gemäß zu verbessern?

Die öffentliche Gesundheitspflege weiß sehr wohl, daß, abgesehen von den
Untersuchungsgefangenen, die Haft eine Strafe für die Gefangenen sein und
ihnen Entbehrungen und Leiden auferlegen soll. Die öffentliche Gesundheits¬
pflege weiß dies und hat durchaus nicht das Bestreben, diesen Strafzweck zu
vereiteln. Sie weiß aber auch, daß die Haft außer diesem Zwecke nicht etwa
noch denjenigen hat oder haben darf, die Gesundheit des Gefangenen zu schä¬
digen und sein Leben zu verkürzen. Die öffentliche Gesundheitspflege verlangt
nicht, die Strafe zu entkräften, — was sie verlangt, ist: daß die Vollstreckung
der Strafe den Rücksichten der öffentlichen Gesundheit entsprechen soll. Bei
den Ansprüchen, welche wir demgemäß an die Vollstreckung der Strafhaft
machen, dürfen wir uns nicht von dem Mitleide mit den Gefangenen bestim¬
men lassen, sondern ausschließlich von dem Interesse der öffentlichen Gesund¬
heitspflege. Nur aus der öffentlichen Gesundheitspflege leiten- wir die Berech¬
tigung unserer Ansprüche an die Gefängnisse her, die öffentliche Gesundheits¬
pflege allein ist es, welche diese Ansprüche begrenzt. Welches aber ist der
Inhalt dieser Ansprüche? Ihr Gesammtinhalt läßt sich, nach meiner Auf¬
fassung, in dem Satze feststellen: Während der Strafhaft muß dem
Gefangenen diejenige Vorbereitung zu Theil werden, welche
ihn nach der Entlassung befähigt, durch ehrlichen Erwerb in
gesundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen.

Ich fürchte nicht den Einwand, daß die Gefängnisse keine Erziehungs- und
Lehr - Anstalten seien, — wer ihn geltend machen will, dem erwidere ich:
wenn sie es nicht sind, dann sollen sie es werden. Bei dieser Auffassung habe
ich kein anderes Interesse im Auge, als das Interesse der öffentlichen Ge¬
sundheitspflege. Eine gute Erziehung ist überhaupt das sicherste Mittel, Ver¬
brechen zu verhüten; „ü xiü sieuro eng, xiü äiküeil msszio al xrevenire i
dizlitti si ü al xkrtiz^ionars l'eZueai-ionösagt Beccaria.*) Eine gute
Erziehung der Gefangenen hat insbesondere zur Folge, daß die Rück-
fälligkeit der Entlassener und die Rückkehr in die gesundheitsschädliche Haft
verhütet wird.

Wenn ich die Vorbereitung der Gefangenen für die Freiheit als die
Hauptaufgabe bezeichne, welche die öffentliche Gesundheitspflege den Gefäng¬
nissen stellt, möchte ich daran erinnern, daß die Gefängnisse sich dieser Aus-



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[0290] liehen Gesellschaft so wenig erwünscht, daß wir ihnen das Verbleiben in dem Gefäng¬ nisse nicht verleiden sollten. Wer wollte wohl aus Rücksicht auf solche Men¬ schen sich dagegen erklären, die Lage der Gefangenen den Ansprüchen der öffentlichen Gesundheitspflege gemäß zu verbessern? Die öffentliche Gesundheitspflege weiß sehr wohl, daß, abgesehen von den Untersuchungsgefangenen, die Haft eine Strafe für die Gefangenen sein und ihnen Entbehrungen und Leiden auferlegen soll. Die öffentliche Gesundheits¬ pflege weiß dies und hat durchaus nicht das Bestreben, diesen Strafzweck zu vereiteln. Sie weiß aber auch, daß die Haft außer diesem Zwecke nicht etwa noch denjenigen hat oder haben darf, die Gesundheit des Gefangenen zu schä¬ digen und sein Leben zu verkürzen. Die öffentliche Gesundheitspflege verlangt nicht, die Strafe zu entkräften, — was sie verlangt, ist: daß die Vollstreckung der Strafe den Rücksichten der öffentlichen Gesundheit entsprechen soll. Bei den Ansprüchen, welche wir demgemäß an die Vollstreckung der Strafhaft machen, dürfen wir uns nicht von dem Mitleide mit den Gefangenen bestim¬ men lassen, sondern ausschließlich von dem Interesse der öffentlichen Gesund¬ heitspflege. Nur aus der öffentlichen Gesundheitspflege leiten- wir die Berech¬ tigung unserer Ansprüche an die Gefängnisse her, die öffentliche Gesundheits¬ pflege allein ist es, welche diese Ansprüche begrenzt. Welches aber ist der Inhalt dieser Ansprüche? Ihr Gesammtinhalt läßt sich, nach meiner Auf¬ fassung, in dem Satze feststellen: Während der Strafhaft muß dem Gefangenen diejenige Vorbereitung zu Theil werden, welche ihn nach der Entlassung befähigt, durch ehrlichen Erwerb in gesundheitsgemäße Verhältnisse zu gelangen. Ich fürchte nicht den Einwand, daß die Gefängnisse keine Erziehungs- und Lehr - Anstalten seien, — wer ihn geltend machen will, dem erwidere ich: wenn sie es nicht sind, dann sollen sie es werden. Bei dieser Auffassung habe ich kein anderes Interesse im Auge, als das Interesse der öffentlichen Ge¬ sundheitspflege. Eine gute Erziehung ist überhaupt das sicherste Mittel, Ver¬ brechen zu verhüten; „ü xiü sieuro eng, xiü äiküeil msszio al xrevenire i dizlitti si ü al xkrtiz^ionars l'eZueai-ionösagt Beccaria.*) Eine gute Erziehung der Gefangenen hat insbesondere zur Folge, daß die Rück- fälligkeit der Entlassener und die Rückkehr in die gesundheitsschädliche Haft verhütet wird. Wenn ich die Vorbereitung der Gefangenen für die Freiheit als die Hauptaufgabe bezeichne, welche die öffentliche Gesundheitspflege den Gefäng¬ nissen stellt, möchte ich daran erinnern, daß die Gefängnisse sich dieser Aus- ") ovi ävlitti o unio xcinv. Opvi'ü immort»!,; api Niu'vllvf»« IZLvearw. ZAi/loro »oviimim!», rioori'«et» «<l iwvnAviut-». Vivaim >7W, p. 2>l>.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/290>, abgerufen am 22.07.2024.