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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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trägt der Beitrag, welchen Bayern für die nationale Gemeinschaft liefert, nicht
einmal 10 Millionen.

Eine Sorge, welche die verwiesene Session von Anfang an begleitete,
war die, daß die neue Wendung der Dinge dem Land eine ungeheure Steuer¬
last aufbürden werde. Jene, welche die Sache am schwärzesten darstellten, die
Demokraten, die gegen den "preußischen Militarismus" grollten, waren mit
Zahlen bei der Hand, die gleichbedeutend mit dem Bankrott sind; Kolb, der
geistvolle Statistiker und frühere Deputirte des Abgeordnetenhauses, berechnete
sogar 146 Procent und hoffte noch in der Debatte über die Versailler Ver¬
träge, daß diese Ziffer eine unübersteigliche Schranke zwischen Bayern und
dem Reich begründen solle. Aber auch jene, denen es weniger darauf
ankam, hohe Zahlen bei dieser Gelegenheit herauszustellen, waren ganz ernst¬
lich der Meinung, daß man einer Steigerung von etwa 50 Procent nicht
werde entgehen können und diese Ziffer cursirte noch bei Beginn der jüngsten
Session im Publieum.

Zum Glück war sie eben so unrichtig, wie jede andere; auch nicht um
einen Zoll mußte die Steuerschraube erhöht werden.

Wenn dies Ergebniß schon unter dem Gesichtspunkte höchst erfreulich ist,
daß es die gute Stimmung im Volke fördert und die Lügen derer vernichtend
widerlegt, die sein nationales Streben mit dem "wirthschaftlichen Ruin" zu
erschrecken suchen, so bleibt daneben doch auch das objective Resultat bewunderns-
werth. Wir meinen die unerwartete materielle Prosperität des Landes, die
mit seiner unerwarteten politischen Entwickelung Hand in Hand ging und die
es allein ermöglichte, daß die Einnahmen in rascher Folge den gesteigerten
Ausgaben nachwuchsen. Den Maßstab hierfür bilden die indirecten Steuern,
deren Ertrag selbst die kräftigsten Voranschläge überflügelt. Von den Rega¬
lien ist die Einnahme aus den Eisenbahnen am meisten gestiegen, von den
Staatsdomänen die der Waldungen.

Merkwürdig ist indeß neben diesen Factoren das niedrige Ergebniß der
directen Steuern, von denen nur zwei oder drei Kategorien (Haus-, Grund-
und Gewerbesteuer) mehr als eine Million Gulden in die Steuereasse liefern.
Am allerwenigsten indeß trägt die Capitalrentensteuer ein, ein Beweis, daß eben
doch nur mittleres Vermögen (das noch in mäßigem Ansatz besteuert wird)
in Bayern vorhanden ist; große Reichthümer, die von den progressiven Zahlen
der Steuertabelle erreicht würden, finden sich nur wenige.

Wir haben damit die materiellen und politischen Gesichtspunkte, die das
Finanzgesetz bietet, in Kürze commentirt. Nach bayrischen Normen ist es
üblich, daß dem Budget noch, überdies eine Reihe von Wünschen und An¬
trägen beigeschlossen werden, auf die der Monarch im Landtagsabschied Be-


trägt der Beitrag, welchen Bayern für die nationale Gemeinschaft liefert, nicht
einmal 10 Millionen.

Eine Sorge, welche die verwiesene Session von Anfang an begleitete,
war die, daß die neue Wendung der Dinge dem Land eine ungeheure Steuer¬
last aufbürden werde. Jene, welche die Sache am schwärzesten darstellten, die
Demokraten, die gegen den „preußischen Militarismus" grollten, waren mit
Zahlen bei der Hand, die gleichbedeutend mit dem Bankrott sind; Kolb, der
geistvolle Statistiker und frühere Deputirte des Abgeordnetenhauses, berechnete
sogar 146 Procent und hoffte noch in der Debatte über die Versailler Ver¬
träge, daß diese Ziffer eine unübersteigliche Schranke zwischen Bayern und
dem Reich begründen solle. Aber auch jene, denen es weniger darauf
ankam, hohe Zahlen bei dieser Gelegenheit herauszustellen, waren ganz ernst¬
lich der Meinung, daß man einer Steigerung von etwa 50 Procent nicht
werde entgehen können und diese Ziffer cursirte noch bei Beginn der jüngsten
Session im Publieum.

Zum Glück war sie eben so unrichtig, wie jede andere; auch nicht um
einen Zoll mußte die Steuerschraube erhöht werden.

Wenn dies Ergebniß schon unter dem Gesichtspunkte höchst erfreulich ist,
daß es die gute Stimmung im Volke fördert und die Lügen derer vernichtend
widerlegt, die sein nationales Streben mit dem „wirthschaftlichen Ruin" zu
erschrecken suchen, so bleibt daneben doch auch das objective Resultat bewunderns-
werth. Wir meinen die unerwartete materielle Prosperität des Landes, die
mit seiner unerwarteten politischen Entwickelung Hand in Hand ging und die
es allein ermöglichte, daß die Einnahmen in rascher Folge den gesteigerten
Ausgaben nachwuchsen. Den Maßstab hierfür bilden die indirecten Steuern,
deren Ertrag selbst die kräftigsten Voranschläge überflügelt. Von den Rega¬
lien ist die Einnahme aus den Eisenbahnen am meisten gestiegen, von den
Staatsdomänen die der Waldungen.

Merkwürdig ist indeß neben diesen Factoren das niedrige Ergebniß der
directen Steuern, von denen nur zwei oder drei Kategorien (Haus-, Grund-
und Gewerbesteuer) mehr als eine Million Gulden in die Steuereasse liefern.
Am allerwenigsten indeß trägt die Capitalrentensteuer ein, ein Beweis, daß eben
doch nur mittleres Vermögen (das noch in mäßigem Ansatz besteuert wird)
in Bayern vorhanden ist; große Reichthümer, die von den progressiven Zahlen
der Steuertabelle erreicht würden, finden sich nur wenige.

Wir haben damit die materiellen und politischen Gesichtspunkte, die das
Finanzgesetz bietet, in Kürze commentirt. Nach bayrischen Normen ist es
üblich, daß dem Budget noch, überdies eine Reihe von Wünschen und An¬
trägen beigeschlossen werden, auf die der Monarch im Landtagsabschied Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/274>, abgerufen am 22.07.2024.