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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Freiburger Instituts: "Diese Brüderschaft gehört jenem Orden der Karme¬
liter, die über ihren weißen Talar vorn und auf dem Rücken herabhängend
einen breiten schwarzen Tuchstreifen tragen, welcher den Namen Scapulier
führt. Für die Brüderschaft hat man diesen Streifen dahin beschnitten, daß
er jetzt nur noch aus zwei viereckigen Läppchen von der Größe eines Quadrat¬
zolls besteht, welche durch Bänder zusammenhängen und unter den Kleidern
so zu tragen sind, daß das eine Läppchen auf die Brust, das andere auf den
Rücken fällt. Unter Gebetsformeln und Einsegnung sowie Besprengen mit
Weihwasser, geschah die Aufnahme in diesen Bund. Man hatte dann weiter
nichts zu thun als von dem Tage an die zwei Läppchen zu tragen und zu
sorgen, daß der Talisman nicht abfiel. Deshalb konnte das Scapulier von
Zeit zu Zeit durch ein neues ersetzt werden, denn die Weihe haftete an der
Person. Außerdem mußte man alle Tage eine bestimmte Anzahl Ave Maria
sprechen, und damit war alles abgethan. Ueber Ursprung und Zweck dieser
Bruderschaft belehrt uns der Pater Maurel in einem zu Lyon mit Geneh¬
migung des Erzbischofs vor wenigen Jahren erschienenen Buche, in welchem
ich also lese: Die Verehrung, welche wir unserm Ordensgewande zollen,
schreibt sich auf eine glänzende Erscheinung der Mutter Gottes zurück, mit
welcher der Ordensgeneral der Karmeliter, der heilige Simon Stock, am 16.
Juli 1251 zu Cambridge in England begnadigt wurde. Die heilige Jung¬
frau weihte ihm ein Ordensgewand, das sie in ihren Händen hielt und sprach:
"Mein Sohn, nimm dies Gewand als Zeichen meines Ordens und zum Schutz
gegen alle Gefahren. Jeder, der mit diesem Gewände bekleidet stirbt, wird
der höllischen Verdammniß entrinnen." Gemäß dieser Offenbarung glauben
Wir, daß alle, die das Glück haben, im Augenblicke des Todes unser Ordens¬
gewand zu tragen, bei Gott begnadigt und von dem ewigen Feuer erlöset
werden. Ja, um gewiß zu sein, daß man selig sterben werde, muß man zu
unserer Bruderschaft gehören, das Ordensgewand tragen und es im Augen¬
blicke des Todes um sich haben; weiter ist nichts nöthig zur Seligkeit. Man
kann zwar auch ohne unser Ordensgewand in den Himmel kommen, aber
trotzdem ist es allen ein sicherer Reisepaß auf dem Wege in die Stadt der Aus¬
erwählten u, f. w. Wie beglückt fühlten wir uns aus der Hand unserer
besorgten Väter solch ein Schutz- und Trutzmittel wider die Hölle zu erhalten!
Ich habe mich nie schlafen gelegt, ohne mich zuvor zu überzeugen, daß beide
Scapulierläppchen noch fest an ihren Bändern hingen."*) >

Es ist begreiflich, daß der Sinn für äußere Kirchlichkeit, aber
nimmer der Geist für innere Frömmigkeit auf diese Weise genährt werden
konnte. Der Schein des religiösen Lebens, nicht aber das Wesen des reli-



Erinnerungen S. 144--6.

Freiburger Instituts: „Diese Brüderschaft gehört jenem Orden der Karme¬
liter, die über ihren weißen Talar vorn und auf dem Rücken herabhängend
einen breiten schwarzen Tuchstreifen tragen, welcher den Namen Scapulier
führt. Für die Brüderschaft hat man diesen Streifen dahin beschnitten, daß
er jetzt nur noch aus zwei viereckigen Läppchen von der Größe eines Quadrat¬
zolls besteht, welche durch Bänder zusammenhängen und unter den Kleidern
so zu tragen sind, daß das eine Läppchen auf die Brust, das andere auf den
Rücken fällt. Unter Gebetsformeln und Einsegnung sowie Besprengen mit
Weihwasser, geschah die Aufnahme in diesen Bund. Man hatte dann weiter
nichts zu thun als von dem Tage an die zwei Läppchen zu tragen und zu
sorgen, daß der Talisman nicht abfiel. Deshalb konnte das Scapulier von
Zeit zu Zeit durch ein neues ersetzt werden, denn die Weihe haftete an der
Person. Außerdem mußte man alle Tage eine bestimmte Anzahl Ave Maria
sprechen, und damit war alles abgethan. Ueber Ursprung und Zweck dieser
Bruderschaft belehrt uns der Pater Maurel in einem zu Lyon mit Geneh¬
migung des Erzbischofs vor wenigen Jahren erschienenen Buche, in welchem
ich also lese: Die Verehrung, welche wir unserm Ordensgewande zollen,
schreibt sich auf eine glänzende Erscheinung der Mutter Gottes zurück, mit
welcher der Ordensgeneral der Karmeliter, der heilige Simon Stock, am 16.
Juli 1251 zu Cambridge in England begnadigt wurde. Die heilige Jung¬
frau weihte ihm ein Ordensgewand, das sie in ihren Händen hielt und sprach:
„Mein Sohn, nimm dies Gewand als Zeichen meines Ordens und zum Schutz
gegen alle Gefahren. Jeder, der mit diesem Gewände bekleidet stirbt, wird
der höllischen Verdammniß entrinnen." Gemäß dieser Offenbarung glauben
Wir, daß alle, die das Glück haben, im Augenblicke des Todes unser Ordens¬
gewand zu tragen, bei Gott begnadigt und von dem ewigen Feuer erlöset
werden. Ja, um gewiß zu sein, daß man selig sterben werde, muß man zu
unserer Bruderschaft gehören, das Ordensgewand tragen und es im Augen¬
blicke des Todes um sich haben; weiter ist nichts nöthig zur Seligkeit. Man
kann zwar auch ohne unser Ordensgewand in den Himmel kommen, aber
trotzdem ist es allen ein sicherer Reisepaß auf dem Wege in die Stadt der Aus¬
erwählten u, f. w. Wie beglückt fühlten wir uns aus der Hand unserer
besorgten Väter solch ein Schutz- und Trutzmittel wider die Hölle zu erhalten!
Ich habe mich nie schlafen gelegt, ohne mich zuvor zu überzeugen, daß beide
Scapulierläppchen noch fest an ihren Bändern hingen."*) >

Es ist begreiflich, daß der Sinn für äußere Kirchlichkeit, aber
nimmer der Geist für innere Frömmigkeit auf diese Weise genährt werden
konnte. Der Schein des religiösen Lebens, nicht aber das Wesen des reli-



Erinnerungen S. 144—6.
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[0267] Freiburger Instituts: „Diese Brüderschaft gehört jenem Orden der Karme¬ liter, die über ihren weißen Talar vorn und auf dem Rücken herabhängend einen breiten schwarzen Tuchstreifen tragen, welcher den Namen Scapulier führt. Für die Brüderschaft hat man diesen Streifen dahin beschnitten, daß er jetzt nur noch aus zwei viereckigen Läppchen von der Größe eines Quadrat¬ zolls besteht, welche durch Bänder zusammenhängen und unter den Kleidern so zu tragen sind, daß das eine Läppchen auf die Brust, das andere auf den Rücken fällt. Unter Gebetsformeln und Einsegnung sowie Besprengen mit Weihwasser, geschah die Aufnahme in diesen Bund. Man hatte dann weiter nichts zu thun als von dem Tage an die zwei Läppchen zu tragen und zu sorgen, daß der Talisman nicht abfiel. Deshalb konnte das Scapulier von Zeit zu Zeit durch ein neues ersetzt werden, denn die Weihe haftete an der Person. Außerdem mußte man alle Tage eine bestimmte Anzahl Ave Maria sprechen, und damit war alles abgethan. Ueber Ursprung und Zweck dieser Bruderschaft belehrt uns der Pater Maurel in einem zu Lyon mit Geneh¬ migung des Erzbischofs vor wenigen Jahren erschienenen Buche, in welchem ich also lese: Die Verehrung, welche wir unserm Ordensgewande zollen, schreibt sich auf eine glänzende Erscheinung der Mutter Gottes zurück, mit welcher der Ordensgeneral der Karmeliter, der heilige Simon Stock, am 16. Juli 1251 zu Cambridge in England begnadigt wurde. Die heilige Jung¬ frau weihte ihm ein Ordensgewand, das sie in ihren Händen hielt und sprach: „Mein Sohn, nimm dies Gewand als Zeichen meines Ordens und zum Schutz gegen alle Gefahren. Jeder, der mit diesem Gewände bekleidet stirbt, wird der höllischen Verdammniß entrinnen." Gemäß dieser Offenbarung glauben Wir, daß alle, die das Glück haben, im Augenblicke des Todes unser Ordens¬ gewand zu tragen, bei Gott begnadigt und von dem ewigen Feuer erlöset werden. Ja, um gewiß zu sein, daß man selig sterben werde, muß man zu unserer Bruderschaft gehören, das Ordensgewand tragen und es im Augen¬ blicke des Todes um sich haben; weiter ist nichts nöthig zur Seligkeit. Man kann zwar auch ohne unser Ordensgewand in den Himmel kommen, aber trotzdem ist es allen ein sicherer Reisepaß auf dem Wege in die Stadt der Aus¬ erwählten u, f. w. Wie beglückt fühlten wir uns aus der Hand unserer besorgten Väter solch ein Schutz- und Trutzmittel wider die Hölle zu erhalten! Ich habe mich nie schlafen gelegt, ohne mich zuvor zu überzeugen, daß beide Scapulierläppchen noch fest an ihren Bändern hingen."*) > Es ist begreiflich, daß der Sinn für äußere Kirchlichkeit, aber nimmer der Geist für innere Frömmigkeit auf diese Weise genährt werden konnte. Der Schein des religiösen Lebens, nicht aber das Wesen des reli- Erinnerungen S. 144—6.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/267>, abgerufen am 22.12.2024.