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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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ging ich vor dem Schreiben zu unserm Pater Rector selbst auf die Stube und
ersuchte ihn, mir das Nachhauseschreiben in Kraft des heiligen Gehorsams zu
befehlen." Schließlich bittet der Sohn den Vater um ein besonderes Zimmer
im älterlichen Hause, um dort nach Möglichkeit die Lebensart fortzusetzen, die
er nun, Gottlob! bei den Jesuiten so ziemlich erlernt habe. "Von nun an
soll weder Magd noch Stubenmädchen noch auch eine meiner Schwestern")
hineinkommen. Meine liebe Mama aber lasse ich erinnern, daß der heilige
AloHsius seiner fürstlichen Mutter niemals in's Angesicht sah. -- Ich werde
in der Welt leben, ohne der Welt zu leben u. s. w."

So wurde systematisch auch die heiligste Liebe zerstört, und das theuerste
Band, daß Gott selbst gewoben, zerschnitten. Es wird uns nun nicht mehr
befremden, daß wer als Novize eintreten wollte, gefragt wurde, ob er seine
Genossen angeben wolle, daß wenn ein Zögling das Zimmer eines andern
besuchte, die Thür offen stehen mußte, daß mindestens monatlich einmal ge¬
beichtet wurde, daß also alle nur möglichen Wege betreten wurden, um dem
Zögling alle Geheimnisse, selbst der Gedanken und Empfindungen, zu ent¬
reißen, daß der Zögling ganz aufhören sollte, Herr seiner selbst zu sein, und
ganz darin aufgehen, ein willenloses Werkzeug des Ordens zu werden. Denn
der Gehorsam gegen die Oberen ist des Jesuiten höchste Tugend; um mit
ihren eignen Worten zu reden, soll der Jesuit werden so ohne eignen Willen
wie der Leichnam oder der Stab eines Greises. Die Externen wurden natür¬
lich nicht mit solcher Strenge behandelt als die Zöglinge, das erzählt uns
der Zögling des Freiburger Instituts: "Eigenthümlich war es, daß sie eine
Unterredung zwischen nur zwei Zöglingen ohne besondere Erlaubniß nie dul¬
deten; sie verlangten, daß mindestens immer drei sich unterhielten--die
Jesuiten sind in ihrer kosmopolitischen Tendenz geschworene Feinde von allen
Particularfreundschaften, wie sie es nennen.---Wenn sie bemerken,
daß auf den Spaziergängen oder sonst dieselben drei Mann sich zu oft zusam¬
menfanden, so wurde ein solches Kleeblatt sofort getrennt."**)

Oben schon wurde darauf hingewiesen, wie enge Zeitgrenzen dem Reli¬
gionsunterricht auf Gymnasien angewiesen werden; wir werden nun auf den
Ersatz zu achten haben, welchen die jesuitische Erziehung gewährte. An Stelle
des religiösen Unterrichts trat die religiöse Uebung. Vor Anfang der
Schule sollte Jemand ein kurzes Gebet sprechen, welches der Lehrer und alle
Schüler mit entblößtem Haupte und gebeugten Knieen andächtig vernehmen
sollten, zu Anfang der einzelnen Lectionen sollte der Lehrer sich wenigstens
mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes bedecken. Nach dem Landshuter Lehr-
plan wurde in der Schule, so oft die Uhr eine Stunde schlug, gebetet und




") Welcker a. a. O. S. 249--50.
"
) Erinnerungen S. 13S.
Grenzboten I. 1872. 33

ging ich vor dem Schreiben zu unserm Pater Rector selbst auf die Stube und
ersuchte ihn, mir das Nachhauseschreiben in Kraft des heiligen Gehorsams zu
befehlen." Schließlich bittet der Sohn den Vater um ein besonderes Zimmer
im älterlichen Hause, um dort nach Möglichkeit die Lebensart fortzusetzen, die
er nun, Gottlob! bei den Jesuiten so ziemlich erlernt habe. „Von nun an
soll weder Magd noch Stubenmädchen noch auch eine meiner Schwestern")
hineinkommen. Meine liebe Mama aber lasse ich erinnern, daß der heilige
AloHsius seiner fürstlichen Mutter niemals in's Angesicht sah. — Ich werde
in der Welt leben, ohne der Welt zu leben u. s. w."

So wurde systematisch auch die heiligste Liebe zerstört, und das theuerste
Band, daß Gott selbst gewoben, zerschnitten. Es wird uns nun nicht mehr
befremden, daß wer als Novize eintreten wollte, gefragt wurde, ob er seine
Genossen angeben wolle, daß wenn ein Zögling das Zimmer eines andern
besuchte, die Thür offen stehen mußte, daß mindestens monatlich einmal ge¬
beichtet wurde, daß also alle nur möglichen Wege betreten wurden, um dem
Zögling alle Geheimnisse, selbst der Gedanken und Empfindungen, zu ent¬
reißen, daß der Zögling ganz aufhören sollte, Herr seiner selbst zu sein, und
ganz darin aufgehen, ein willenloses Werkzeug des Ordens zu werden. Denn
der Gehorsam gegen die Oberen ist des Jesuiten höchste Tugend; um mit
ihren eignen Worten zu reden, soll der Jesuit werden so ohne eignen Willen
wie der Leichnam oder der Stab eines Greises. Die Externen wurden natür¬
lich nicht mit solcher Strenge behandelt als die Zöglinge, das erzählt uns
der Zögling des Freiburger Instituts: „Eigenthümlich war es, daß sie eine
Unterredung zwischen nur zwei Zöglingen ohne besondere Erlaubniß nie dul¬
deten; sie verlangten, daß mindestens immer drei sich unterhielten--die
Jesuiten sind in ihrer kosmopolitischen Tendenz geschworene Feinde von allen
Particularfreundschaften, wie sie es nennen.---Wenn sie bemerken,
daß auf den Spaziergängen oder sonst dieselben drei Mann sich zu oft zusam¬
menfanden, so wurde ein solches Kleeblatt sofort getrennt."**)

Oben schon wurde darauf hingewiesen, wie enge Zeitgrenzen dem Reli¬
gionsunterricht auf Gymnasien angewiesen werden; wir werden nun auf den
Ersatz zu achten haben, welchen die jesuitische Erziehung gewährte. An Stelle
des religiösen Unterrichts trat die religiöse Uebung. Vor Anfang der
Schule sollte Jemand ein kurzes Gebet sprechen, welches der Lehrer und alle
Schüler mit entblößtem Haupte und gebeugten Knieen andächtig vernehmen
sollten, zu Anfang der einzelnen Lectionen sollte der Lehrer sich wenigstens
mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes bedecken. Nach dem Landshuter Lehr-
plan wurde in der Schule, so oft die Uhr eine Stunde schlug, gebetet und




") Welcker a. a. O. S. 249—50.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/265>, abgerufen am 22.12.2024.