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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Motiven der sittlichen und geistigen Bildung erheben. Daß die Ehrenstellen
in den Classen Belohnungen sein sollen, ist gewiß ein sehr berechtigter Grund¬
satz. Nicht so günstig aber dürfen wir über die Art ihrer Ertheilung ur¬
theilen. Das Ehrenzeichen der Dictator war ein vergoldeter Schlüssels der an
einem reichen Bande von der Brust des Dictators herabhing, sowie eine kost¬
bar gebundene Matrikel, in welche die Namen der Dictatoren eingeschrieben
wurden. So erzählt ein Schüler der Jesuiten, der Wiener Hofbibliothekar
Denis.*) Ein Zögling des Freiburger Instituts berichtet"""): "Alle Monate
fand von dem versammelten Hauspersonal in dem Schauspielsaale Prämien-
vertheilung statt. Aus jeder Classe erhielten drei Schüler, welche sich durch
Fleiß und Sittsamkeit ausgezeichnet hatten, eine Belohnung. Dieselbe be¬
stand in einem kleinen silbernen Palmzweig an weißem, blauem und rothem
Bändchen. Erst mußten das weiße und das blaue Bändchen der Reihe nach
errungen sein, ehe man mit dem rothen geschmückt wurde. Die Palmen
mußte man nach acht Tagen wieder abgeben. Die Bändchen trug man als
Abzeichen bis zur nächsten Prämienvertheilung im Knopfloch. Der Pater
Rector selbst spendete diese Belohnungen. Musik durfte dabei nicht fehlen.
Jedes Ostern, sowie am Schlüsse des Schuljahres, fand eine Prämienver¬
theilung von Büchern in der großen Kapelle des Hauses statt. Der Bischof
und die Noblesse der Stadt wurden dazu geladen, ersterer theilte die Bücher
eigenhändig aus......Auch am Lyceum gab es zu Ostern und Michaelis
Prämien. Der Bischof, die Magistratsmitglieder und sonstige Standesperso¬
nen waren bei der Ertheilung zugegen, um den Auserwählten nach der Reihe
die Prämien zu reichen und das Ordensband anzulegen. Wer in drei Fächern
prämiirt wurde, war dabei so glücklich, mit einem Tusch begrüßt zu werden,
den die Zöglinge nach schweizer Sitte mit einem donnernden Fußstampfen
zum Zeichen ihrer freudigen Beistimmung begleiteten." Ja, es kam auch wohl
vor, nach dem Landshuter Lehrplan, "daß an gewissen öffentlichen Tafeln
schriftlich aufgezeichnet wurde, was von irgend einem talentvoll ausgearbeitet,
zierlich gesagt, geschickt erplicirt, sein erfunden worden ist, damit das Andenken
einer gelungenen Sache zum ewigen Ruhme des Namens im Reiche der Wis¬
senschaft erhalten werde."***) Zu solcher Entartung kann schwerlich ein pro¬
testantisches Erziehungsinstitut sich hinreißen lassen, es ist gewiß, daß der
kategorische Imperativ Kant's aus protestantischen Geiste geboren ist. Zu
gleicher Zeit hält den Protestantismus von derartigen Reizungen der Eitelkeit
und Steigerungen des Selbstgefühls das Bewußtsein ab, alle sittliche Tüch¬
tigkeit der Einwirkung der göttlichen Gnade zu verdanken. Der Katholicis-





") Welcker S. 203.
") Erinnerungen S. 135--6.
") Raumer a. a. O. S. 31S

Motiven der sittlichen und geistigen Bildung erheben. Daß die Ehrenstellen
in den Classen Belohnungen sein sollen, ist gewiß ein sehr berechtigter Grund¬
satz. Nicht so günstig aber dürfen wir über die Art ihrer Ertheilung ur¬
theilen. Das Ehrenzeichen der Dictator war ein vergoldeter Schlüssels der an
einem reichen Bande von der Brust des Dictators herabhing, sowie eine kost¬
bar gebundene Matrikel, in welche die Namen der Dictatoren eingeschrieben
wurden. So erzählt ein Schüler der Jesuiten, der Wiener Hofbibliothekar
Denis.*) Ein Zögling des Freiburger Instituts berichtet"""): „Alle Monate
fand von dem versammelten Hauspersonal in dem Schauspielsaale Prämien-
vertheilung statt. Aus jeder Classe erhielten drei Schüler, welche sich durch
Fleiß und Sittsamkeit ausgezeichnet hatten, eine Belohnung. Dieselbe be¬
stand in einem kleinen silbernen Palmzweig an weißem, blauem und rothem
Bändchen. Erst mußten das weiße und das blaue Bändchen der Reihe nach
errungen sein, ehe man mit dem rothen geschmückt wurde. Die Palmen
mußte man nach acht Tagen wieder abgeben. Die Bändchen trug man als
Abzeichen bis zur nächsten Prämienvertheilung im Knopfloch. Der Pater
Rector selbst spendete diese Belohnungen. Musik durfte dabei nicht fehlen.
Jedes Ostern, sowie am Schlüsse des Schuljahres, fand eine Prämienver¬
theilung von Büchern in der großen Kapelle des Hauses statt. Der Bischof
und die Noblesse der Stadt wurden dazu geladen, ersterer theilte die Bücher
eigenhändig aus......Auch am Lyceum gab es zu Ostern und Michaelis
Prämien. Der Bischof, die Magistratsmitglieder und sonstige Standesperso¬
nen waren bei der Ertheilung zugegen, um den Auserwählten nach der Reihe
die Prämien zu reichen und das Ordensband anzulegen. Wer in drei Fächern
prämiirt wurde, war dabei so glücklich, mit einem Tusch begrüßt zu werden,
den die Zöglinge nach schweizer Sitte mit einem donnernden Fußstampfen
zum Zeichen ihrer freudigen Beistimmung begleiteten." Ja, es kam auch wohl
vor, nach dem Landshuter Lehrplan, „daß an gewissen öffentlichen Tafeln
schriftlich aufgezeichnet wurde, was von irgend einem talentvoll ausgearbeitet,
zierlich gesagt, geschickt erplicirt, sein erfunden worden ist, damit das Andenken
einer gelungenen Sache zum ewigen Ruhme des Namens im Reiche der Wis¬
senschaft erhalten werde."***) Zu solcher Entartung kann schwerlich ein pro¬
testantisches Erziehungsinstitut sich hinreißen lassen, es ist gewiß, daß der
kategorische Imperativ Kant's aus protestantischen Geiste geboren ist. Zu
gleicher Zeit hält den Protestantismus von derartigen Reizungen der Eitelkeit
und Steigerungen des Selbstgefühls das Bewußtsein ab, alle sittliche Tüch¬
tigkeit der Einwirkung der göttlichen Gnade zu verdanken. Der Katholicis-





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[0262] Motiven der sittlichen und geistigen Bildung erheben. Daß die Ehrenstellen in den Classen Belohnungen sein sollen, ist gewiß ein sehr berechtigter Grund¬ satz. Nicht so günstig aber dürfen wir über die Art ihrer Ertheilung ur¬ theilen. Das Ehrenzeichen der Dictator war ein vergoldeter Schlüssels der an einem reichen Bande von der Brust des Dictators herabhing, sowie eine kost¬ bar gebundene Matrikel, in welche die Namen der Dictatoren eingeschrieben wurden. So erzählt ein Schüler der Jesuiten, der Wiener Hofbibliothekar Denis.*) Ein Zögling des Freiburger Instituts berichtet"""): „Alle Monate fand von dem versammelten Hauspersonal in dem Schauspielsaale Prämien- vertheilung statt. Aus jeder Classe erhielten drei Schüler, welche sich durch Fleiß und Sittsamkeit ausgezeichnet hatten, eine Belohnung. Dieselbe be¬ stand in einem kleinen silbernen Palmzweig an weißem, blauem und rothem Bändchen. Erst mußten das weiße und das blaue Bändchen der Reihe nach errungen sein, ehe man mit dem rothen geschmückt wurde. Die Palmen mußte man nach acht Tagen wieder abgeben. Die Bändchen trug man als Abzeichen bis zur nächsten Prämienvertheilung im Knopfloch. Der Pater Rector selbst spendete diese Belohnungen. Musik durfte dabei nicht fehlen. Jedes Ostern, sowie am Schlüsse des Schuljahres, fand eine Prämienver¬ theilung von Büchern in der großen Kapelle des Hauses statt. Der Bischof und die Noblesse der Stadt wurden dazu geladen, ersterer theilte die Bücher eigenhändig aus......Auch am Lyceum gab es zu Ostern und Michaelis Prämien. Der Bischof, die Magistratsmitglieder und sonstige Standesperso¬ nen waren bei der Ertheilung zugegen, um den Auserwählten nach der Reihe die Prämien zu reichen und das Ordensband anzulegen. Wer in drei Fächern prämiirt wurde, war dabei so glücklich, mit einem Tusch begrüßt zu werden, den die Zöglinge nach schweizer Sitte mit einem donnernden Fußstampfen zum Zeichen ihrer freudigen Beistimmung begleiteten." Ja, es kam auch wohl vor, nach dem Landshuter Lehrplan, „daß an gewissen öffentlichen Tafeln schriftlich aufgezeichnet wurde, was von irgend einem talentvoll ausgearbeitet, zierlich gesagt, geschickt erplicirt, sein erfunden worden ist, damit das Andenken einer gelungenen Sache zum ewigen Ruhme des Namens im Reiche der Wis¬ senschaft erhalten werde."***) Zu solcher Entartung kann schwerlich ein pro¬ testantisches Erziehungsinstitut sich hinreißen lassen, es ist gewiß, daß der kategorische Imperativ Kant's aus protestantischen Geiste geboren ist. Zu gleicher Zeit hält den Protestantismus von derartigen Reizungen der Eitelkeit und Steigerungen des Selbstgefühls das Bewußtsein ab, alle sittliche Tüch¬ tigkeit der Einwirkung der göttlichen Gnade zu verdanken. Der Katholicis- ") Welcker S. 203. ") Erinnerungen S. 135—6. ") Raumer a. a. O. S. 31S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/262>, abgerufen am 22.12.2024.