Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Das heißt denn doch nichts anders als eine sichere Methode finden, in der
Mathematik nichts zu lernen und zu leisten. Uns ist diese Bestimmung aber
ein charakteristisches Zeichen, wie ungern die jesuitische Pädagogik vom alten
Lehrplan des 16. Jahrhunderts abweicht, wie schwer sie sich zu Zugeständnissen
entschließt. Keines ist so sauer geworden als die Zulassung des Unterrichts
in der Muttersprache und ihrer Literatur. Von der Mißachtung
der Letzteren von Seiten der Jesuiten empfängt man ein Bild, wenn man
hört, daß im Jahre 1845 in Freiburg Klopstocks Messias, Denis Uebersetzung
des Ossian, Mamosers -- eine sonst überall wohl unbekannte Größe --
-- schlechte Schauspiele und eine von einem Franzosen herausgegebene Antho¬
logie die einzige Lectüre bildeten, welche geboten wurde.") Will man diese
Antipathie gegen die nationale Literatur begreifen, so muß man sich über¬
haupt vergegenwärtigen, wie verschieden der römische Katholicismus und der
evangelische Protestantismus sich zur Idee der Nationalität gestellt
haben. Während letzterer sie freudig und begeistert anerkennt, die Durch¬
dringung des nationalen und christlichen Elements fordert und fördert, das
christliche in das nationale Element eingehen läßt, so ist Rom vielmehr ge¬
sonnen, zu Gunsten einer theokratischen im Papstthum wurzelnden Universal¬
monarchie die Nationalitäten, die Volksindividualitäten zu unterdrücken oder
doch wenigstens in die engsten Schranken zu schließen. Rom läßt daher nicht
zu, daß die herrschende Sprache des Cultus die nationale sei, sondern setzt
an deren Stelle die lateinische. Die lateinische Sprache ist die Sprache der
römischen Kirche im Cultus, in der Regierung und in der Wissenschaft. Der
Volksgeist soll, wenigstens auf dem religiösen Gebiete, nicht in seinen Lauten
reden, der Volksgeist soll nicht seine Herrlichkeit erschließen, indem er Christus
im Spiegel seines eigenen Wesens schaut, vom Geiste Christi sich reinigen und
weihen läßt. In die Hallen der römischen Zwingburg sollen nicht Völker,
nicht individuelle Persönlichkeiten treten, sondern unterschiedslose Exemplare
der Menschheit, einer wie der andere, gehorsame Unterthanen. Daraus be¬
greift sich der Haß der Jesuiten gegen die Muttersprache. "General Bekr er¬
klärt es. noch im Jahre 18S4 für ein Unglück, daß die deutsche Sprache fast
überall die lateinische im Gebrauch verdrängt habe; für ein Unglück, welches
bloß dadurch entstanden, daß der sogenannte große Reformator der Religion
in Deutschland mit seinen Genossen gegen den Gebrauch der lateinischen
Sprache auftürmte; er beklagt, daß man durch gelehrte in der Muttersprache
angestellte Forschungen die Wissenschaft auch denjenigen zugänglich machen
will, welche für ihr Verständniß und ihren Gebrauch nicht die nothwendige
Vorbildung besitzen; wodurch denn eine Menge solcher, die keinen Beruf dazu



Emmcrungm S. 121.

Das heißt denn doch nichts anders als eine sichere Methode finden, in der
Mathematik nichts zu lernen und zu leisten. Uns ist diese Bestimmung aber
ein charakteristisches Zeichen, wie ungern die jesuitische Pädagogik vom alten
Lehrplan des 16. Jahrhunderts abweicht, wie schwer sie sich zu Zugeständnissen
entschließt. Keines ist so sauer geworden als die Zulassung des Unterrichts
in der Muttersprache und ihrer Literatur. Von der Mißachtung
der Letzteren von Seiten der Jesuiten empfängt man ein Bild, wenn man
hört, daß im Jahre 1845 in Freiburg Klopstocks Messias, Denis Uebersetzung
des Ossian, Mamosers — eine sonst überall wohl unbekannte Größe —
— schlechte Schauspiele und eine von einem Franzosen herausgegebene Antho¬
logie die einzige Lectüre bildeten, welche geboten wurde.") Will man diese
Antipathie gegen die nationale Literatur begreifen, so muß man sich über¬
haupt vergegenwärtigen, wie verschieden der römische Katholicismus und der
evangelische Protestantismus sich zur Idee der Nationalität gestellt
haben. Während letzterer sie freudig und begeistert anerkennt, die Durch¬
dringung des nationalen und christlichen Elements fordert und fördert, das
christliche in das nationale Element eingehen läßt, so ist Rom vielmehr ge¬
sonnen, zu Gunsten einer theokratischen im Papstthum wurzelnden Universal¬
monarchie die Nationalitäten, die Volksindividualitäten zu unterdrücken oder
doch wenigstens in die engsten Schranken zu schließen. Rom läßt daher nicht
zu, daß die herrschende Sprache des Cultus die nationale sei, sondern setzt
an deren Stelle die lateinische. Die lateinische Sprache ist die Sprache der
römischen Kirche im Cultus, in der Regierung und in der Wissenschaft. Der
Volksgeist soll, wenigstens auf dem religiösen Gebiete, nicht in seinen Lauten
reden, der Volksgeist soll nicht seine Herrlichkeit erschließen, indem er Christus
im Spiegel seines eigenen Wesens schaut, vom Geiste Christi sich reinigen und
weihen läßt. In die Hallen der römischen Zwingburg sollen nicht Völker,
nicht individuelle Persönlichkeiten treten, sondern unterschiedslose Exemplare
der Menschheit, einer wie der andere, gehorsame Unterthanen. Daraus be¬
greift sich der Haß der Jesuiten gegen die Muttersprache. „General Bekr er¬
klärt es. noch im Jahre 18S4 für ein Unglück, daß die deutsche Sprache fast
überall die lateinische im Gebrauch verdrängt habe; für ein Unglück, welches
bloß dadurch entstanden, daß der sogenannte große Reformator der Religion
in Deutschland mit seinen Genossen gegen den Gebrauch der lateinischen
Sprache auftürmte; er beklagt, daß man durch gelehrte in der Muttersprache
angestellte Forschungen die Wissenschaft auch denjenigen zugänglich machen
will, welche für ihr Verständniß und ihren Gebrauch nicht die nothwendige
Vorbildung besitzen; wodurch denn eine Menge solcher, die keinen Beruf dazu



Emmcrungm S. 121.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0255" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127651"/>
          <p xml:id="ID_841" prev="#ID_840" next="#ID_842"> Das heißt denn doch nichts anders als eine sichere Methode finden, in der<lb/>
Mathematik nichts zu lernen und zu leisten. Uns ist diese Bestimmung aber<lb/>
ein charakteristisches Zeichen, wie ungern die jesuitische Pädagogik vom alten<lb/>
Lehrplan des 16. Jahrhunderts abweicht, wie schwer sie sich zu Zugeständnissen<lb/>
entschließt. Keines ist so sauer geworden als die Zulassung des Unterrichts<lb/>
in der Muttersprache und ihrer Literatur. Von der Mißachtung<lb/>
der Letzteren von Seiten der Jesuiten empfängt man ein Bild, wenn man<lb/>
hört, daß im Jahre 1845 in Freiburg Klopstocks Messias, Denis Uebersetzung<lb/>
des Ossian, Mamosers &#x2014; eine sonst überall wohl unbekannte Größe &#x2014;<lb/>
&#x2014; schlechte Schauspiele und eine von einem Franzosen herausgegebene Antho¬<lb/>
logie die einzige Lectüre bildeten, welche geboten wurde.") Will man diese<lb/>
Antipathie gegen die nationale Literatur begreifen, so muß man sich über¬<lb/>
haupt vergegenwärtigen, wie verschieden der römische Katholicismus und der<lb/>
evangelische Protestantismus sich zur Idee der Nationalität gestellt<lb/>
haben. Während letzterer sie freudig und begeistert anerkennt, die Durch¬<lb/>
dringung des nationalen und christlichen Elements fordert und fördert, das<lb/>
christliche in das nationale Element eingehen läßt, so ist Rom vielmehr ge¬<lb/>
sonnen, zu Gunsten einer theokratischen im Papstthum wurzelnden Universal¬<lb/>
monarchie die Nationalitäten, die Volksindividualitäten zu unterdrücken oder<lb/>
doch wenigstens in die engsten Schranken zu schließen. Rom läßt daher nicht<lb/>
zu, daß die herrschende Sprache des Cultus die nationale sei, sondern setzt<lb/>
an deren Stelle die lateinische. Die lateinische Sprache ist die Sprache der<lb/>
römischen Kirche im Cultus, in der Regierung und in der Wissenschaft. Der<lb/>
Volksgeist soll, wenigstens auf dem religiösen Gebiete, nicht in seinen Lauten<lb/>
reden, der Volksgeist soll nicht seine Herrlichkeit erschließen, indem er Christus<lb/>
im Spiegel seines eigenen Wesens schaut, vom Geiste Christi sich reinigen und<lb/>
weihen läßt. In die Hallen der römischen Zwingburg sollen nicht Völker,<lb/>
nicht individuelle Persönlichkeiten treten, sondern unterschiedslose Exemplare<lb/>
der Menschheit, einer wie der andere, gehorsame Unterthanen. Daraus be¬<lb/>
greift sich der Haß der Jesuiten gegen die Muttersprache. &#x201E;General Bekr er¬<lb/>
klärt es. noch im Jahre 18S4 für ein Unglück, daß die deutsche Sprache fast<lb/>
überall die lateinische im Gebrauch verdrängt habe; für ein Unglück, welches<lb/>
bloß dadurch entstanden, daß der sogenannte große Reformator der Religion<lb/>
in Deutschland mit seinen Genossen gegen den Gebrauch der lateinischen<lb/>
Sprache auftürmte; er beklagt, daß man durch gelehrte in der Muttersprache<lb/>
angestellte Forschungen die Wissenschaft auch denjenigen zugänglich machen<lb/>
will, welche für ihr Verständniß und ihren Gebrauch nicht die nothwendige<lb/>
Vorbildung besitzen; wodurch denn eine Menge solcher, die keinen Beruf dazu</p><lb/>
          <note xml:id="FID_25" place="foot"> Emmcrungm S. 121.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0255] Das heißt denn doch nichts anders als eine sichere Methode finden, in der Mathematik nichts zu lernen und zu leisten. Uns ist diese Bestimmung aber ein charakteristisches Zeichen, wie ungern die jesuitische Pädagogik vom alten Lehrplan des 16. Jahrhunderts abweicht, wie schwer sie sich zu Zugeständnissen entschließt. Keines ist so sauer geworden als die Zulassung des Unterrichts in der Muttersprache und ihrer Literatur. Von der Mißachtung der Letzteren von Seiten der Jesuiten empfängt man ein Bild, wenn man hört, daß im Jahre 1845 in Freiburg Klopstocks Messias, Denis Uebersetzung des Ossian, Mamosers — eine sonst überall wohl unbekannte Größe — — schlechte Schauspiele und eine von einem Franzosen herausgegebene Antho¬ logie die einzige Lectüre bildeten, welche geboten wurde.") Will man diese Antipathie gegen die nationale Literatur begreifen, so muß man sich über¬ haupt vergegenwärtigen, wie verschieden der römische Katholicismus und der evangelische Protestantismus sich zur Idee der Nationalität gestellt haben. Während letzterer sie freudig und begeistert anerkennt, die Durch¬ dringung des nationalen und christlichen Elements fordert und fördert, das christliche in das nationale Element eingehen läßt, so ist Rom vielmehr ge¬ sonnen, zu Gunsten einer theokratischen im Papstthum wurzelnden Universal¬ monarchie die Nationalitäten, die Volksindividualitäten zu unterdrücken oder doch wenigstens in die engsten Schranken zu schließen. Rom läßt daher nicht zu, daß die herrschende Sprache des Cultus die nationale sei, sondern setzt an deren Stelle die lateinische. Die lateinische Sprache ist die Sprache der römischen Kirche im Cultus, in der Regierung und in der Wissenschaft. Der Volksgeist soll, wenigstens auf dem religiösen Gebiete, nicht in seinen Lauten reden, der Volksgeist soll nicht seine Herrlichkeit erschließen, indem er Christus im Spiegel seines eigenen Wesens schaut, vom Geiste Christi sich reinigen und weihen läßt. In die Hallen der römischen Zwingburg sollen nicht Völker, nicht individuelle Persönlichkeiten treten, sondern unterschiedslose Exemplare der Menschheit, einer wie der andere, gehorsame Unterthanen. Daraus be¬ greift sich der Haß der Jesuiten gegen die Muttersprache. „General Bekr er¬ klärt es. noch im Jahre 18S4 für ein Unglück, daß die deutsche Sprache fast überall die lateinische im Gebrauch verdrängt habe; für ein Unglück, welches bloß dadurch entstanden, daß der sogenannte große Reformator der Religion in Deutschland mit seinen Genossen gegen den Gebrauch der lateinischen Sprache auftürmte; er beklagt, daß man durch gelehrte in der Muttersprache angestellte Forschungen die Wissenschaft auch denjenigen zugänglich machen will, welche für ihr Verständniß und ihren Gebrauch nicht die nothwendige Vorbildung besitzen; wodurch denn eine Menge solcher, die keinen Beruf dazu Emmcrungm S. 121.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/255
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/255>, abgerufen am 22.07.2024.