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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Dom preußischen Landtag und vom deutschen Ueichstag.

Am 20. April war eine Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses an¬
beraumt, auf den besonderen Wunsch des Finanzministers, welcher den Gesetz¬
entwurf über den Ankauf der Taunusbahn, nachdem derselbe aus dem Herren¬
haus zurückgekommen, so schleunig als möglich erledigt zu sehen wünschte.
Das Haus kam diesem Wunsch entgegen, indem es zur Berathung des Ge¬
setzentwurfs eine Commission mit dem Auftrage ernannte, noch im Laufe der¬
selben Sitzung Bericht zu erstatten. Die Commission vollzog ihren Auftrag
und das Gesetz erhielt die Genehmigung des Hauses. In der Zwischenzeit
interpellirte der Abgeordnete Richter die Regierung wegen der Ueberschüsse des
Staatshaushaltes für das Jahr 1871 und wegen der Absicht, noch im Laufe
der Session ein Gesetz wegen Aufhebung der Zeitungssteuer und des Kalender¬
stempels einzubringen. Der Finanzminister nahm aus der Jnterpellation An¬
laß zu der Erklärung, daß er auch ohne Anregung eine Mittheilung hinsicht¬
lich der Ueberschüsse des Staatshaushaltes würde in dieser Sitzung gemacht
haben. Es folgte nun eine sehr befriedigende Uebersicht der preußischen
Finanzlage, welche einen Ueberschuß von 9,223,221 Thaler der Einnahmen
über die Ausgaben für das Jahr 1871 aufwies. Interessant war die Be¬
merkung, daß zu diesem Ergebniß die directen Steuern so gut wie nichts bei¬
getragen haben) ohne daß das Erträgniß dieser Steuern als ein ungünstiges
zu betrachten ist, in Erwägung, daß ein großer Theil der classensteuerpflich¬
tigen Bevölkerung unter den Waffen gestanden hat und deshalb von seinem
Steuerbeitrag befreit worden ist. Erheblicher haben die indirecten Steuern
zu dem Ueberschuß beigetragen, aber doch auch nur einen Posten von
1,135,774 Thaler. Diejenigen Verwaltungen aber, deren Erträgen der Ueber¬
schuß zumeist verdankt wird, sind die Eisenbahn- und die Bergwerksverwaltung.
Das Ergebniß der ersteren ist ein Beweis der raschen Hebung des Verkehrs
nach dem verhältnißmäßig kurzen, wenn auch bedeutenden Druck, welchen der
Krieg ausgeübt hatte.

Auf den zweiten Theil der Jnterpellation: ob die Regierung noch in
dieser Session die Aufhebung der Zeitungssteuer herbeizuführen beabsichtige,
antwortete der Minister verneinend mit dem Hinweis, daß die Steuererleich¬
terung der ärmeren Volksclassen am dringendsten sei und daß die Regierung
fortfahre, die Herbeiführung dieses Zieles vor Allem ins Auge zu fassen.

Diese Haltung der Regierung hat vielen Tadel gefunden, wobei immer
wieder die Voraussetzung auftritt, als gebe es gar kein unentbehrlicheres
Volksbildungsmittel als die Tagespresse. Der einfache Augenschein lehrt aber


Dom preußischen Landtag und vom deutschen Ueichstag.

Am 20. April war eine Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses an¬
beraumt, auf den besonderen Wunsch des Finanzministers, welcher den Gesetz¬
entwurf über den Ankauf der Taunusbahn, nachdem derselbe aus dem Herren¬
haus zurückgekommen, so schleunig als möglich erledigt zu sehen wünschte.
Das Haus kam diesem Wunsch entgegen, indem es zur Berathung des Ge¬
setzentwurfs eine Commission mit dem Auftrage ernannte, noch im Laufe der¬
selben Sitzung Bericht zu erstatten. Die Commission vollzog ihren Auftrag
und das Gesetz erhielt die Genehmigung des Hauses. In der Zwischenzeit
interpellirte der Abgeordnete Richter die Regierung wegen der Ueberschüsse des
Staatshaushaltes für das Jahr 1871 und wegen der Absicht, noch im Laufe
der Session ein Gesetz wegen Aufhebung der Zeitungssteuer und des Kalender¬
stempels einzubringen. Der Finanzminister nahm aus der Jnterpellation An¬
laß zu der Erklärung, daß er auch ohne Anregung eine Mittheilung hinsicht¬
lich der Ueberschüsse des Staatshaushaltes würde in dieser Sitzung gemacht
haben. Es folgte nun eine sehr befriedigende Uebersicht der preußischen
Finanzlage, welche einen Ueberschuß von 9,223,221 Thaler der Einnahmen
über die Ausgaben für das Jahr 1871 aufwies. Interessant war die Be¬
merkung, daß zu diesem Ergebniß die directen Steuern so gut wie nichts bei¬
getragen haben) ohne daß das Erträgniß dieser Steuern als ein ungünstiges
zu betrachten ist, in Erwägung, daß ein großer Theil der classensteuerpflich¬
tigen Bevölkerung unter den Waffen gestanden hat und deshalb von seinem
Steuerbeitrag befreit worden ist. Erheblicher haben die indirecten Steuern
zu dem Ueberschuß beigetragen, aber doch auch nur einen Posten von
1,135,774 Thaler. Diejenigen Verwaltungen aber, deren Erträgen der Ueber¬
schuß zumeist verdankt wird, sind die Eisenbahn- und die Bergwerksverwaltung.
Das Ergebniß der ersteren ist ein Beweis der raschen Hebung des Verkehrs
nach dem verhältnißmäßig kurzen, wenn auch bedeutenden Druck, welchen der
Krieg ausgeübt hatte.

Auf den zweiten Theil der Jnterpellation: ob die Regierung noch in
dieser Session die Aufhebung der Zeitungssteuer herbeizuführen beabsichtige,
antwortete der Minister verneinend mit dem Hinweis, daß die Steuererleich¬
terung der ärmeren Volksclassen am dringendsten sei und daß die Regierung
fortfahre, die Herbeiführung dieses Zieles vor Allem ins Auge zu fassen.

Diese Haltung der Regierung hat vielen Tadel gefunden, wobei immer
wieder die Voraussetzung auftritt, als gebe es gar kein unentbehrlicheres
Volksbildungsmittel als die Tagespresse. Der einfache Augenschein lehrt aber


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[0244] Dom preußischen Landtag und vom deutschen Ueichstag. Am 20. April war eine Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses an¬ beraumt, auf den besonderen Wunsch des Finanzministers, welcher den Gesetz¬ entwurf über den Ankauf der Taunusbahn, nachdem derselbe aus dem Herren¬ haus zurückgekommen, so schleunig als möglich erledigt zu sehen wünschte. Das Haus kam diesem Wunsch entgegen, indem es zur Berathung des Ge¬ setzentwurfs eine Commission mit dem Auftrage ernannte, noch im Laufe der¬ selben Sitzung Bericht zu erstatten. Die Commission vollzog ihren Auftrag und das Gesetz erhielt die Genehmigung des Hauses. In der Zwischenzeit interpellirte der Abgeordnete Richter die Regierung wegen der Ueberschüsse des Staatshaushaltes für das Jahr 1871 und wegen der Absicht, noch im Laufe der Session ein Gesetz wegen Aufhebung der Zeitungssteuer und des Kalender¬ stempels einzubringen. Der Finanzminister nahm aus der Jnterpellation An¬ laß zu der Erklärung, daß er auch ohne Anregung eine Mittheilung hinsicht¬ lich der Ueberschüsse des Staatshaushaltes würde in dieser Sitzung gemacht haben. Es folgte nun eine sehr befriedigende Uebersicht der preußischen Finanzlage, welche einen Ueberschuß von 9,223,221 Thaler der Einnahmen über die Ausgaben für das Jahr 1871 aufwies. Interessant war die Be¬ merkung, daß zu diesem Ergebniß die directen Steuern so gut wie nichts bei¬ getragen haben) ohne daß das Erträgniß dieser Steuern als ein ungünstiges zu betrachten ist, in Erwägung, daß ein großer Theil der classensteuerpflich¬ tigen Bevölkerung unter den Waffen gestanden hat und deshalb von seinem Steuerbeitrag befreit worden ist. Erheblicher haben die indirecten Steuern zu dem Ueberschuß beigetragen, aber doch auch nur einen Posten von 1,135,774 Thaler. Diejenigen Verwaltungen aber, deren Erträgen der Ueber¬ schuß zumeist verdankt wird, sind die Eisenbahn- und die Bergwerksverwaltung. Das Ergebniß der ersteren ist ein Beweis der raschen Hebung des Verkehrs nach dem verhältnißmäßig kurzen, wenn auch bedeutenden Druck, welchen der Krieg ausgeübt hatte. Auf den zweiten Theil der Jnterpellation: ob die Regierung noch in dieser Session die Aufhebung der Zeitungssteuer herbeizuführen beabsichtige, antwortete der Minister verneinend mit dem Hinweis, daß die Steuererleich¬ terung der ärmeren Volksclassen am dringendsten sei und daß die Regierung fortfahre, die Herbeiführung dieses Zieles vor Allem ins Auge zu fassen. Diese Haltung der Regierung hat vielen Tadel gefunden, wobei immer wieder die Voraussetzung auftritt, als gebe es gar kein unentbehrlicheres Volksbildungsmittel als die Tagespresse. Der einfache Augenschein lehrt aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/244>, abgerufen am 22.12.2024.