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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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erst unter zwei Monaten, dann unter sechs, endlich jetzt mit zwölf Monaten)
aufzunehmen. Die Anstalt wurde außerdem noch autorisire, Zweigetablisse-
ments in den Grafschaften anzulegen. In Folge dessen wurden Asyle für
verlassene Kinder zu Aikworth, Shrewsbury, Westerham, Aylesbury. Barret
und in Chestershire eröffnet. Die den Gouverneuren vom Parlament aufer¬
legten Bedingungen schufen ein neues System; sie ihrerseits entwickelten eine
Energie, die gleichen Schritt mit ihrer Aufgabe hielt. Die von den Eltern
bis jetzt verlangten Formalitäten wurden auf das geringste Maß zurückge¬
führt. Alles was man verlangte war, daß sie an einem Glockenzug ziehen
sollten um die Beamten des Etablissements aufmerksam zu machen, daß ein
Kind, nicht etwa in einen Drehchlinder. sondern der größeren Bequemlichkeit
wegen in einen an der Mauer angebrachten Korb gelegt sei. Dies neue
System trat am 2. Juni 1786 in Kraft. An diesem Tage wurden nicht
weniger als 117 Kinder im Asyl deponirt und als das Jahr zu Ende
war, hatte man 1783 aufgenommen. Weit entfernt durch eine solche Invasion
in Schrecken gesetzt zu werden, machten die Gouverneure den Versuch eine noch
größere Anzahl von Kindern herbeizuführen, Im Juni 17S7 ließen sie in
allen Londoner Zeitungen und an allen Straßenecken verkünden, daß von jetzt
ab die Thüren des "Hospitals" weit offen stehen würden. Eine so über¬
triebene Sorgfalt trug ihre Früchte; 3727 Kinder wurden im Laufe des Jahres
aufgenommen, und während der vier Jahre, in denen dies Ausmunterungs-
system bestand, stieg die Zahl der Aufgenommenen auf 15,000. Von einem
Extrem war man zum anderen übergegangen. Aber weit schlimmer als die
große Anzahl der Findelkinder waren die Mißbräuche, die Gemeinheiten, zu
denen diese Art der Aufmunterung Veranlassung gab. Denn keineswegs blos
Kinder aus London wurden, wie die Stiftungsurkunde vorschrieb, im Asyl
deponirt, sondern als im Lande durch die Zeitungen bekannt wurde, was in
London vorging, schickte man auf geheime, betrügerische Weise Kinder aus den
entferntesten Gegenden nach der Hauptstadt, und zwar so allgemein, daß daraus
ein neuer Handelszweig sich ausbildete. Es etablirten sich "Spediteure für
verlassene Kinder". "Ein neuer, ganz ungewöhnlicher Handel, so schreibt in
dieser Zeit ein Correspondent aus einer 300 Meilen entfernten Stadt an eine
Zeitung Londons, hat sich in unserer Corporation ausgebildet, nämlich der
Transport von Kindern nach dem Foundling-Hospital. Die in diesem Handel
beschäftigte Person ist ein Weibsbild von notorisch schlechtem Charakter: sie
übernimmt den Transport der Kinder für so und so viel pro Kopf. Bereits hat sie,
so ist mir zu Ohren gekommen, eine Reise gemacht, und ist nun mit ihren
beiden Töchtern, jede mit einem Kinde aus dem Rücken, abermals unterwegs."
Aus einer anderen Quelle erfährt man, daß der Tarif für den Transport der
Kinder von Zorkshire nach dem Foundling-Hospital 4 Guineen (ohngefähr


erst unter zwei Monaten, dann unter sechs, endlich jetzt mit zwölf Monaten)
aufzunehmen. Die Anstalt wurde außerdem noch autorisire, Zweigetablisse-
ments in den Grafschaften anzulegen. In Folge dessen wurden Asyle für
verlassene Kinder zu Aikworth, Shrewsbury, Westerham, Aylesbury. Barret
und in Chestershire eröffnet. Die den Gouverneuren vom Parlament aufer¬
legten Bedingungen schufen ein neues System; sie ihrerseits entwickelten eine
Energie, die gleichen Schritt mit ihrer Aufgabe hielt. Die von den Eltern
bis jetzt verlangten Formalitäten wurden auf das geringste Maß zurückge¬
führt. Alles was man verlangte war, daß sie an einem Glockenzug ziehen
sollten um die Beamten des Etablissements aufmerksam zu machen, daß ein
Kind, nicht etwa in einen Drehchlinder. sondern der größeren Bequemlichkeit
wegen in einen an der Mauer angebrachten Korb gelegt sei. Dies neue
System trat am 2. Juni 1786 in Kraft. An diesem Tage wurden nicht
weniger als 117 Kinder im Asyl deponirt und als das Jahr zu Ende
war, hatte man 1783 aufgenommen. Weit entfernt durch eine solche Invasion
in Schrecken gesetzt zu werden, machten die Gouverneure den Versuch eine noch
größere Anzahl von Kindern herbeizuführen, Im Juni 17S7 ließen sie in
allen Londoner Zeitungen und an allen Straßenecken verkünden, daß von jetzt
ab die Thüren des „Hospitals" weit offen stehen würden. Eine so über¬
triebene Sorgfalt trug ihre Früchte; 3727 Kinder wurden im Laufe des Jahres
aufgenommen, und während der vier Jahre, in denen dies Ausmunterungs-
system bestand, stieg die Zahl der Aufgenommenen auf 15,000. Von einem
Extrem war man zum anderen übergegangen. Aber weit schlimmer als die
große Anzahl der Findelkinder waren die Mißbräuche, die Gemeinheiten, zu
denen diese Art der Aufmunterung Veranlassung gab. Denn keineswegs blos
Kinder aus London wurden, wie die Stiftungsurkunde vorschrieb, im Asyl
deponirt, sondern als im Lande durch die Zeitungen bekannt wurde, was in
London vorging, schickte man auf geheime, betrügerische Weise Kinder aus den
entferntesten Gegenden nach der Hauptstadt, und zwar so allgemein, daß daraus
ein neuer Handelszweig sich ausbildete. Es etablirten sich „Spediteure für
verlassene Kinder". „Ein neuer, ganz ungewöhnlicher Handel, so schreibt in
dieser Zeit ein Correspondent aus einer 300 Meilen entfernten Stadt an eine
Zeitung Londons, hat sich in unserer Corporation ausgebildet, nämlich der
Transport von Kindern nach dem Foundling-Hospital. Die in diesem Handel
beschäftigte Person ist ein Weibsbild von notorisch schlechtem Charakter: sie
übernimmt den Transport der Kinder für so und so viel pro Kopf. Bereits hat sie,
so ist mir zu Ohren gekommen, eine Reise gemacht, und ist nun mit ihren
beiden Töchtern, jede mit einem Kinde aus dem Rücken, abermals unterwegs."
Aus einer anderen Quelle erfährt man, daß der Tarif für den Transport der
Kinder von Zorkshire nach dem Foundling-Hospital 4 Guineen (ohngefähr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/235>, abgerufen am 22.07.2024.