Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.ließ alle Frauen, die sich einfanden, in einen großen Raum innerhalb der Seit hundert Jahren hat man hieran gearbeitet, aber alle Versuche sind ließ alle Frauen, die sich einfanden, in einen großen Raum innerhalb der Seit hundert Jahren hat man hieran gearbeitet, aber alle Versuche sind <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0234" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127614"/> <p xml:id="ID_786" prev="#ID_785"> ließ alle Frauen, die sich einfanden, in einen großen Raum innerhalb der<lb/> Ringmauer treten, warf soviel weiße Kugeln, als man Kinder aufnehmen<lb/> wollte, in eine Urne, that fünf rothe Kugeln auf je zwanzig Kinder hinzu<lb/> und dann soviel schwarze Kugeln, um sie der Zahl der zur Aufnahme präsen-<lb/> tirten Kinder gleich zu machen. Jede Applicantin, die eine weiße Kugel zog,<lb/> wurde in den Jnspectionsraum gerufen, jede andere, die eine schwarze hatte,<lb/> sofort entfernt. Jene, die im Besitz einer rothen Kugel waren, wurden in<lb/> einen anderen Raum geführt, um die Inspection der mit einer weißen Kugel<lb/> zugelassenen Kinder abzuwarten. Wenn hier nun irgend eine Bacanz zu¬<lb/> folge der bekanntgemachten Sanitätsgesetze eintrat, so wurde diese durch eine<lb/> ähnliche Ballotage ausgefüllt, bis die Zahl der aufzunehmenden Kinder voll<lb/> war. Heute verfährt man anders. Nahe der Thür des Ashlums kündigt<lb/> eine in einer Nische der Umfassungsmauer angebrachte Bekanntmachung an,<lb/> daß Kinder nur auf die specielle Bitte der Mutter aufgenommen werden<lb/> können und Aufnahmeformeln, die nur ausgefüllt zu werden brauchen, sich<lb/> im Seeretariat vorfinden. Allen Bittsuchenden ist streng untersagt irgend<lb/> eine Empfehlung zu erwähnen. Das Bittgesuch muß die Mutter in Person<lb/> dem lagerten Verwaltungsrath, der aus 8—10 Mitgliedern besteht, überreichen.<lb/> Dieser stellt alsdann eine genaue Nachforschung über die Armuth und<lb/> den guten Leumund der Bittstellerin, über die Unehelichkeit ihres Kindes an,<lb/> auch ob es von seinem Vater verlassen ist, und besonders darüber ob die<lb/> Autoritäten des Kirchspiels über den vorliegenden Fall in Unkenntniß sind;<lb/> eine Hauptbedingung zur Aufnahme. Wenn diese Nachforschung die Aus¬<lb/> nahmebedingungen erfüllt, sucht der Präsident des Verwaltungsraths noch zu<lb/> erfahren, welche Wahrscheinlichkeit vorliegt, daß sich die Mutter nach einer<lb/> etwaigen Aufnahme des Kindes dem Wege der Tugend wieder zuwende.<lb/> Fällt auch diese Erörterung zur Zufriedenheit der Asylbehörden aus. so<lb/> wird das Kind im Fall einer Vacanz aufgenommen, oder sein Name in die<lb/> Register eingetragen, um zu warten, bis eine solche eintritt. Wenn man nun<lb/> an die furchtbare Ausdehnung denkt, welche der Kindermord in England an¬<lb/> genommen hat, fo muß man sich ganz natürlich fragen, warum man nicht<lb/> die Thür des Asyls so weit öffnet, wie es Coram wollte und nicht alle Hin¬<lb/> dernisse beseitigt, welche jetzt die Aufnahme eines Kindes so erschweren.</p><lb/> <p xml:id="ID_787" next="#ID_788"> Seit hundert Jahren hat man hieran gearbeitet, aber alle Versuche sind<lb/> an der Gesunkenheit der gesellschaftlichen Zustände gescheitert. Als das Haus<lb/> mehr und mehr bekannt wurde, folgten sich die Bittgesuche zur Aufnahme<lb/> von Kindern mit solcher Rapidität, daß sich der Verwaltungsrath gezwungen<lb/> sah, beim Parlament um eine Subvention anzuhalten. Das Parlament<lb/> willfahrte der Bitte ohne Zögern und setzte eine Summe von 10,000 Pf. Se.<lb/> jährlich aus, mit der Bedingung, alle Kinder unter einem gewissen Alter (zu-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0234]
ließ alle Frauen, die sich einfanden, in einen großen Raum innerhalb der
Ringmauer treten, warf soviel weiße Kugeln, als man Kinder aufnehmen
wollte, in eine Urne, that fünf rothe Kugeln auf je zwanzig Kinder hinzu
und dann soviel schwarze Kugeln, um sie der Zahl der zur Aufnahme präsen-
tirten Kinder gleich zu machen. Jede Applicantin, die eine weiße Kugel zog,
wurde in den Jnspectionsraum gerufen, jede andere, die eine schwarze hatte,
sofort entfernt. Jene, die im Besitz einer rothen Kugel waren, wurden in
einen anderen Raum geführt, um die Inspection der mit einer weißen Kugel
zugelassenen Kinder abzuwarten. Wenn hier nun irgend eine Bacanz zu¬
folge der bekanntgemachten Sanitätsgesetze eintrat, so wurde diese durch eine
ähnliche Ballotage ausgefüllt, bis die Zahl der aufzunehmenden Kinder voll
war. Heute verfährt man anders. Nahe der Thür des Ashlums kündigt
eine in einer Nische der Umfassungsmauer angebrachte Bekanntmachung an,
daß Kinder nur auf die specielle Bitte der Mutter aufgenommen werden
können und Aufnahmeformeln, die nur ausgefüllt zu werden brauchen, sich
im Seeretariat vorfinden. Allen Bittsuchenden ist streng untersagt irgend
eine Empfehlung zu erwähnen. Das Bittgesuch muß die Mutter in Person
dem lagerten Verwaltungsrath, der aus 8—10 Mitgliedern besteht, überreichen.
Dieser stellt alsdann eine genaue Nachforschung über die Armuth und
den guten Leumund der Bittstellerin, über die Unehelichkeit ihres Kindes an,
auch ob es von seinem Vater verlassen ist, und besonders darüber ob die
Autoritäten des Kirchspiels über den vorliegenden Fall in Unkenntniß sind;
eine Hauptbedingung zur Aufnahme. Wenn diese Nachforschung die Aus¬
nahmebedingungen erfüllt, sucht der Präsident des Verwaltungsraths noch zu
erfahren, welche Wahrscheinlichkeit vorliegt, daß sich die Mutter nach einer
etwaigen Aufnahme des Kindes dem Wege der Tugend wieder zuwende.
Fällt auch diese Erörterung zur Zufriedenheit der Asylbehörden aus. so
wird das Kind im Fall einer Vacanz aufgenommen, oder sein Name in die
Register eingetragen, um zu warten, bis eine solche eintritt. Wenn man nun
an die furchtbare Ausdehnung denkt, welche der Kindermord in England an¬
genommen hat, fo muß man sich ganz natürlich fragen, warum man nicht
die Thür des Asyls so weit öffnet, wie es Coram wollte und nicht alle Hin¬
dernisse beseitigt, welche jetzt die Aufnahme eines Kindes so erschweren.
Seit hundert Jahren hat man hieran gearbeitet, aber alle Versuche sind
an der Gesunkenheit der gesellschaftlichen Zustände gescheitert. Als das Haus
mehr und mehr bekannt wurde, folgten sich die Bittgesuche zur Aufnahme
von Kindern mit solcher Rapidität, daß sich der Verwaltungsrath gezwungen
sah, beim Parlament um eine Subvention anzuhalten. Das Parlament
willfahrte der Bitte ohne Zögern und setzte eine Summe von 10,000 Pf. Se.
jährlich aus, mit der Bedingung, alle Kinder unter einem gewissen Alter (zu-
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