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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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nicht viel bedeuten. "Diejenigen Arbeiter, welche sich nicht damit begnügen,
sich zu den Statuten des Bundes zu bekennen, um ärgerlichen Zudringlich¬
keiten zu entgehen, um nicht von ihren Kameraden scheel angesehen zu werden,
welche vielmehr seine Grundsätze mit Leidenschaft festhalten und auf ihren
Triumph rechnen, wie Moses auf das gelobte Land, sind gewöhnlich die am
wenigsten arbeitsamen, die am wenigsten abgehärteten, die am wenigsten spar¬
samen und nüchternen. Die Fanatiker der Genossenschaft, die, welche ihre
Hauptstreitkraft ausmachen würden, gehen nicht aus der Elite, sondern aus
dem Bodensatz der Arbeiterklasse hervor. Die Führer aber recrutiren sich viel¬
leicht aus noch schlechteren Elementen. Die intelligentesten und ehrlichsten
unter den ersten Gründern des Bundes haben sich größtentheils allmählig
voll Widerwillen zurückgezogen. Was gelten die andern? Nun, man hat sie
in Paris unter Umständen, die für sie nicht ungünstig waren, am Werke ge¬
sehen. Haben sie Beweise von Talent und Umsicht gegeben, sich befähigt zum
Befehlen und Herrschen gezeigt? Nein. Im Gegentheil, sie haben sich gegen¬
seitig zerfleischt, und der Lärm ihrer Streitigkeiten hat fast den Donner der
Kanonade übertäubt. Sie verstanden nicht einmal eins ihrer Bataillone ge¬
hörig zu organisiren, geschweige denn ihre Regierung und Verwaltung. Zwei
Monate ihrer Herrschaft verbrachten sie damit, am Abend zu zerstören, was
sie am Morgen geschaffen, und Decrete zu erlassen, denen Niemand gehorchte.
Die wahre Bezeichnung ihres Regiments war die Anarchie im Despotismus.
Sie erzielten mit ihrem Wohlfahrtsausschusse, ihren Kriegsgerichten und ihren
Fusilladen weniger Unterwürfigkeit als die mittelmäßigste der gewöhnlichen Re¬
gierungen mit dem harmlosen Dreimaster eines Stadtsergeanten. Was sie
am meisten demüthigen sollte, wenn sie in sich gehen wollten, ist das Gefühl,
welches sie allenthalben und selbst ihren eigenen Freunden und Gesinnungs¬
vettern einflößten, das Gefühl der Geringschätzung. Und dieser Gering¬
schätzung lag ihre tiefe Unkenntniß aller einschlagenden Verhältnisse und ihre
in allen ihren Handlungen bemerkbare heillose Unfähigkeit zu Grunde. Und
solche Feldherren wollen die Welt erobern!

Eine socialistische Schule erkannte, daß bei jedem Unternehmen noth¬
wendig drei Elemente mitzuwirken hätten: Arbeit, Capital und Talent. Die
Internationale recrutirt sich vorzüglich unter den Arbeitern, die nicht viel
vom Arbeiten halten, sie erklärt das Capital für infam und thut es in den
Bann, und was das Talent betrifft, so hat sie gezeigt, daß ihre Führer
wenigstens alles praktischen Talents ermangeln. Sie kann uns noch eine oder
die andere blutige Schlacht liefern, aber wir haben kaum zu fürchten, daß sie
einen dauernden Sieg gewinnen wird.

Indeß, wenn wir (namentlich so lange die Bewegung nicht große Massen
der ländlichen Arbeiter ergriffen hat) einen Triumph von Marx und Genossen


nicht viel bedeuten. „Diejenigen Arbeiter, welche sich nicht damit begnügen,
sich zu den Statuten des Bundes zu bekennen, um ärgerlichen Zudringlich¬
keiten zu entgehen, um nicht von ihren Kameraden scheel angesehen zu werden,
welche vielmehr seine Grundsätze mit Leidenschaft festhalten und auf ihren
Triumph rechnen, wie Moses auf das gelobte Land, sind gewöhnlich die am
wenigsten arbeitsamen, die am wenigsten abgehärteten, die am wenigsten spar¬
samen und nüchternen. Die Fanatiker der Genossenschaft, die, welche ihre
Hauptstreitkraft ausmachen würden, gehen nicht aus der Elite, sondern aus
dem Bodensatz der Arbeiterklasse hervor. Die Führer aber recrutiren sich viel¬
leicht aus noch schlechteren Elementen. Die intelligentesten und ehrlichsten
unter den ersten Gründern des Bundes haben sich größtentheils allmählig
voll Widerwillen zurückgezogen. Was gelten die andern? Nun, man hat sie
in Paris unter Umständen, die für sie nicht ungünstig waren, am Werke ge¬
sehen. Haben sie Beweise von Talent und Umsicht gegeben, sich befähigt zum
Befehlen und Herrschen gezeigt? Nein. Im Gegentheil, sie haben sich gegen¬
seitig zerfleischt, und der Lärm ihrer Streitigkeiten hat fast den Donner der
Kanonade übertäubt. Sie verstanden nicht einmal eins ihrer Bataillone ge¬
hörig zu organisiren, geschweige denn ihre Regierung und Verwaltung. Zwei
Monate ihrer Herrschaft verbrachten sie damit, am Abend zu zerstören, was
sie am Morgen geschaffen, und Decrete zu erlassen, denen Niemand gehorchte.
Die wahre Bezeichnung ihres Regiments war die Anarchie im Despotismus.
Sie erzielten mit ihrem Wohlfahrtsausschusse, ihren Kriegsgerichten und ihren
Fusilladen weniger Unterwürfigkeit als die mittelmäßigste der gewöhnlichen Re¬
gierungen mit dem harmlosen Dreimaster eines Stadtsergeanten. Was sie
am meisten demüthigen sollte, wenn sie in sich gehen wollten, ist das Gefühl,
welches sie allenthalben und selbst ihren eigenen Freunden und Gesinnungs¬
vettern einflößten, das Gefühl der Geringschätzung. Und dieser Gering¬
schätzung lag ihre tiefe Unkenntniß aller einschlagenden Verhältnisse und ihre
in allen ihren Handlungen bemerkbare heillose Unfähigkeit zu Grunde. Und
solche Feldherren wollen die Welt erobern!

Eine socialistische Schule erkannte, daß bei jedem Unternehmen noth¬
wendig drei Elemente mitzuwirken hätten: Arbeit, Capital und Talent. Die
Internationale recrutirt sich vorzüglich unter den Arbeitern, die nicht viel
vom Arbeiten halten, sie erklärt das Capital für infam und thut es in den
Bann, und was das Talent betrifft, so hat sie gezeigt, daß ihre Führer
wenigstens alles praktischen Talents ermangeln. Sie kann uns noch eine oder
die andere blutige Schlacht liefern, aber wir haben kaum zu fürchten, daß sie
einen dauernden Sieg gewinnen wird.

Indeß, wenn wir (namentlich so lange die Bewegung nicht große Massen
der ländlichen Arbeiter ergriffen hat) einen Triumph von Marx und Genossen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/228>, abgerufen am 24.08.2024.