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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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"man schwur vor sich selbst", wie Villetard berichtet, "keine Gefahr zu scheuen,
um den Feind zurückzuwerfen, der durch seine Gegenwart den heiligen Boden
des Vaterlandes befleckte." Auch die demagogische Partei schrie und zwar be¬
sonders kräftig nach Flinten, aber nicht, um sie auf den fremden Eindring¬
ling zu richten. Man errieth ihre finstern Pläne bereits, als diese bösen
Buben die Pompiers von Billette ermordeten, wobei nicht außer Acht zu lassen
ist, daß an dem Tage, wo das Verbrechen begangen wurde, eine Versamm¬
lung der Internationale stattfinden sollte, die im letzten Augenblick untersagt
wurde, und daß die Mitglieder der Genossenschaft, die zu diesem Stelldichein
erschienen waren, in dichten Massen die Straße erfüllten, als der Posten an¬
gegriffen wurde. Auch wird es gut sein, sich daran zu erinnern, daß einer
der Mörder, Eudes, der wegen seiner Theilnahme an diesem Verbrechen zum
Tode verurtheilt, aber einige Tage nachher, am 4. September, als politischer
Verbrecher in Freiheit gesetzt wurde, nach dem 18. März 1871 einer der Ge¬
nerale der Commune war.

Sonnabend den 3. September erfuhr man in der Abendstunde die Nieder¬
lage von Sedan. Am nächsten Tage proclamirten zu gleicher Zeit Paris,
Lyon, Marseille und Toulouse die Republik. Die Gimpel im Lande wollten
sich todtwundern, daß diese Bewegungen gleichzeitig losgebrochen, und fanden
darin den Beweis, daß sie ganz und gar spontan gewesen seien. Wir aber
erinnern uns daran, daß nach dem Unterbleiben des Aufstandes, der mit dem
Begräbnis) Victor noirs ausbrechen sollte, Varlin und Bastelica Briefe aus¬
tauschten, in welchen sie eine Organisation besprachen, nach welcher künftig
ihre Freunde bei ernsten Vorfällen in ganz Frankreich einem und demselben
Commandowort gehorchen sollten, und es wird nicht unerlaubt sein, anzu¬
nehmen, daß diese Organisation in den drei oder vier Monaten, welche zwischen
dem Drama von Auteuil und der Tragödie von Sedan verflossen waren, zu
Stande gekommen war.

Zu Paris allerdings bemächtigten sich die Chefs der Internationale am
4. September nur solcher Stellungen, die vergleichsweise von untergeordneter
Wichtigkeit waren, sie wurden Vorstände von Ueberwachungs- und Bewaff-
nungs-Ausschüssen, die in den Mairien der Stadt errichtet wurden, Befehls¬
haber in der Nationalgarde u. dergl. Wir haben im vorigen Abschnitt den
Brief Duponts citirt, wo er sich gegen Varlin bitter beklagte, sehen zu müssen,
wie Jules Favre und Gambetta das Ruder in die Hände bekommen hätten,
und den Rath gibt, "dieses Bourgeois-Ungeziefer" sich durch Unterzeichnung
des schmähligen Friedens ins Verderben stürzen zu lassen, welchen die Deut¬
schen den Franzosen auferlegen würden. Indeß ist zu bemerken, daß, wenn
die Notorietät der Deputaten der äußersten Linken sie Paris gewissermaßen


Grenzboten u. 1872. 27

„man schwur vor sich selbst", wie Villetard berichtet, „keine Gefahr zu scheuen,
um den Feind zurückzuwerfen, der durch seine Gegenwart den heiligen Boden
des Vaterlandes befleckte." Auch die demagogische Partei schrie und zwar be¬
sonders kräftig nach Flinten, aber nicht, um sie auf den fremden Eindring¬
ling zu richten. Man errieth ihre finstern Pläne bereits, als diese bösen
Buben die Pompiers von Billette ermordeten, wobei nicht außer Acht zu lassen
ist, daß an dem Tage, wo das Verbrechen begangen wurde, eine Versamm¬
lung der Internationale stattfinden sollte, die im letzten Augenblick untersagt
wurde, und daß die Mitglieder der Genossenschaft, die zu diesem Stelldichein
erschienen waren, in dichten Massen die Straße erfüllten, als der Posten an¬
gegriffen wurde. Auch wird es gut sein, sich daran zu erinnern, daß einer
der Mörder, Eudes, der wegen seiner Theilnahme an diesem Verbrechen zum
Tode verurtheilt, aber einige Tage nachher, am 4. September, als politischer
Verbrecher in Freiheit gesetzt wurde, nach dem 18. März 1871 einer der Ge¬
nerale der Commune war.

Sonnabend den 3. September erfuhr man in der Abendstunde die Nieder¬
lage von Sedan. Am nächsten Tage proclamirten zu gleicher Zeit Paris,
Lyon, Marseille und Toulouse die Republik. Die Gimpel im Lande wollten
sich todtwundern, daß diese Bewegungen gleichzeitig losgebrochen, und fanden
darin den Beweis, daß sie ganz und gar spontan gewesen seien. Wir aber
erinnern uns daran, daß nach dem Unterbleiben des Aufstandes, der mit dem
Begräbnis) Victor noirs ausbrechen sollte, Varlin und Bastelica Briefe aus¬
tauschten, in welchen sie eine Organisation besprachen, nach welcher künftig
ihre Freunde bei ernsten Vorfällen in ganz Frankreich einem und demselben
Commandowort gehorchen sollten, und es wird nicht unerlaubt sein, anzu¬
nehmen, daß diese Organisation in den drei oder vier Monaten, welche zwischen
dem Drama von Auteuil und der Tragödie von Sedan verflossen waren, zu
Stande gekommen war.

Zu Paris allerdings bemächtigten sich die Chefs der Internationale am
4. September nur solcher Stellungen, die vergleichsweise von untergeordneter
Wichtigkeit waren, sie wurden Vorstände von Ueberwachungs- und Bewaff-
nungs-Ausschüssen, die in den Mairien der Stadt errichtet wurden, Befehls¬
haber in der Nationalgarde u. dergl. Wir haben im vorigen Abschnitt den
Brief Duponts citirt, wo er sich gegen Varlin bitter beklagte, sehen zu müssen,
wie Jules Favre und Gambetta das Ruder in die Hände bekommen hätten,
und den Rath gibt, „dieses Bourgeois-Ungeziefer" sich durch Unterzeichnung
des schmähligen Friedens ins Verderben stürzen zu lassen, welchen die Deut¬
schen den Franzosen auferlegen würden. Indeß ist zu bemerken, daß, wenn
die Notorietät der Deputaten der äußersten Linken sie Paris gewissermaßen


Grenzboten u. 1872. 27
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/217>, abgerufen am 03.01.2025.