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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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anvertrauen durste. So war es denn wirklich ein Opfer für die deutsche
Sache, wenn die Deputirten der Fortschrittspartei sich entschlossen, in Mün¬
chen auszuhalten bis zum letzten Tage. Aber dieser letzte Tag ward abermals
hinausgeschoben, indem man vom 13. bis zum 24. verlängerte und leider hat
es den Anschein, daß selbst dieser Termin noch nicht genügt. Denn das
Material ist massenhaft und die Arbeitskräfte sind ihm nicht alle gleichmäßig
gewachsen.

Der letzte Etat, der im Plenum berathen wurde, ist der des auswär¬
tigen Amts und diesen allein wollen wir hier noch ausführlicher behandeln,
weil er in der That ein äußerst interessantes und charakteristisches Moment
in sich schloß. Denn unter die picantesten Debatten, wenn man das frivole
Wort auf den politischen Ernst anwenden will, gehörte unbestritten die Ver¬
handlung über den ferneren Fortbestand der bayrischen Gesandschaften. Sie
war picant in doppeltem Sinne, weil der Standpunct, den die Klerikalen
dabei vertraten, allen Traditionen ihrer Partei widersprach und dann, weil
die Debatte selbst fast alle oratorischen Kräfte und alle persönlichen Gegensätze
entfesselte, die die zweite Kammer besitzt.

Der Hergang ist folgender. Als das benannte Budget berathen wurde,
brachte der ultramontane Abgeordnete Freytag einen Antrag ein, der die
sämmtlichen bayrischen Gesandtschaften (außer in Wien) für die nächste Finanz¬
periode zu streichen vorschlug. An und für sich hat nun allerdings Niemand
Grund, die bayrische Diplomatie für einen besonders wichtigen Factor der
Weltgeschichte zu halten, ja manche Menschen waren schon vorher so frei, die
Aufhebung dieses Institutes anzustreben. Allein diese Ansicht bestand doch nur
im nationalen Lager, die Particularisten waren ihre erbitterten Gegner. Der
Conflict zwischen diesen beiden Meinungen trat bei mehreren Gelegenheiten
schneidend zu Tage; wir erinnern nur an die Debatten über die Versailler
Verträge. Damals bildete es einen Cardinalpunct der sogenannten Reservat¬
rechte, daß Bayern eine gesonderte diplomatische Vertretung behalte, die bay¬
rischen Commissäre im Hauptquartier und die bayrischen Patrioten in der
Kammer vertraten mit gleicher Energie dieß Postulat. Wer anders sagte,
galt schließlich fast für einen Landesverräther, denn man glaubte die Media-
tistrung des Staates darin zu erblicken, wenn ihm die äußere Repräsentation
genommen würde.

So dachten die Klerikalen damals und noch lauter gaben sie diesem Ge¬
danken Ausdruck, als vor nicht langer Zeit der König selbst die Initiative
ergriff, um vier von den bestehenden Gesandtschaftsposten einzuziehen. Das
rohe Klagelied, das damals die ultraMontanen Blätter über die Verlorne
"Selbständigkeit" erhoben, ist noch zu kurz verklungen und war zu kräftig
angestimmt, als daß wir es nicht noch im Gedächtniß hätten und nun stellen


anvertrauen durste. So war es denn wirklich ein Opfer für die deutsche
Sache, wenn die Deputirten der Fortschrittspartei sich entschlossen, in Mün¬
chen auszuhalten bis zum letzten Tage. Aber dieser letzte Tag ward abermals
hinausgeschoben, indem man vom 13. bis zum 24. verlängerte und leider hat
es den Anschein, daß selbst dieser Termin noch nicht genügt. Denn das
Material ist massenhaft und die Arbeitskräfte sind ihm nicht alle gleichmäßig
gewachsen.

Der letzte Etat, der im Plenum berathen wurde, ist der des auswär¬
tigen Amts und diesen allein wollen wir hier noch ausführlicher behandeln,
weil er in der That ein äußerst interessantes und charakteristisches Moment
in sich schloß. Denn unter die picantesten Debatten, wenn man das frivole
Wort auf den politischen Ernst anwenden will, gehörte unbestritten die Ver¬
handlung über den ferneren Fortbestand der bayrischen Gesandschaften. Sie
war picant in doppeltem Sinne, weil der Standpunct, den die Klerikalen
dabei vertraten, allen Traditionen ihrer Partei widersprach und dann, weil
die Debatte selbst fast alle oratorischen Kräfte und alle persönlichen Gegensätze
entfesselte, die die zweite Kammer besitzt.

Der Hergang ist folgender. Als das benannte Budget berathen wurde,
brachte der ultramontane Abgeordnete Freytag einen Antrag ein, der die
sämmtlichen bayrischen Gesandtschaften (außer in Wien) für die nächste Finanz¬
periode zu streichen vorschlug. An und für sich hat nun allerdings Niemand
Grund, die bayrische Diplomatie für einen besonders wichtigen Factor der
Weltgeschichte zu halten, ja manche Menschen waren schon vorher so frei, die
Aufhebung dieses Institutes anzustreben. Allein diese Ansicht bestand doch nur
im nationalen Lager, die Particularisten waren ihre erbitterten Gegner. Der
Conflict zwischen diesen beiden Meinungen trat bei mehreren Gelegenheiten
schneidend zu Tage; wir erinnern nur an die Debatten über die Versailler
Verträge. Damals bildete es einen Cardinalpunct der sogenannten Reservat¬
rechte, daß Bayern eine gesonderte diplomatische Vertretung behalte, die bay¬
rischen Commissäre im Hauptquartier und die bayrischen Patrioten in der
Kammer vertraten mit gleicher Energie dieß Postulat. Wer anders sagte,
galt schließlich fast für einen Landesverräther, denn man glaubte die Media-
tistrung des Staates darin zu erblicken, wenn ihm die äußere Repräsentation
genommen würde.

So dachten die Klerikalen damals und noch lauter gaben sie diesem Ge¬
danken Ausdruck, als vor nicht langer Zeit der König selbst die Initiative
ergriff, um vier von den bestehenden Gesandtschaftsposten einzuziehen. Das
rohe Klagelied, das damals die ultraMontanen Blätter über die Verlorne
„Selbständigkeit" erhoben, ist noch zu kurz verklungen und war zu kräftig
angestimmt, als daß wir es nicht noch im Gedächtniß hätten und nun stellen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/204>, abgerufen am 24.08.2024.