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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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herumtrieb und vor kleinen Abenteuern nicht zurückschreckte, die ihn manchmal
in Gefahr brachten; wenn er in der Stadt, in jeder Straße jeglich Bürger¬
mädchen wohlgefällig ansprach -- so trug all das zusammen keineswegs stark
dazu bei, den König beliebt zu machen. Es schien vielmehr, als ob man der¬
gleichen niemals für rechten und gutgemeinten Ernst gelten lassen wolle, son¬
dern eigentlich nur an seinen Sarkasmus glaube. Solcher, oft wahrhaft
witziger, oft sehr boshafter und nur selten harmloser Sarkasmen entsinne man
sich in München zu Tausenden und erzählt sie lachend den Fremden.

Noch unter Max Josef waren zwei Naturforscher auf königliche Kosten
nach Brasilien geschickt worden, sollen aber mit reicherer Ausbeute für sich
selbst, als für den Staat, heimgekehrt sein, und zählten also zu den Parasiten
des früheren Hofes. Wir wollen sie "Münz" und "Sturz" nennen. Als
König Ludwig den Thron bestiegen, konnte er diese Frage freilich nicht mehr
gerichtlich untersuchen lassen, aber er bereitete sich eine Privatrache vor, die er
Jahre lang mit ebensoviel Witz als Behagen durchführte. So oft er nämlich
Münz begegnete, streckte er ihm beide Hände entgegen und begrüßte ihn:
"Lieber Sturz, wie geht's?" Wenn der verwechselt Angeredete dann sagte:
"Eure Majestät, ich bin Münz", so erwiderte der König, seine Taubheit vor¬
schützend: "Ja wohl, ich weiß, Sie sind Sturz, Sie sind ein Ehrenmann,
lieber Professor; aber der verwünschte Münz, der hat den Staat bestohlen,
schade daß ich ihn nicht fassen kann! Adieu, lieber braver Sturz!" Und
genau dieselbe Scene der Verwechslung spielte er mit Sturz, wenn er diesem
begegnete, nannte ihn seinen guten ehrlichen Münz, schimpfte um so heilloser
über Sturz, dem er eben das Alles -- mit der Miene höchster Naivetät --
direct in's Gesicht sagte.

Oft waren seine Witze gerechte Geißelungen, sogar mit sittlichem Ernst
und wie aus demokratischer Gesinnung. Beim Prinzen Adalbert spielten die
Hofdamen öfters Privattheater, der Prinz zog aber manchmal auch eine Hof¬
schauspielerin in's Spiel, um der Darstellung mehr Sicherheit zu verleihen.
So war auch einmal eine der allerbeliebtesten und bestberufenen Künstlerinnen
zu solcher Aushülfe gebeten worden und hatte freundlichst zugesagt. Als sie
jedoch im Damenzirkel erschien und die Prinzeß sie vorstellte, legte eine der
Damen sofort ihre Rolle nieder, denn sie spiele mit keinem "Theatervolk."
Alles war empört, doch ließ sich nicht gut sofort etwas erwidern. Aber der
Prinz Adalbert erzählte diesen Affront seinem Vater. Einige Tage darnach
sah dieser jene Gräfin auf der Straße gehen. Er lief ihr nach, sie laut beim
Namen rufend, und holte sie auch richtig ein, indem er sie laut und lachend
ansprach, während all' die Fußgänger stehen blieben und zuhörten: "Habe
gehört, liebe Gräfin! Sehr recht gethan! Nicht mit Hofschauspielerinnen
agiren wollen ! Man muß aus seine Geburt halten! Ihr Großvater selig


herumtrieb und vor kleinen Abenteuern nicht zurückschreckte, die ihn manchmal
in Gefahr brachten; wenn er in der Stadt, in jeder Straße jeglich Bürger¬
mädchen wohlgefällig ansprach — so trug all das zusammen keineswegs stark
dazu bei, den König beliebt zu machen. Es schien vielmehr, als ob man der¬
gleichen niemals für rechten und gutgemeinten Ernst gelten lassen wolle, son¬
dern eigentlich nur an seinen Sarkasmus glaube. Solcher, oft wahrhaft
witziger, oft sehr boshafter und nur selten harmloser Sarkasmen entsinne man
sich in München zu Tausenden und erzählt sie lachend den Fremden.

Noch unter Max Josef waren zwei Naturforscher auf königliche Kosten
nach Brasilien geschickt worden, sollen aber mit reicherer Ausbeute für sich
selbst, als für den Staat, heimgekehrt sein, und zählten also zu den Parasiten
des früheren Hofes. Wir wollen sie „Münz" und „Sturz" nennen. Als
König Ludwig den Thron bestiegen, konnte er diese Frage freilich nicht mehr
gerichtlich untersuchen lassen, aber er bereitete sich eine Privatrache vor, die er
Jahre lang mit ebensoviel Witz als Behagen durchführte. So oft er nämlich
Münz begegnete, streckte er ihm beide Hände entgegen und begrüßte ihn:
„Lieber Sturz, wie geht's?" Wenn der verwechselt Angeredete dann sagte:
„Eure Majestät, ich bin Münz", so erwiderte der König, seine Taubheit vor¬
schützend: „Ja wohl, ich weiß, Sie sind Sturz, Sie sind ein Ehrenmann,
lieber Professor; aber der verwünschte Münz, der hat den Staat bestohlen,
schade daß ich ihn nicht fassen kann! Adieu, lieber braver Sturz!" Und
genau dieselbe Scene der Verwechslung spielte er mit Sturz, wenn er diesem
begegnete, nannte ihn seinen guten ehrlichen Münz, schimpfte um so heilloser
über Sturz, dem er eben das Alles — mit der Miene höchster Naivetät —
direct in's Gesicht sagte.

Oft waren seine Witze gerechte Geißelungen, sogar mit sittlichem Ernst
und wie aus demokratischer Gesinnung. Beim Prinzen Adalbert spielten die
Hofdamen öfters Privattheater, der Prinz zog aber manchmal auch eine Hof¬
schauspielerin in's Spiel, um der Darstellung mehr Sicherheit zu verleihen.
So war auch einmal eine der allerbeliebtesten und bestberufenen Künstlerinnen
zu solcher Aushülfe gebeten worden und hatte freundlichst zugesagt. Als sie
jedoch im Damenzirkel erschien und die Prinzeß sie vorstellte, legte eine der
Damen sofort ihre Rolle nieder, denn sie spiele mit keinem „Theatervolk."
Alles war empört, doch ließ sich nicht gut sofort etwas erwidern. Aber der
Prinz Adalbert erzählte diesen Affront seinem Vater. Einige Tage darnach
sah dieser jene Gräfin auf der Straße gehen. Er lief ihr nach, sie laut beim
Namen rufend, und holte sie auch richtig ein, indem er sie laut und lachend
ansprach, während all' die Fußgänger stehen blieben und zuhörten: „Habe
gehört, liebe Gräfin! Sehr recht gethan! Nicht mit Hofschauspielerinnen
agiren wollen ! Man muß aus seine Geburt halten! Ihr Großvater selig


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[0195] herumtrieb und vor kleinen Abenteuern nicht zurückschreckte, die ihn manchmal in Gefahr brachten; wenn er in der Stadt, in jeder Straße jeglich Bürger¬ mädchen wohlgefällig ansprach — so trug all das zusammen keineswegs stark dazu bei, den König beliebt zu machen. Es schien vielmehr, als ob man der¬ gleichen niemals für rechten und gutgemeinten Ernst gelten lassen wolle, son¬ dern eigentlich nur an seinen Sarkasmus glaube. Solcher, oft wahrhaft witziger, oft sehr boshafter und nur selten harmloser Sarkasmen entsinne man sich in München zu Tausenden und erzählt sie lachend den Fremden. Noch unter Max Josef waren zwei Naturforscher auf königliche Kosten nach Brasilien geschickt worden, sollen aber mit reicherer Ausbeute für sich selbst, als für den Staat, heimgekehrt sein, und zählten also zu den Parasiten des früheren Hofes. Wir wollen sie „Münz" und „Sturz" nennen. Als König Ludwig den Thron bestiegen, konnte er diese Frage freilich nicht mehr gerichtlich untersuchen lassen, aber er bereitete sich eine Privatrache vor, die er Jahre lang mit ebensoviel Witz als Behagen durchführte. So oft er nämlich Münz begegnete, streckte er ihm beide Hände entgegen und begrüßte ihn: „Lieber Sturz, wie geht's?" Wenn der verwechselt Angeredete dann sagte: „Eure Majestät, ich bin Münz", so erwiderte der König, seine Taubheit vor¬ schützend: „Ja wohl, ich weiß, Sie sind Sturz, Sie sind ein Ehrenmann, lieber Professor; aber der verwünschte Münz, der hat den Staat bestohlen, schade daß ich ihn nicht fassen kann! Adieu, lieber braver Sturz!" Und genau dieselbe Scene der Verwechslung spielte er mit Sturz, wenn er diesem begegnete, nannte ihn seinen guten ehrlichen Münz, schimpfte um so heilloser über Sturz, dem er eben das Alles — mit der Miene höchster Naivetät — direct in's Gesicht sagte. Oft waren seine Witze gerechte Geißelungen, sogar mit sittlichem Ernst und wie aus demokratischer Gesinnung. Beim Prinzen Adalbert spielten die Hofdamen öfters Privattheater, der Prinz zog aber manchmal auch eine Hof¬ schauspielerin in's Spiel, um der Darstellung mehr Sicherheit zu verleihen. So war auch einmal eine der allerbeliebtesten und bestberufenen Künstlerinnen zu solcher Aushülfe gebeten worden und hatte freundlichst zugesagt. Als sie jedoch im Damenzirkel erschien und die Prinzeß sie vorstellte, legte eine der Damen sofort ihre Rolle nieder, denn sie spiele mit keinem „Theatervolk." Alles war empört, doch ließ sich nicht gut sofort etwas erwidern. Aber der Prinz Adalbert erzählte diesen Affront seinem Vater. Einige Tage darnach sah dieser jene Gräfin auf der Straße gehen. Er lief ihr nach, sie laut beim Namen rufend, und holte sie auch richtig ein, indem er sie laut und lachend ansprach, während all' die Fußgänger stehen blieben und zuhörten: „Habe gehört, liebe Gräfin! Sehr recht gethan! Nicht mit Hofschauspielerinnen agiren wollen ! Man muß aus seine Geburt halten! Ihr Großvater selig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/195>, abgerufen am 24.08.2024.