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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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drohte. Doch konnte man unmöglich diese beobachtende Haltung für immer
fortsetzen. Die wachsende Einwirkung der Internationale, die sich in den Ar¬
beitseinstellungen von Roubair, Amiens, Paris, Genf u, f. w. kundgegeben,
versetzte die Negierung in die Nothwendigkeit, den Bund ihrem System einzu¬
verleiben oder ihn zu vernichten. In jener Hinsicht wollte man sich für den
Anfang mit Wenigem begnügen. Das Manifest der Pariser, welches auf
dem Genfer Congreß verlesen worden, wurde an der französischen Grenze mit
Beschlag belegt. Das Correspondenz-Bureau auf der Rue des Grevilliers
verlangte beim Minister des Innern Aufklärung über diese Maßregel. Herr
Rouher erbat sich darauf eine Besprechung mit Bourdon, dem einen Mit¬
unterzeichner des Manifestes, in welcher er den Eingang des letzteren gestatten
zu wollen erklärte, wenn man einige Abänderungen daran vornehme. Als
dies verweigert wurde, sagte der Minister: "Wenn Sie ein paar dankende
Worte für den Kaiser einfließen lassen wollten, der so viel für die arbeitenden
Elassen gethan hat, so könnte man sehen, was sich thun läßt." Diese Worte
aber erregten auf dem Congreß "allgemeine Heiterkeit."

Trotz der Klugheit der beiden Gegner war der Krieg unvermeidlich ge¬
worden. Gewisse Umstände beschleunigten seinen Ausbruch. Die alte Revo¬
lutionspartei, deren Götter Garibaldi, Blanqui, Ledru Rollin und Mazzini
waren, hatte die Gründung der Internationale mit Argwohn gesehen; diese
neuen Leute waren natürlich "Verräther." Als sie erklärten, daß sie sich der
eigentlichen Politik fern halten wollten, schrie man von Seiten jener alten
Pächter des revolutionären Geschäfts mit doppelter Energie der Lungen Ver¬
rath, und das verfehlte nicht, auf eine ziemlich große Anzahl der Anhänger
der Internationale zu wirken, die zwischen ihren revolutionären und ihren
socialistischen Instincten schwankten. Die Klugheit der Führer des Bundes
bewahrte sie vor Verfolgungen von oben, setzte sie aber dafür Verdächtigungen
von unten her aus. Man warf ihnen heftig die officiellen Unterstützungen
vor, welche ihre Reise zur Industrieausstellung von 1862 erleichtert. Man
bemerkte mit Bitterkeit, daß keiner von ihnen bei dem Vorfall im Cafe de la
Renaissance betheiligt gewesen, welcher im Januar 1867 die Blüthen und
Spitzen der jacobinischen Demagogie, Protot, Landowski, Jeunesse u. s. w.,
auf mehrere Monate ins Gefängniß gebracht hatte. So beunruhigte sich all-
mählig die ganze Masse der französischen Anhänger des Bundes und übte
einen so starken Druck auf die Führer, daß sie nicht umhin konnten, sich als
radicale Demokraten zu bekennen.

Im September 1867 faßte der Congreß von Lausanne äußerst entschie¬
dene Resolutionen gegen den Krieg. Nun aber erklärte zu derselben Stunde
in Genf, wenige Meilen von da, wo die Internationale sich ihr Stelldichein
gab, die andere Fraction - der demagogischen Partei unter dem Vorwande,


drohte. Doch konnte man unmöglich diese beobachtende Haltung für immer
fortsetzen. Die wachsende Einwirkung der Internationale, die sich in den Ar¬
beitseinstellungen von Roubair, Amiens, Paris, Genf u, f. w. kundgegeben,
versetzte die Negierung in die Nothwendigkeit, den Bund ihrem System einzu¬
verleiben oder ihn zu vernichten. In jener Hinsicht wollte man sich für den
Anfang mit Wenigem begnügen. Das Manifest der Pariser, welches auf
dem Genfer Congreß verlesen worden, wurde an der französischen Grenze mit
Beschlag belegt. Das Correspondenz-Bureau auf der Rue des Grevilliers
verlangte beim Minister des Innern Aufklärung über diese Maßregel. Herr
Rouher erbat sich darauf eine Besprechung mit Bourdon, dem einen Mit¬
unterzeichner des Manifestes, in welcher er den Eingang des letzteren gestatten
zu wollen erklärte, wenn man einige Abänderungen daran vornehme. Als
dies verweigert wurde, sagte der Minister: „Wenn Sie ein paar dankende
Worte für den Kaiser einfließen lassen wollten, der so viel für die arbeitenden
Elassen gethan hat, so könnte man sehen, was sich thun läßt." Diese Worte
aber erregten auf dem Congreß „allgemeine Heiterkeit."

Trotz der Klugheit der beiden Gegner war der Krieg unvermeidlich ge¬
worden. Gewisse Umstände beschleunigten seinen Ausbruch. Die alte Revo¬
lutionspartei, deren Götter Garibaldi, Blanqui, Ledru Rollin und Mazzini
waren, hatte die Gründung der Internationale mit Argwohn gesehen; diese
neuen Leute waren natürlich „Verräther." Als sie erklärten, daß sie sich der
eigentlichen Politik fern halten wollten, schrie man von Seiten jener alten
Pächter des revolutionären Geschäfts mit doppelter Energie der Lungen Ver¬
rath, und das verfehlte nicht, auf eine ziemlich große Anzahl der Anhänger
der Internationale zu wirken, die zwischen ihren revolutionären und ihren
socialistischen Instincten schwankten. Die Klugheit der Führer des Bundes
bewahrte sie vor Verfolgungen von oben, setzte sie aber dafür Verdächtigungen
von unten her aus. Man warf ihnen heftig die officiellen Unterstützungen
vor, welche ihre Reise zur Industrieausstellung von 1862 erleichtert. Man
bemerkte mit Bitterkeit, daß keiner von ihnen bei dem Vorfall im Cafe de la
Renaissance betheiligt gewesen, welcher im Januar 1867 die Blüthen und
Spitzen der jacobinischen Demagogie, Protot, Landowski, Jeunesse u. s. w.,
auf mehrere Monate ins Gefängniß gebracht hatte. So beunruhigte sich all-
mählig die ganze Masse der französischen Anhänger des Bundes und übte
einen so starken Druck auf die Führer, daß sie nicht umhin konnten, sich als
radicale Demokraten zu bekennen.

Im September 1867 faßte der Congreß von Lausanne äußerst entschie¬
dene Resolutionen gegen den Krieg. Nun aber erklärte zu derselben Stunde
in Genf, wenige Meilen von da, wo die Internationale sich ihr Stelldichein
gab, die andere Fraction - der demagogischen Partei unter dem Vorwande,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/180>, abgerufen am 22.07.2024.