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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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große Neigung für alle Neuerungen kundgab, enthielt sich sogar einer gewissen
Borliebe -für sociale Reformen nicht.

Unter solchen Umständen sich dadurch, daß man offen sagte, man sei ein
Freund der Republik, seine damals allmächtige Feindschaft zuzuziehen, wäre
von Seiten der Gründer der Internationale die größte Thorheit gewesen.
Andererseits aber durfte man auch nicht daran denken, Schutz und Gunst bei
ihm durch offenkundige Anerkennung oder auch nur durch mehr oder minder
zarte Schmeicheleien oder Gefälligkeiten bei den Wahlen zu suchen; denn alle
Anhänger waren dem Kaiserthum schon deshalb fanatisch feindlich gesinnt,
weil es eben die bestehende Negierung war, und würden beim ersten Schritt,
den ihre Führer in dieser Richtung gewagt hätten, die neue Gesellschaft in
Masse verlassen haben. So gab es nur eine Möglichkeit: man mußte die
socialen Fragen für viel wichtiger als die politischen erklären und daran die
weitere Erklärung knüpfen, daß man aller Politik fern bleiben werde. Dies
geschah von Seiten der französischen Führer, und dieselben blieben diesem
Programm, abgesehen von der polnischen Frage, mit der sie dem Kaiser nicht
in die Quer kamen, in der ersten Zeit so treu, daß die Minister des Kaiser¬
reiches in der Hoffnung, sich durch einige Gunstbezeugungen diese junge Kraft
zu verbinden, die Naivetät hatten, sie sich in voller Freiheit entwickeln zu
lassen.

Bald nach Gründung der Internationale eröffneten Tolain, Fribourg und
Murat zu Paris ein "Correspondenz-Bureau" und luden die Arbeiter ein,
den provisorischen Statuten beizutreten. Die Pariser Correspondenten, Mit¬
glieder des in London lagerten Generalraths, hielten sich nicht sür verpflich¬
tet, die Erlaubniß der Behörde dazu einzuholen, da sie keinen französischen
Verein gründeten, sondern nur Anhänger für eine internationale Gesellschaft,
die ihren Sitz im Ausland hatte, warben. Sie begnügten sich damit, einfach
dem Polizeipräfeeten und dem Minister des Innern Anzeige von der Eröff¬
nung ihres Bureaus zu machen und derselben ein Exemplar der provisorischen
Statuten des Bundes beizuschließen.

Die genannten Behörden antworteten darauf weder durch ein förmliches
Verbot noch durch eine regelmäßige Erlaubniß. Der Imperialismus gedachte
sich offenbar des in Se. Martins Hall gegründeten Bundes als einer Stütze
gegen das Bürgerthum zu bedienen oder ihn zu einem Schreckmittel zur
Zähmung der liberalen Bestrebungen werden zu lassen, welche um 1864 in
den Mitteleassen Frankreichs sich wieder mächtig zu regen begannen. Die
Führer der Internationale erriethen vielleicht diese Politik oder sahen doch,
daß man ihrem Unternehmen nicht abgeneigt war, und beeilten sich, davon
Nutzen zu ziehen, vergnügt, in dem Augenblicke, wo ihre Gesellschaft noch
schwach war, einen Streit vermeiden zu können, in welchem ihr der Untergang


große Neigung für alle Neuerungen kundgab, enthielt sich sogar einer gewissen
Borliebe -für sociale Reformen nicht.

Unter solchen Umständen sich dadurch, daß man offen sagte, man sei ein
Freund der Republik, seine damals allmächtige Feindschaft zuzuziehen, wäre
von Seiten der Gründer der Internationale die größte Thorheit gewesen.
Andererseits aber durfte man auch nicht daran denken, Schutz und Gunst bei
ihm durch offenkundige Anerkennung oder auch nur durch mehr oder minder
zarte Schmeicheleien oder Gefälligkeiten bei den Wahlen zu suchen; denn alle
Anhänger waren dem Kaiserthum schon deshalb fanatisch feindlich gesinnt,
weil es eben die bestehende Negierung war, und würden beim ersten Schritt,
den ihre Führer in dieser Richtung gewagt hätten, die neue Gesellschaft in
Masse verlassen haben. So gab es nur eine Möglichkeit: man mußte die
socialen Fragen für viel wichtiger als die politischen erklären und daran die
weitere Erklärung knüpfen, daß man aller Politik fern bleiben werde. Dies
geschah von Seiten der französischen Führer, und dieselben blieben diesem
Programm, abgesehen von der polnischen Frage, mit der sie dem Kaiser nicht
in die Quer kamen, in der ersten Zeit so treu, daß die Minister des Kaiser¬
reiches in der Hoffnung, sich durch einige Gunstbezeugungen diese junge Kraft
zu verbinden, die Naivetät hatten, sie sich in voller Freiheit entwickeln zu
lassen.

Bald nach Gründung der Internationale eröffneten Tolain, Fribourg und
Murat zu Paris ein „Correspondenz-Bureau" und luden die Arbeiter ein,
den provisorischen Statuten beizutreten. Die Pariser Correspondenten, Mit¬
glieder des in London lagerten Generalraths, hielten sich nicht sür verpflich¬
tet, die Erlaubniß der Behörde dazu einzuholen, da sie keinen französischen
Verein gründeten, sondern nur Anhänger für eine internationale Gesellschaft,
die ihren Sitz im Ausland hatte, warben. Sie begnügten sich damit, einfach
dem Polizeipräfeeten und dem Minister des Innern Anzeige von der Eröff¬
nung ihres Bureaus zu machen und derselben ein Exemplar der provisorischen
Statuten des Bundes beizuschließen.

Die genannten Behörden antworteten darauf weder durch ein förmliches
Verbot noch durch eine regelmäßige Erlaubniß. Der Imperialismus gedachte
sich offenbar des in Se. Martins Hall gegründeten Bundes als einer Stütze
gegen das Bürgerthum zu bedienen oder ihn zu einem Schreckmittel zur
Zähmung der liberalen Bestrebungen werden zu lassen, welche um 1864 in
den Mitteleassen Frankreichs sich wieder mächtig zu regen begannen. Die
Führer der Internationale erriethen vielleicht diese Politik oder sahen doch,
daß man ihrem Unternehmen nicht abgeneigt war, und beeilten sich, davon
Nutzen zu ziehen, vergnügt, in dem Augenblicke, wo ihre Gesellschaft noch
schwach war, einen Streit vermeiden zu können, in welchem ihr der Untergang


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/179>, abgerufen am 22.07.2024.