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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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spiriren, 'daß sie eigentlich nur aus Wohlgefallen an aufgerissenem Pflaster
Barrikaden gebaut sehen möchten, daß auch die radicalste Umwälzung für sie
noch den Wunsch nach einer weiteren Revolution übrig läßt, und insofern
stellen sie ein Programm auf, welches sich wenigstens für das Auge eines
"Bourgeois" nicht merklich von dem der Mitglieder der Internationale unter¬
scheidet. Sie wollen nicht blos die Republik, sie wollen sie auch social-demo¬
kratisch eingerichtet haben, und so lassen sie sich Socialisten nennen wie die
Andern. Aber diese Andern merken recht gut, daß das nur ein Zugestandn iß
ist, und daß diese Sorte Socialismus nicht jede Probe aushält.

Das Genfer Organ der Internationale, die "Egalite'", täuscht sich darüber
nicht, wenn es sagt:

"Die intevessirte und im höchsten Grade faule Propaganda der Priester,
der Regierungen und aller Bourgeois-Parteien, auch die röthesten nicht aus¬
genommen, hat unter den Arbeitermassen eine Menge von falschen Vor¬
stellungen verbreitet, und diese verblendeten Massen geben sich leider noch viel
zu sehr mit Leidenschaft Lügen hin, welche keinen andern Zweck haben, als sie
freiwillig und einfältig zum Schaden ihrer eigenen Interessen denen der be¬
vorrechteten Classen dienen zu lassen." -- "Die Sklaverei und die Noth des
Volkes werden so lange immer dieselben bleiben, als die Volksmassen fort¬
fahren, der Bourgeois-Politik als Werkzeug zu dienen, mag diese Politik sich
konservativ, liberal, fortschrittlich, radical nennen, mag sie sich sogar die revo¬
lutionärste Miene von der Welt geben. Denn jede Bourgeois-Politik kann,
was auch ihre Farbe und ihr Name sei, im Grunde nur ein Ziel haben:
die Aufrechthaltung der Bourgeois-Herrschaft, und die Bourgeois-Herrschaft
ist die Sklaverei des Proletariats."

So waren der Internationale alle Parteien, welche sie vorfand, verdächtig
oder verhaßt. Außerdem aber hatte sie noch andere Gründe, sich der Ein¬
mischung in die eigentliche Politik bis auf Weiteres zu enthalten, und wenn
ein oder zwei Programme hiervon zu Gunsten Polens eine Ausnahme machten,
so war das eine vorübergehende Schrulle. Jene andern Gründe waren aber
folgende:

Das Kaiserthum war damals in Frankreich, wie bemerkt, noch sehr stark,
wenigstens schien es so. Ohne Zulassung des kaiserlichen Gouvernements war
es dem Bunde fast unmöglich, sich in Frankreich festzusetzen und auszubreiten.
Nun aber war Napoleon von der Furcht vor dem Socialismus zum Kaiser
ausgerufen worden; wenn man dem Manne des 2. December gestattet hatte,
alle Freiheit zu unterdrücken, so war es in der Erwartung geschehen, er
werde sich dieser Machtfülle zur Ausrottung des Socialismus bedienen. Aber
er war dieser Verpflichtung so wenig wie allen denen nachgekommen, die er
gegen Ludwig Philipp und die Republik übernommen, ja, der Kaiser, welcher


spiriren, 'daß sie eigentlich nur aus Wohlgefallen an aufgerissenem Pflaster
Barrikaden gebaut sehen möchten, daß auch die radicalste Umwälzung für sie
noch den Wunsch nach einer weiteren Revolution übrig läßt, und insofern
stellen sie ein Programm auf, welches sich wenigstens für das Auge eines
„Bourgeois" nicht merklich von dem der Mitglieder der Internationale unter¬
scheidet. Sie wollen nicht blos die Republik, sie wollen sie auch social-demo¬
kratisch eingerichtet haben, und so lassen sie sich Socialisten nennen wie die
Andern. Aber diese Andern merken recht gut, daß das nur ein Zugestandn iß
ist, und daß diese Sorte Socialismus nicht jede Probe aushält.

Das Genfer Organ der Internationale, die „Egalite'", täuscht sich darüber
nicht, wenn es sagt:

„Die intevessirte und im höchsten Grade faule Propaganda der Priester,
der Regierungen und aller Bourgeois-Parteien, auch die röthesten nicht aus¬
genommen, hat unter den Arbeitermassen eine Menge von falschen Vor¬
stellungen verbreitet, und diese verblendeten Massen geben sich leider noch viel
zu sehr mit Leidenschaft Lügen hin, welche keinen andern Zweck haben, als sie
freiwillig und einfältig zum Schaden ihrer eigenen Interessen denen der be¬
vorrechteten Classen dienen zu lassen." — „Die Sklaverei und die Noth des
Volkes werden so lange immer dieselben bleiben, als die Volksmassen fort¬
fahren, der Bourgeois-Politik als Werkzeug zu dienen, mag diese Politik sich
konservativ, liberal, fortschrittlich, radical nennen, mag sie sich sogar die revo¬
lutionärste Miene von der Welt geben. Denn jede Bourgeois-Politik kann,
was auch ihre Farbe und ihr Name sei, im Grunde nur ein Ziel haben:
die Aufrechthaltung der Bourgeois-Herrschaft, und die Bourgeois-Herrschaft
ist die Sklaverei des Proletariats."

So waren der Internationale alle Parteien, welche sie vorfand, verdächtig
oder verhaßt. Außerdem aber hatte sie noch andere Gründe, sich der Ein¬
mischung in die eigentliche Politik bis auf Weiteres zu enthalten, und wenn
ein oder zwei Programme hiervon zu Gunsten Polens eine Ausnahme machten,
so war das eine vorübergehende Schrulle. Jene andern Gründe waren aber
folgende:

Das Kaiserthum war damals in Frankreich, wie bemerkt, noch sehr stark,
wenigstens schien es so. Ohne Zulassung des kaiserlichen Gouvernements war
es dem Bunde fast unmöglich, sich in Frankreich festzusetzen und auszubreiten.
Nun aber war Napoleon von der Furcht vor dem Socialismus zum Kaiser
ausgerufen worden; wenn man dem Manne des 2. December gestattet hatte,
alle Freiheit zu unterdrücken, so war es in der Erwartung geschehen, er
werde sich dieser Machtfülle zur Ausrottung des Socialismus bedienen. Aber
er war dieser Verpflichtung so wenig wie allen denen nachgekommen, die er
gegen Ludwig Philipp und die Republik übernommen, ja, der Kaiser, welcher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/178>, abgerufen am 22.07.2024.