Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.die kleinsten Maßstäbe haben. Wir Wilden dagegen sind bessere Menschen. Aus dem gleichen Grunde mag ich auch nicht leiden, wenn man die hie¬ die kleinsten Maßstäbe haben. Wir Wilden dagegen sind bessere Menschen. Aus dem gleichen Grunde mag ich auch nicht leiden, wenn man die hie¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/127554"/> <p xml:id="ID_513" prev="#ID_512"> die kleinsten Maßstäbe haben. Wir Wilden dagegen sind bessere Menschen.<lb/> Eben weil wir national sind, weil wir die ganze Gewalt und Hoheit des<lb/> Reichs zu würdigen wissen und mit voller Seele daran hängen, eben deswegen<lb/> hegen wir eine liebende Aufmerksamkeit auch für den kleinsten Theil dieses<lb/> großen Ganzen. Denn wir wissen, daß das Ganze aus Theilen besteht, und<lb/> daß zum nachhaltigen Gedeihen des Ganzen die lebenskräftige Entwickelung<lb/> auch der kleinsten Theile unentbehrlich ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_514" next="#ID_515"> Aus dem gleichen Grunde mag ich auch nicht leiden, wenn man die hie¬<lb/> sigen parlamentarischen Vorgänge durch eine ungerechtfertigte Vergleichung<lb/> mit den neuesten preußischen allzusehr in Schatten stellt. Jedem das Seine!<lb/> Daß Preußen 24 Millionen Einwohner, Sachsen nur etwa ein Zehntel da¬<lb/> von hat, daß dort zum guten Theil, was die innere Entwickelung anlangt,<lb/> die Geschicke des ganzen Reiches mit entschieden werden, während der Einfluß<lb/> Sachsens ein viel bescheidenerer ist, daß man dort einen Falk und einen<lb/> Bismarck hat und hier — keines von Beiden: das sollte doch nicht hin¬<lb/> dern, 5>en Fortschritt im parlamentarischen Leben und in der Gesetzgebung, der<lb/> auch hier sich vollzieht, unparteiisch anzuerkennen. Für Sachsen ist dieser<lb/> Fortschritten seiner Art so wichtig, wie für Preußen die freilich nach Außen<lb/> viel glanzvolleren Kämpfe gegen Ultramontanismus und Jesuitismus, welche<lb/> im Berliner Abgeordnetenhause ausgefochten werden; das neue Volksschulge¬<lb/> setz in Sachsen, wenn es zu Stande kommt — was freilich noch zweifelhaft<lb/> ist—, hat nicht für Sachsen allein, sondern über dessen Grenzen hinaus ebenso<lb/> gut seine Bedeutung, wie das neue Schulaufsichtsgesetz in Preußen. Ja, es<lb/> ist insofern noch vielseitiger und weitreichender, als es auch andere wichtige<lb/> Fragen der Schule (außer derjenigen der Ortsschulaufsicht) in seinen Bereich<lb/> zieht und im Geiste der Gegenwart zu lösen versucht: die Frage des obliga¬<lb/> torischen Fortbildungsunterrichts, die organisirte Oberaufsicht über die Schule<lb/> durch Fachmänner, das Collaturrecht über die Schule, die autonome Mit¬<lb/> wirkung der Gemeinde und Familie bei der Leitung der Schule durch besser<lb/> organisirte und mit weiteren Befugnissen ausgestattete Schulvorstände u. s. w.<lb/> Dem preußischen Kreisordnungsentwurf, der doch immer nur erst einen Theil,<lb/> wenn auch einen sehr wichtigen, der großen Aufgabe unserer Zeit: Selbstver¬<lb/> waltung in Gemeinde und Kreis, zu lösen unternimmt, stehen hier in Sachsen<lb/> gegenüber und können sich recht wohl zur Seite stellen: die umfänglichen Ge¬<lb/> setzesvorlagen über Gemeindewesen (revidirte Städteordnung, Städteordnung<lb/> für mittlere und kleine Städte, und revidirte Landgemeindeordnung), über Or¬<lb/> ganisation der Behörden, über Bildung von Bezirksvertretungen und die Vor¬<lb/> lage wegen Übertragung der Polizeistrasgewalt an die Gerichte. Endlich ist<lb/> der sächsische Landtag auch noch mit einer durchgreifenden Reform der sämmt¬<lb/> lichen directen Steuern beschäftigt — ein Problem, an das man in Preußen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0158]
die kleinsten Maßstäbe haben. Wir Wilden dagegen sind bessere Menschen.
Eben weil wir national sind, weil wir die ganze Gewalt und Hoheit des
Reichs zu würdigen wissen und mit voller Seele daran hängen, eben deswegen
hegen wir eine liebende Aufmerksamkeit auch für den kleinsten Theil dieses
großen Ganzen. Denn wir wissen, daß das Ganze aus Theilen besteht, und
daß zum nachhaltigen Gedeihen des Ganzen die lebenskräftige Entwickelung
auch der kleinsten Theile unentbehrlich ist.
Aus dem gleichen Grunde mag ich auch nicht leiden, wenn man die hie¬
sigen parlamentarischen Vorgänge durch eine ungerechtfertigte Vergleichung
mit den neuesten preußischen allzusehr in Schatten stellt. Jedem das Seine!
Daß Preußen 24 Millionen Einwohner, Sachsen nur etwa ein Zehntel da¬
von hat, daß dort zum guten Theil, was die innere Entwickelung anlangt,
die Geschicke des ganzen Reiches mit entschieden werden, während der Einfluß
Sachsens ein viel bescheidenerer ist, daß man dort einen Falk und einen
Bismarck hat und hier — keines von Beiden: das sollte doch nicht hin¬
dern, 5>en Fortschritt im parlamentarischen Leben und in der Gesetzgebung, der
auch hier sich vollzieht, unparteiisch anzuerkennen. Für Sachsen ist dieser
Fortschritten seiner Art so wichtig, wie für Preußen die freilich nach Außen
viel glanzvolleren Kämpfe gegen Ultramontanismus und Jesuitismus, welche
im Berliner Abgeordnetenhause ausgefochten werden; das neue Volksschulge¬
setz in Sachsen, wenn es zu Stande kommt — was freilich noch zweifelhaft
ist—, hat nicht für Sachsen allein, sondern über dessen Grenzen hinaus ebenso
gut seine Bedeutung, wie das neue Schulaufsichtsgesetz in Preußen. Ja, es
ist insofern noch vielseitiger und weitreichender, als es auch andere wichtige
Fragen der Schule (außer derjenigen der Ortsschulaufsicht) in seinen Bereich
zieht und im Geiste der Gegenwart zu lösen versucht: die Frage des obliga¬
torischen Fortbildungsunterrichts, die organisirte Oberaufsicht über die Schule
durch Fachmänner, das Collaturrecht über die Schule, die autonome Mit¬
wirkung der Gemeinde und Familie bei der Leitung der Schule durch besser
organisirte und mit weiteren Befugnissen ausgestattete Schulvorstände u. s. w.
Dem preußischen Kreisordnungsentwurf, der doch immer nur erst einen Theil,
wenn auch einen sehr wichtigen, der großen Aufgabe unserer Zeit: Selbstver¬
waltung in Gemeinde und Kreis, zu lösen unternimmt, stehen hier in Sachsen
gegenüber und können sich recht wohl zur Seite stellen: die umfänglichen Ge¬
setzesvorlagen über Gemeindewesen (revidirte Städteordnung, Städteordnung
für mittlere und kleine Städte, und revidirte Landgemeindeordnung), über Or¬
ganisation der Behörden, über Bildung von Bezirksvertretungen und die Vor¬
lage wegen Übertragung der Polizeistrasgewalt an die Gerichte. Endlich ist
der sächsische Landtag auch noch mit einer durchgreifenden Reform der sämmt¬
lichen directen Steuern beschäftigt — ein Problem, an das man in Preußen
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