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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Mitarbeiter von Seraing, indem die Soldateska drei ganze Nächte hin¬
durch euch mit Säbeln bearbeitet und euch den Degen durch den Leib gerannt
hat. oft ohne Anlaß, so haben wir diesen Schrei der Entrüstung ausgestoßen;
als wir die Ausdehnung eurer Leiden in Erfahrung gebracht hatten, fühlten
wir, wie der Haß uns erfaßte, und wahrlich, wenn die That dem Gedanken
gefolgt wäre, so hätten wir im ersten Augenblick die Vernichtung der Bar¬
baren herbeigewünscht, die euch ausrotten.

Aber Mitarbeiter, wenn auf dieses erste Gefühl so gerechter Entrüstung
die Ueberlegung folgt, so sieht man sich in eine ganz andere Strömung der
Ideen versetzt. Wie viele Male haben die zum Aeußersten getriebenen Ar¬
beiter ihren Unterdrückern den Untergang geschworen, und immer sind sie nach
vorübergehendem Triumph mehr als je vorher in die Sklaverei zurückgefallen.
Die Ursache ist. daß es nicht hinreicht, zu zerstören, man muß auch aufbauen,
und man baut nicht im Laufe eines Tages.

Also. Mitarbeiter, unterdrückt einen Augenblick euren gerechten Zorn und
antwortet nicht auf die Herausforderungen der Armee. Bedenkt, daß eure
Herren nichts lieber sähen, als daß ihr der Gewalt mit Gewalt antwortetet,
da sie dann einen Vorwand zu einer noch blutigeren Unterdrückung hätten.
Bedenkt, daß eure Brüder in andern Theilen des Landes noch nicht alle die
Nothwendigkeit begriffen haben, ihre Ketten zu zerbrechen, und daß eine Reihe
von aufeinanderfolgenden Erhebungen nur eine Reihe von aufeinanderfolgen¬
den Niederlagen herbeiführen könnte. Bedenkt, daß selbst wenn alle Arbeiter
Belgiens sich zusammmthäten, um ihrer Sache zum Triumphe zu verhelfen,
sie so lange ohnmächtig sein würden, als in den großen Staaten Europas
der Despotismus siegreich thronte auf den Leichnamen seiner Opfer. Bedenkt
endlich, daß der Aufruhr zu nichts führt, daß die Revolution vorbereitet sein
will, daß sie an dem Tage, wo sie siegreich sein wird, im Stande sein muß,
fast ohne Erschütterungen eine neue Ordnung der Dinge an die Stelle der
alten Ordnung zu setzen, welche nur die Unordnung ist.

Ruhe daher, Mitarbeiter, haltet eure gerechten Ansprüche aufrecht, aber
lasset euch nicht zu Gewaltschritten hinreißen. Wisset zu warten, euer Tag
wird schon kommen.

Tretet in Masse in den internationalen Arbeiterbund ein. Dort werdet
ihr eure Rechte kennen lernen, und die Mittel, die ihr anwenden müßt, um
sie triumphiren zu lassen, dort werdet ihr euch mit euren Brüdern aus allen
Theilen des Landes und der ganzen Welt vereinigen. Und wenn alle Streit¬
kräfte der Arbeiter vereinigt und über das belehrt sein werden, was sie zu
thun haben, an diesem Tage werden von allen Weltgegenden her auf einmal
die Arbeiter ihre Stimme hören lassen, vor welcher die Ungerechtigkeit zu-


Mitarbeiter von Seraing, indem die Soldateska drei ganze Nächte hin¬
durch euch mit Säbeln bearbeitet und euch den Degen durch den Leib gerannt
hat. oft ohne Anlaß, so haben wir diesen Schrei der Entrüstung ausgestoßen;
als wir die Ausdehnung eurer Leiden in Erfahrung gebracht hatten, fühlten
wir, wie der Haß uns erfaßte, und wahrlich, wenn die That dem Gedanken
gefolgt wäre, so hätten wir im ersten Augenblick die Vernichtung der Bar¬
baren herbeigewünscht, die euch ausrotten.

Aber Mitarbeiter, wenn auf dieses erste Gefühl so gerechter Entrüstung
die Ueberlegung folgt, so sieht man sich in eine ganz andere Strömung der
Ideen versetzt. Wie viele Male haben die zum Aeußersten getriebenen Ar¬
beiter ihren Unterdrückern den Untergang geschworen, und immer sind sie nach
vorübergehendem Triumph mehr als je vorher in die Sklaverei zurückgefallen.
Die Ursache ist. daß es nicht hinreicht, zu zerstören, man muß auch aufbauen,
und man baut nicht im Laufe eines Tages.

Also. Mitarbeiter, unterdrückt einen Augenblick euren gerechten Zorn und
antwortet nicht auf die Herausforderungen der Armee. Bedenkt, daß eure
Herren nichts lieber sähen, als daß ihr der Gewalt mit Gewalt antwortetet,
da sie dann einen Vorwand zu einer noch blutigeren Unterdrückung hätten.
Bedenkt, daß eure Brüder in andern Theilen des Landes noch nicht alle die
Nothwendigkeit begriffen haben, ihre Ketten zu zerbrechen, und daß eine Reihe
von aufeinanderfolgenden Erhebungen nur eine Reihe von aufeinanderfolgen¬
den Niederlagen herbeiführen könnte. Bedenkt, daß selbst wenn alle Arbeiter
Belgiens sich zusammmthäten, um ihrer Sache zum Triumphe zu verhelfen,
sie so lange ohnmächtig sein würden, als in den großen Staaten Europas
der Despotismus siegreich thronte auf den Leichnamen seiner Opfer. Bedenkt
endlich, daß der Aufruhr zu nichts führt, daß die Revolution vorbereitet sein
will, daß sie an dem Tage, wo sie siegreich sein wird, im Stande sein muß,
fast ohne Erschütterungen eine neue Ordnung der Dinge an die Stelle der
alten Ordnung zu setzen, welche nur die Unordnung ist.

Ruhe daher, Mitarbeiter, haltet eure gerechten Ansprüche aufrecht, aber
lasset euch nicht zu Gewaltschritten hinreißen. Wisset zu warten, euer Tag
wird schon kommen.

Tretet in Masse in den internationalen Arbeiterbund ein. Dort werdet
ihr eure Rechte kennen lernen, und die Mittel, die ihr anwenden müßt, um
sie triumphiren zu lassen, dort werdet ihr euch mit euren Brüdern aus allen
Theilen des Landes und der ganzen Welt vereinigen. Und wenn alle Streit¬
kräfte der Arbeiter vereinigt und über das belehrt sein werden, was sie zu
thun haben, an diesem Tage werden von allen Weltgegenden her auf einmal
die Arbeiter ihre Stimme hören lassen, vor welcher die Ungerechtigkeit zu-


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[0149] Mitarbeiter von Seraing, indem die Soldateska drei ganze Nächte hin¬ durch euch mit Säbeln bearbeitet und euch den Degen durch den Leib gerannt hat. oft ohne Anlaß, so haben wir diesen Schrei der Entrüstung ausgestoßen; als wir die Ausdehnung eurer Leiden in Erfahrung gebracht hatten, fühlten wir, wie der Haß uns erfaßte, und wahrlich, wenn die That dem Gedanken gefolgt wäre, so hätten wir im ersten Augenblick die Vernichtung der Bar¬ baren herbeigewünscht, die euch ausrotten. Aber Mitarbeiter, wenn auf dieses erste Gefühl so gerechter Entrüstung die Ueberlegung folgt, so sieht man sich in eine ganz andere Strömung der Ideen versetzt. Wie viele Male haben die zum Aeußersten getriebenen Ar¬ beiter ihren Unterdrückern den Untergang geschworen, und immer sind sie nach vorübergehendem Triumph mehr als je vorher in die Sklaverei zurückgefallen. Die Ursache ist. daß es nicht hinreicht, zu zerstören, man muß auch aufbauen, und man baut nicht im Laufe eines Tages. Also. Mitarbeiter, unterdrückt einen Augenblick euren gerechten Zorn und antwortet nicht auf die Herausforderungen der Armee. Bedenkt, daß eure Herren nichts lieber sähen, als daß ihr der Gewalt mit Gewalt antwortetet, da sie dann einen Vorwand zu einer noch blutigeren Unterdrückung hätten. Bedenkt, daß eure Brüder in andern Theilen des Landes noch nicht alle die Nothwendigkeit begriffen haben, ihre Ketten zu zerbrechen, und daß eine Reihe von aufeinanderfolgenden Erhebungen nur eine Reihe von aufeinanderfolgen¬ den Niederlagen herbeiführen könnte. Bedenkt, daß selbst wenn alle Arbeiter Belgiens sich zusammmthäten, um ihrer Sache zum Triumphe zu verhelfen, sie so lange ohnmächtig sein würden, als in den großen Staaten Europas der Despotismus siegreich thronte auf den Leichnamen seiner Opfer. Bedenkt endlich, daß der Aufruhr zu nichts führt, daß die Revolution vorbereitet sein will, daß sie an dem Tage, wo sie siegreich sein wird, im Stande sein muß, fast ohne Erschütterungen eine neue Ordnung der Dinge an die Stelle der alten Ordnung zu setzen, welche nur die Unordnung ist. Ruhe daher, Mitarbeiter, haltet eure gerechten Ansprüche aufrecht, aber lasset euch nicht zu Gewaltschritten hinreißen. Wisset zu warten, euer Tag wird schon kommen. Tretet in Masse in den internationalen Arbeiterbund ein. Dort werdet ihr eure Rechte kennen lernen, und die Mittel, die ihr anwenden müßt, um sie triumphiren zu lassen, dort werdet ihr euch mit euren Brüdern aus allen Theilen des Landes und der ganzen Welt vereinigen. Und wenn alle Streit¬ kräfte der Arbeiter vereinigt und über das belehrt sein werden, was sie zu thun haben, an diesem Tage werden von allen Weltgegenden her auf einmal die Arbeiter ihre Stimme hören lassen, vor welcher die Ungerechtigkeit zu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/149>, abgerufen am 22.12.2024.