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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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die Weber eine Lohnerhöhung, und als diese verweigert wurde, zogen sie sich
aus den Fabriken zurück, und auf die Emeute entwickelte sich eine regelmäßige
Arbeitseinstellung -- das Gegentheil von dem, was gewöhnlich geschieht; denn
in der Regel nimmt die Coalition, Anfangs friedlich, nur allmählich das
Wesen eines Aufstandes an.

Welche Rolle auch die Internationale bei dieser Arbeitseinstellung oder
bei den ihr vorausgegangenen Ereignissen gespielt hatte, sie konnte so crafse
Thatsachen nicht vorbeigehen lassen, ohne gewissermaßen amtlich die Ansicht
kundzugegeben, die sie von denselben hegte, und in der That zögerten die Herren
Tolain, Fribourg und Vurlin nicht, in ihrer Eigenschaft als Correspondenten
der Pariser Commission des Generalraths das folgende Manifest zu ver¬
öffentlichen :

"Beklagenswerthe Wirren, begleitet von noch beklagenswertheren Gewalt¬
thätigkeiten sind unter den Spinnern und Webern von Roubaix ausgebrochen.
Die Ursachen sind 1) die Einführung von Maschinen, welche den Webern
einen Zuwachs von Arbeit ohne Erhöhung des Lohnes auferlegen und zu
gleicher Zeit eine große Menge von Arbeitern außer Brod bringen, 2) die
Aufstellung eines Reglements, welches Maßregeln verfügt, die unwürdig sind,
und Strafen auferlegt, die in flagranter Weise ungesetzlich sind, 3) die Ein¬
mischung der Gendarmerie in diese Privatangelegenheiten und in einem Fall,
wo sie vielleicht über die öffentliche Sicherheit zu wachen, aber nicht durch ihre
Gegenwart die Anmaßungen Einzelner zu beschützen hatte. Die durch diese
Ursachen hervorgerufene Arbeitseinstellung hat die traurigen Ereignisse zur
Folge gehabt, welche der öffentlichen Meinung bekannt sind. In dieser Lage
glaubt die internationale Genossenschaft sich aussprechen und die Aufmerk¬
samkeit der Arbeiter aller Länder auf folgende Erklärungen lenken zu müssen:
Die Anwendung der Maschinen in der Industrie stellt ein wirthschaftliches
Problem auf, dessen baldige Lösung sich gebieterisch aufdrängt. Wir Arbeiter
erkennen im Prinzip das Recht der Arbeiter auf eine angemessene Lohnerhöhung
an, wenn ihnen durch ein neues Arbeitszeug eine erheblichere Productwn auf¬
erlegt wird. In Frankreich, im Lande des allgemeinen Stimmrechts und der
Gleichheit, ist der Arbeiter immer noch Bürger, wenn er auch die Thüren der
Werkstatt oder Fabrik durchschritten hat. Die den Spinnern von Roubaix
a"ferlegten Reglements sind für Leibeigene, nicht für freie Männer gemacht.
Sie sind nicht nur ein Attentat auf die Würde, sondern auch auf die Existenz
des Arbeiters, da die Zahlen der Strafgelder die Höhe des Lohnes über¬
steigen können.

Bei einem solchen Meinungsstreit, als noch keine Gewaltthätigkeit be¬
gangen worden war und die Arbeitseinstellung mit dem Verlassen der Werk-


die Weber eine Lohnerhöhung, und als diese verweigert wurde, zogen sie sich
aus den Fabriken zurück, und auf die Emeute entwickelte sich eine regelmäßige
Arbeitseinstellung — das Gegentheil von dem, was gewöhnlich geschieht; denn
in der Regel nimmt die Coalition, Anfangs friedlich, nur allmählich das
Wesen eines Aufstandes an.

Welche Rolle auch die Internationale bei dieser Arbeitseinstellung oder
bei den ihr vorausgegangenen Ereignissen gespielt hatte, sie konnte so crafse
Thatsachen nicht vorbeigehen lassen, ohne gewissermaßen amtlich die Ansicht
kundzugegeben, die sie von denselben hegte, und in der That zögerten die Herren
Tolain, Fribourg und Vurlin nicht, in ihrer Eigenschaft als Correspondenten
der Pariser Commission des Generalraths das folgende Manifest zu ver¬
öffentlichen :

„Beklagenswerthe Wirren, begleitet von noch beklagenswertheren Gewalt¬
thätigkeiten sind unter den Spinnern und Webern von Roubaix ausgebrochen.
Die Ursachen sind 1) die Einführung von Maschinen, welche den Webern
einen Zuwachs von Arbeit ohne Erhöhung des Lohnes auferlegen und zu
gleicher Zeit eine große Menge von Arbeitern außer Brod bringen, 2) die
Aufstellung eines Reglements, welches Maßregeln verfügt, die unwürdig sind,
und Strafen auferlegt, die in flagranter Weise ungesetzlich sind, 3) die Ein¬
mischung der Gendarmerie in diese Privatangelegenheiten und in einem Fall,
wo sie vielleicht über die öffentliche Sicherheit zu wachen, aber nicht durch ihre
Gegenwart die Anmaßungen Einzelner zu beschützen hatte. Die durch diese
Ursachen hervorgerufene Arbeitseinstellung hat die traurigen Ereignisse zur
Folge gehabt, welche der öffentlichen Meinung bekannt sind. In dieser Lage
glaubt die internationale Genossenschaft sich aussprechen und die Aufmerk¬
samkeit der Arbeiter aller Länder auf folgende Erklärungen lenken zu müssen:
Die Anwendung der Maschinen in der Industrie stellt ein wirthschaftliches
Problem auf, dessen baldige Lösung sich gebieterisch aufdrängt. Wir Arbeiter
erkennen im Prinzip das Recht der Arbeiter auf eine angemessene Lohnerhöhung
an, wenn ihnen durch ein neues Arbeitszeug eine erheblichere Productwn auf¬
erlegt wird. In Frankreich, im Lande des allgemeinen Stimmrechts und der
Gleichheit, ist der Arbeiter immer noch Bürger, wenn er auch die Thüren der
Werkstatt oder Fabrik durchschritten hat. Die den Spinnern von Roubaix
a«ferlegten Reglements sind für Leibeigene, nicht für freie Männer gemacht.
Sie sind nicht nur ein Attentat auf die Würde, sondern auch auf die Existenz
des Arbeiters, da die Zahlen der Strafgelder die Höhe des Lohnes über¬
steigen können.

Bei einem solchen Meinungsstreit, als noch keine Gewaltthätigkeit be¬
gangen worden war und die Arbeitseinstellung mit dem Verlassen der Werk-


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[0142] die Weber eine Lohnerhöhung, und als diese verweigert wurde, zogen sie sich aus den Fabriken zurück, und auf die Emeute entwickelte sich eine regelmäßige Arbeitseinstellung — das Gegentheil von dem, was gewöhnlich geschieht; denn in der Regel nimmt die Coalition, Anfangs friedlich, nur allmählich das Wesen eines Aufstandes an. Welche Rolle auch die Internationale bei dieser Arbeitseinstellung oder bei den ihr vorausgegangenen Ereignissen gespielt hatte, sie konnte so crafse Thatsachen nicht vorbeigehen lassen, ohne gewissermaßen amtlich die Ansicht kundzugegeben, die sie von denselben hegte, und in der That zögerten die Herren Tolain, Fribourg und Vurlin nicht, in ihrer Eigenschaft als Correspondenten der Pariser Commission des Generalraths das folgende Manifest zu ver¬ öffentlichen : „Beklagenswerthe Wirren, begleitet von noch beklagenswertheren Gewalt¬ thätigkeiten sind unter den Spinnern und Webern von Roubaix ausgebrochen. Die Ursachen sind 1) die Einführung von Maschinen, welche den Webern einen Zuwachs von Arbeit ohne Erhöhung des Lohnes auferlegen und zu gleicher Zeit eine große Menge von Arbeitern außer Brod bringen, 2) die Aufstellung eines Reglements, welches Maßregeln verfügt, die unwürdig sind, und Strafen auferlegt, die in flagranter Weise ungesetzlich sind, 3) die Ein¬ mischung der Gendarmerie in diese Privatangelegenheiten und in einem Fall, wo sie vielleicht über die öffentliche Sicherheit zu wachen, aber nicht durch ihre Gegenwart die Anmaßungen Einzelner zu beschützen hatte. Die durch diese Ursachen hervorgerufene Arbeitseinstellung hat die traurigen Ereignisse zur Folge gehabt, welche der öffentlichen Meinung bekannt sind. In dieser Lage glaubt die internationale Genossenschaft sich aussprechen und die Aufmerk¬ samkeit der Arbeiter aller Länder auf folgende Erklärungen lenken zu müssen: Die Anwendung der Maschinen in der Industrie stellt ein wirthschaftliches Problem auf, dessen baldige Lösung sich gebieterisch aufdrängt. Wir Arbeiter erkennen im Prinzip das Recht der Arbeiter auf eine angemessene Lohnerhöhung an, wenn ihnen durch ein neues Arbeitszeug eine erheblichere Productwn auf¬ erlegt wird. In Frankreich, im Lande des allgemeinen Stimmrechts und der Gleichheit, ist der Arbeiter immer noch Bürger, wenn er auch die Thüren der Werkstatt oder Fabrik durchschritten hat. Die den Spinnern von Roubaix a«ferlegten Reglements sind für Leibeigene, nicht für freie Männer gemacht. Sie sind nicht nur ein Attentat auf die Würde, sondern auch auf die Existenz des Arbeiters, da die Zahlen der Strafgelder die Höhe des Lohnes über¬ steigen können. Bei einem solchen Meinungsstreit, als noch keine Gewaltthätigkeit be¬ gangen worden war und die Arbeitseinstellung mit dem Verlassen der Werk-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/142>, abgerufen am 22.12.2024.