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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Wochen noch den Föderalisten, den verfassungsfeindlichen Deelaranten an.
Man thut aber sehr unrecht, wenn man diese Magnaten mit den natio-
nalen insofern in einen Topf wirft, als man ihr Mitwirken zu der Agitation
der Czechen mit aufrichtiger Schwärmerei für die Wenzelskrone und für ein
autonomes Königreich Böhmen erklärt.

Wer sind denn diese Cavaliere, die sich so czechisch geberden? nationaler
Adel, czechisches Blut? Keineswegs, wenigstens in ihrer überwiegenden Mehr¬
heit nicht. Im Gegentheil, sie sind vielmehr nach Geburt und Abstammung
nicht blos ein fremdes, sondern sogar ein dem Czechenthum feindliches Ele¬
ment. Sie sind gerade in den eifrigsten Mitgliedern ihrer Partei die Nach¬
kommen der Generale und Staatsmänner, welche in dem ersten Drittel des
dreißigjährigen Krieges bei der Niederwerfung und Vernichtung des nationa¬
len Staates, bei der Ausrottung und Depossedirung des nationalen Adels
Böhmens in hervorragender Weise behülflich waren. Sie sind die Enkel und
Erben derer, welche für jene dem kaiserlichen Beichtkinde Pater Lamormains
geleisteten Dienste, für jene Mitarbeit bei der Unterdrückung einerseits des
Czechenthums, andererseits des Protestantismus von der Jesuitenpolitik der
Habsburger mit den Gütern des Hingerichteten oder in die Verbannung ge¬
triebenen Adels der czechischen Nation belohnt wurden.

Die Vertreter unseres Großgrundbesitzes, die sich jetzt mit den Czechoma-
nen um die Wette für die Autonomie Böhmens begeistern, sind fast ohne
Ausnahme Deutsche. Wenn sie sich als Czechen aufspielen, so machen sie den¬
selben hochkomischen Eindruck, wie die wackern Junker von Krauthofer am
Weichselstrande, die sich eine Pikkesche mit Schnurengeschnörkel anziehen, eine
weiße oder rothe Confederatka aufsetzen und nun Pan Krutowski heißen
wollen. Keiner von ihnen spricht unter Seinesgleichen czechisch, nur wenige
reden oder verstehen es überhaupt einigermaßen, kaum einer oder zwei würden
die Probe aushalten, wenn man sie auf das famose consonantenlose Schibo-
leth: Streif prst skr? KrK -- die Worte heißen: steck den Daumen in den
Hals -- in Betreff ihrer Zugehörigkeit zu dem Volke Libussas prüfen wollte.
Sie sprechen wie ihre Mutter, Großmutter und Ureltermutter deutsch, sie
denken und empfinden aber wie ihr Vater, Großvater und Ureltervater weder
deutsch noch czechisch, sondern so unnational, so antinational wie ihre nächsten
Freunde und Verbündeten, die Klerikalen und Ultramontanen.

Man kennt die Geschichte Böhmens kurz vor und kurz nach der Schlacht
am weißen Berge, die Staatsmänner und Feldobersten, welche dem Kaiser
und seinen Leibjesuiten bei dem Werke der Vernichtung des selbstständigen
Böhmens und der darauf folgenden blutigen "Reformation" ihre Hand liehen,
die Intriguen, welche die centralistisch-ultramontane Hofpartei in Wien an¬
wendete, die Rache, die sie übte, und den Lohn, den sie erhielt. Man erinnert


Wochen noch den Föderalisten, den verfassungsfeindlichen Deelaranten an.
Man thut aber sehr unrecht, wenn man diese Magnaten mit den natio-
nalen insofern in einen Topf wirft, als man ihr Mitwirken zu der Agitation
der Czechen mit aufrichtiger Schwärmerei für die Wenzelskrone und für ein
autonomes Königreich Böhmen erklärt.

Wer sind denn diese Cavaliere, die sich so czechisch geberden? nationaler
Adel, czechisches Blut? Keineswegs, wenigstens in ihrer überwiegenden Mehr¬
heit nicht. Im Gegentheil, sie sind vielmehr nach Geburt und Abstammung
nicht blos ein fremdes, sondern sogar ein dem Czechenthum feindliches Ele¬
ment. Sie sind gerade in den eifrigsten Mitgliedern ihrer Partei die Nach¬
kommen der Generale und Staatsmänner, welche in dem ersten Drittel des
dreißigjährigen Krieges bei der Niederwerfung und Vernichtung des nationa¬
len Staates, bei der Ausrottung und Depossedirung des nationalen Adels
Böhmens in hervorragender Weise behülflich waren. Sie sind die Enkel und
Erben derer, welche für jene dem kaiserlichen Beichtkinde Pater Lamormains
geleisteten Dienste, für jene Mitarbeit bei der Unterdrückung einerseits des
Czechenthums, andererseits des Protestantismus von der Jesuitenpolitik der
Habsburger mit den Gütern des Hingerichteten oder in die Verbannung ge¬
triebenen Adels der czechischen Nation belohnt wurden.

Die Vertreter unseres Großgrundbesitzes, die sich jetzt mit den Czechoma-
nen um die Wette für die Autonomie Böhmens begeistern, sind fast ohne
Ausnahme Deutsche. Wenn sie sich als Czechen aufspielen, so machen sie den¬
selben hochkomischen Eindruck, wie die wackern Junker von Krauthofer am
Weichselstrande, die sich eine Pikkesche mit Schnurengeschnörkel anziehen, eine
weiße oder rothe Confederatka aufsetzen und nun Pan Krutowski heißen
wollen. Keiner von ihnen spricht unter Seinesgleichen czechisch, nur wenige
reden oder verstehen es überhaupt einigermaßen, kaum einer oder zwei würden
die Probe aushalten, wenn man sie auf das famose consonantenlose Schibo-
leth: Streif prst skr? KrK — die Worte heißen: steck den Daumen in den
Hals — in Betreff ihrer Zugehörigkeit zu dem Volke Libussas prüfen wollte.
Sie sprechen wie ihre Mutter, Großmutter und Ureltermutter deutsch, sie
denken und empfinden aber wie ihr Vater, Großvater und Ureltervater weder
deutsch noch czechisch, sondern so unnational, so antinational wie ihre nächsten
Freunde und Verbündeten, die Klerikalen und Ultramontanen.

Man kennt die Geschichte Böhmens kurz vor und kurz nach der Schlacht
am weißen Berge, die Staatsmänner und Feldobersten, welche dem Kaiser
und seinen Leibjesuiten bei dem Werke der Vernichtung des selbstständigen
Böhmens und der darauf folgenden blutigen „Reformation" ihre Hand liehen,
die Intriguen, welche die centralistisch-ultramontane Hofpartei in Wien an¬
wendete, die Rache, die sie übte, und den Lohn, den sie erhielt. Man erinnert


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[0125] Wochen noch den Föderalisten, den verfassungsfeindlichen Deelaranten an. Man thut aber sehr unrecht, wenn man diese Magnaten mit den natio- nalen insofern in einen Topf wirft, als man ihr Mitwirken zu der Agitation der Czechen mit aufrichtiger Schwärmerei für die Wenzelskrone und für ein autonomes Königreich Böhmen erklärt. Wer sind denn diese Cavaliere, die sich so czechisch geberden? nationaler Adel, czechisches Blut? Keineswegs, wenigstens in ihrer überwiegenden Mehr¬ heit nicht. Im Gegentheil, sie sind vielmehr nach Geburt und Abstammung nicht blos ein fremdes, sondern sogar ein dem Czechenthum feindliches Ele¬ ment. Sie sind gerade in den eifrigsten Mitgliedern ihrer Partei die Nach¬ kommen der Generale und Staatsmänner, welche in dem ersten Drittel des dreißigjährigen Krieges bei der Niederwerfung und Vernichtung des nationa¬ len Staates, bei der Ausrottung und Depossedirung des nationalen Adels Böhmens in hervorragender Weise behülflich waren. Sie sind die Enkel und Erben derer, welche für jene dem kaiserlichen Beichtkinde Pater Lamormains geleisteten Dienste, für jene Mitarbeit bei der Unterdrückung einerseits des Czechenthums, andererseits des Protestantismus von der Jesuitenpolitik der Habsburger mit den Gütern des Hingerichteten oder in die Verbannung ge¬ triebenen Adels der czechischen Nation belohnt wurden. Die Vertreter unseres Großgrundbesitzes, die sich jetzt mit den Czechoma- nen um die Wette für die Autonomie Böhmens begeistern, sind fast ohne Ausnahme Deutsche. Wenn sie sich als Czechen aufspielen, so machen sie den¬ selben hochkomischen Eindruck, wie die wackern Junker von Krauthofer am Weichselstrande, die sich eine Pikkesche mit Schnurengeschnörkel anziehen, eine weiße oder rothe Confederatka aufsetzen und nun Pan Krutowski heißen wollen. Keiner von ihnen spricht unter Seinesgleichen czechisch, nur wenige reden oder verstehen es überhaupt einigermaßen, kaum einer oder zwei würden die Probe aushalten, wenn man sie auf das famose consonantenlose Schibo- leth: Streif prst skr? KrK — die Worte heißen: steck den Daumen in den Hals — in Betreff ihrer Zugehörigkeit zu dem Volke Libussas prüfen wollte. Sie sprechen wie ihre Mutter, Großmutter und Ureltermutter deutsch, sie denken und empfinden aber wie ihr Vater, Großvater und Ureltervater weder deutsch noch czechisch, sondern so unnational, so antinational wie ihre nächsten Freunde und Verbündeten, die Klerikalen und Ultramontanen. Man kennt die Geschichte Böhmens kurz vor und kurz nach der Schlacht am weißen Berge, die Staatsmänner und Feldobersten, welche dem Kaiser und seinen Leibjesuiten bei dem Werke der Vernichtung des selbstständigen Böhmens und der darauf folgenden blutigen „Reformation" ihre Hand liehen, die Intriguen, welche die centralistisch-ultramontane Hofpartei in Wien an¬ wendete, die Rache, die sie übte, und den Lohn, den sie erhielt. Man erinnert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/125>, abgerufen am 02.10.2024.