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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Jon preußischen Landtag.
Die Kreisordnung.
(Schluß.)

Das Abgeordnetenhaus hat an den Bestimmungen der Regierungs¬
vorlage über die Bildung der Amtsbezirke zunächst folgende Aenderungen an¬
gebracht: Gemeinden, welche zu eigenen Amtsbezirken erklärt werden, sollen
in der Negel mindestens 800 Einwohner zählen; die zusammengesetzten Amts¬
bezirke sollen in der Regel nicht unter 800 und nicht über 3000 Einwohner
haben. Wichtiger als diese unerheblichen und nicht einmal kategorischen Ma߬
bestimmungen ist die Schaffung einer ganz neuen Körperschaft, des sogenann¬
ten Amtsausschusses. Das Bedürfniß nach Parlamenten, wo sie sich nur
irgend anbringen lassen, steckt unserem Liberalismus noch allzutief in den
Gliedern. Derselbe ist noch nicht zu der Einsicht gelangt, daß an der Ver¬
vielfältigung der Parlamente der Parlamentarismus nothwendig Schaden leiden
muß. Nach dem Regierungsgedanken sollte der Amtsbezirk ein reiner Ver¬
waltungsbezirk sein, unter der Oberinstanz des Kreises, für den parlamen¬
tarische, oder wenn man lieber will, repräsentative Organe unter allen
Umständen vorgesehen sind. Schon bei der Berathung der Regierungsvorlage
von 1869 drang ein Theil der liberalen Partei unter Laster's und Miquel's
Führung erstens auf kleinere Amtsbezirke, als die damals vorgeschlagenen,
und zweitens auf Amtsvertretungen, gewählt von den Einwohnern des Amts¬
bezirkes. Dieser letzte Gedanke ist nun aber auf dem platten Lande bei uns
höchst unbeliebt. Die zu Amtsbezirken vereinigten Gemeinden wollen in ihren
Geldangelegenheiten um jeden Preis getrennt bleiben. Die wohlhabenden
unter den Gemeinden wehren sich mit Händen und Füßen, etwaigen verschul¬
deten oder unbemittelten Nachbargemeinden bei gemeinsamer Wirthschaft von
dem Ihrigen geben zu sollen. Auch sind die Bedürfnisse, die Neigung und
Fähigkeit zum Gemeindeaufwand bei nächster Nähe doch überall verschieden.
So erscholl vom platten Lande der laute Ruf: um keinen Preis Sammt¬
gemeinden. Darauf entgegnete der doctrinelle Liberalismus: unsere Amts¬
vertretung soll keine Sammtgemeinde herstellen; sie soll nur solchen Bedürf¬
nissen dienen, wo die im Amtsbezirk vereinigten Gemeinden die gleichmäßige
Obsorge aller Gemeinden selbst wollen. Die Regierung entgegnete damals
hierauf ganz richtig: wenn ihr so denkt, so laßt euch genügen, daß eine Amts¬
vertretung auf Wunsch der Gemeinden bestellt werden kann, aber macht sie
nicht obligatorisch. -- Jetzt nun hatte die Regierung wieder von einer be¬
sonderen Amtsvertretung gänzlich abgesehen. Die vom Abgeordnetenhaus zur


Jon preußischen Landtag.
Die Kreisordnung.
(Schluß.)

Das Abgeordnetenhaus hat an den Bestimmungen der Regierungs¬
vorlage über die Bildung der Amtsbezirke zunächst folgende Aenderungen an¬
gebracht: Gemeinden, welche zu eigenen Amtsbezirken erklärt werden, sollen
in der Negel mindestens 800 Einwohner zählen; die zusammengesetzten Amts¬
bezirke sollen in der Regel nicht unter 800 und nicht über 3000 Einwohner
haben. Wichtiger als diese unerheblichen und nicht einmal kategorischen Ma߬
bestimmungen ist die Schaffung einer ganz neuen Körperschaft, des sogenann¬
ten Amtsausschusses. Das Bedürfniß nach Parlamenten, wo sie sich nur
irgend anbringen lassen, steckt unserem Liberalismus noch allzutief in den
Gliedern. Derselbe ist noch nicht zu der Einsicht gelangt, daß an der Ver¬
vielfältigung der Parlamente der Parlamentarismus nothwendig Schaden leiden
muß. Nach dem Regierungsgedanken sollte der Amtsbezirk ein reiner Ver¬
waltungsbezirk sein, unter der Oberinstanz des Kreises, für den parlamen¬
tarische, oder wenn man lieber will, repräsentative Organe unter allen
Umständen vorgesehen sind. Schon bei der Berathung der Regierungsvorlage
von 1869 drang ein Theil der liberalen Partei unter Laster's und Miquel's
Führung erstens auf kleinere Amtsbezirke, als die damals vorgeschlagenen,
und zweitens auf Amtsvertretungen, gewählt von den Einwohnern des Amts¬
bezirkes. Dieser letzte Gedanke ist nun aber auf dem platten Lande bei uns
höchst unbeliebt. Die zu Amtsbezirken vereinigten Gemeinden wollen in ihren
Geldangelegenheiten um jeden Preis getrennt bleiben. Die wohlhabenden
unter den Gemeinden wehren sich mit Händen und Füßen, etwaigen verschul¬
deten oder unbemittelten Nachbargemeinden bei gemeinsamer Wirthschaft von
dem Ihrigen geben zu sollen. Auch sind die Bedürfnisse, die Neigung und
Fähigkeit zum Gemeindeaufwand bei nächster Nähe doch überall verschieden.
So erscholl vom platten Lande der laute Ruf: um keinen Preis Sammt¬
gemeinden. Darauf entgegnete der doctrinelle Liberalismus: unsere Amts¬
vertretung soll keine Sammtgemeinde herstellen; sie soll nur solchen Bedürf¬
nissen dienen, wo die im Amtsbezirk vereinigten Gemeinden die gleichmäßige
Obsorge aller Gemeinden selbst wollen. Die Regierung entgegnete damals
hierauf ganz richtig: wenn ihr so denkt, so laßt euch genügen, daß eine Amts¬
vertretung auf Wunsch der Gemeinden bestellt werden kann, aber macht sie
nicht obligatorisch. — Jetzt nun hatte die Regierung wieder von einer be¬
sonderen Amtsvertretung gänzlich abgesehen. Die vom Abgeordnetenhaus zur


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[0115] Jon preußischen Landtag. Die Kreisordnung. (Schluß.) Das Abgeordnetenhaus hat an den Bestimmungen der Regierungs¬ vorlage über die Bildung der Amtsbezirke zunächst folgende Aenderungen an¬ gebracht: Gemeinden, welche zu eigenen Amtsbezirken erklärt werden, sollen in der Negel mindestens 800 Einwohner zählen; die zusammengesetzten Amts¬ bezirke sollen in der Regel nicht unter 800 und nicht über 3000 Einwohner haben. Wichtiger als diese unerheblichen und nicht einmal kategorischen Ma߬ bestimmungen ist die Schaffung einer ganz neuen Körperschaft, des sogenann¬ ten Amtsausschusses. Das Bedürfniß nach Parlamenten, wo sie sich nur irgend anbringen lassen, steckt unserem Liberalismus noch allzutief in den Gliedern. Derselbe ist noch nicht zu der Einsicht gelangt, daß an der Ver¬ vielfältigung der Parlamente der Parlamentarismus nothwendig Schaden leiden muß. Nach dem Regierungsgedanken sollte der Amtsbezirk ein reiner Ver¬ waltungsbezirk sein, unter der Oberinstanz des Kreises, für den parlamen¬ tarische, oder wenn man lieber will, repräsentative Organe unter allen Umständen vorgesehen sind. Schon bei der Berathung der Regierungsvorlage von 1869 drang ein Theil der liberalen Partei unter Laster's und Miquel's Führung erstens auf kleinere Amtsbezirke, als die damals vorgeschlagenen, und zweitens auf Amtsvertretungen, gewählt von den Einwohnern des Amts¬ bezirkes. Dieser letzte Gedanke ist nun aber auf dem platten Lande bei uns höchst unbeliebt. Die zu Amtsbezirken vereinigten Gemeinden wollen in ihren Geldangelegenheiten um jeden Preis getrennt bleiben. Die wohlhabenden unter den Gemeinden wehren sich mit Händen und Füßen, etwaigen verschul¬ deten oder unbemittelten Nachbargemeinden bei gemeinsamer Wirthschaft von dem Ihrigen geben zu sollen. Auch sind die Bedürfnisse, die Neigung und Fähigkeit zum Gemeindeaufwand bei nächster Nähe doch überall verschieden. So erscholl vom platten Lande der laute Ruf: um keinen Preis Sammt¬ gemeinden. Darauf entgegnete der doctrinelle Liberalismus: unsere Amts¬ vertretung soll keine Sammtgemeinde herstellen; sie soll nur solchen Bedürf¬ nissen dienen, wo die im Amtsbezirk vereinigten Gemeinden die gleichmäßige Obsorge aller Gemeinden selbst wollen. Die Regierung entgegnete damals hierauf ganz richtig: wenn ihr so denkt, so laßt euch genügen, daß eine Amts¬ vertretung auf Wunsch der Gemeinden bestellt werden kann, aber macht sie nicht obligatorisch. — Jetzt nun hatte die Regierung wieder von einer be¬ sonderen Amtsvertretung gänzlich abgesehen. Die vom Abgeordnetenhaus zur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/115>, abgerufen am 22.12.2024.