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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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mer, denen dann auch die II. beitrat, sollte zunächst ein Gymnasium in
Chemnitz und eine Realschule mit landwirtschaftlicher Abtheilung (Döbeln)
gegründet werden, zugleich sollte aber "das Ministerium die Frage einer wei¬
teren Vermehrung der Gymnasien des Landes in Erwägung ziehen und hier¬
über der nächsten Stände-Versammlung Mittheilung machen."

Allein, abgesehen von den 60,000 Thlr. für das bereits beschlossene
Gymnasium zu Chemnitz, fand sich in dem Budget 1870/71 kein weiteres
Postulat für Gründung neuer Gymnasien, und auch von der gewünschten
Mittheilung über eine weitere Vermehrung der Gymnasien des Landes zeigte
sich keine Spur. Und doch hatte das Cultusministerium selbst schon im
Jahre 1866 ein Postulat von 30,000 Thlrn. zur Gründung eines ganz un¬
entbehrlichen Gymnasiums für Neustadt-Dresden eingestellt. Dasselbe
wurde aber später aus unbekannten Gründen wieder zurückgezogen und ist
bis jetzt, trotz aller Petitionen der Dresdener Stadtverordneten, noch nicht
wieder zum Vorschein gekommen. Nachdem aber lange genug Chemnitz als
das einzige Beispiel in Deutschland hat dastehen müssen, daß eine Stadt mit
mehr als 50,000 Einwohnern nicht einmal ein Gymnasium besaß, wird es
wahrlich auch Zeit, daß ein Stadttheil der Residenz, der jetzt mindestens
60,000 Einwohner zählt, nicht länger eines Gymnasiums entbehrt. Oben in
der statistischen Uebersicht ist erwähnt worden, daß Berlin allein 10 Gymna¬
sien und Breslau deren 4 resp. 5 besitzt. Wie unzulänglich erscheinen daneben
die zwei Altstädter Gymnasien Dresdens, von denen obendrein das Vitzthum-
sche Geschlechtsgymnasium eine Familienstiftung und wegen seiner hohen
Schulgeldsätze (72 resp. 100 Thlr.) nur den wohlhabenden Ständen zugäng¬
lich ist l Gerade an dem Beispiele der Haupt- und Residenzstadt zeigt sich am
schlagendsten, wie wenig seit langer Zeit in Sachsen für eine Vermehrung
der Gymnasien geschehen ist.

II. Obere Leitung des höheren Schulwesens in Sachsen.
Wie ist es überhaupt möglich gewesen, wird mancher fragen, daß Sachsen in
dieser Weise hinter allen deutschen Staaten hat zurückbleiben können? Es las¬
sen sich dafür mancherlei Erklärungsgründe anführen; doch wird man nicht
fehlgreifen, wenn man den Hauptgrund in dem Mangel einer fachmänni¬
scher Oberleitung sucht. Bis jetzt haben in dem sächsischen Cultus¬
ministerium ausschließlich Juristen und Theologen die oberste Leitung des
gesammten Unterrichtswesens in Händen gehabt. Es sei ferne, die Verdienste,
welche sich einzelne unter diesen hohen Beamten um das Schulwesen erwor¬
ben haben, verkleinern zu wollen. Aber das wird kaum bestritten werden
können, daß zu Zeiten, namentlich damals, wo man jene 5 Gymnasien auf¬
hob, auch in der oberen Leitung ein volles Verständniß dafür, was die hu¬
manistische, mehr ideale Bildung der Gymnasien auch in einem vorwiegend


mer, denen dann auch die II. beitrat, sollte zunächst ein Gymnasium in
Chemnitz und eine Realschule mit landwirtschaftlicher Abtheilung (Döbeln)
gegründet werden, zugleich sollte aber „das Ministerium die Frage einer wei¬
teren Vermehrung der Gymnasien des Landes in Erwägung ziehen und hier¬
über der nächsten Stände-Versammlung Mittheilung machen."

Allein, abgesehen von den 60,000 Thlr. für das bereits beschlossene
Gymnasium zu Chemnitz, fand sich in dem Budget 1870/71 kein weiteres
Postulat für Gründung neuer Gymnasien, und auch von der gewünschten
Mittheilung über eine weitere Vermehrung der Gymnasien des Landes zeigte
sich keine Spur. Und doch hatte das Cultusministerium selbst schon im
Jahre 1866 ein Postulat von 30,000 Thlrn. zur Gründung eines ganz un¬
entbehrlichen Gymnasiums für Neustadt-Dresden eingestellt. Dasselbe
wurde aber später aus unbekannten Gründen wieder zurückgezogen und ist
bis jetzt, trotz aller Petitionen der Dresdener Stadtverordneten, noch nicht
wieder zum Vorschein gekommen. Nachdem aber lange genug Chemnitz als
das einzige Beispiel in Deutschland hat dastehen müssen, daß eine Stadt mit
mehr als 50,000 Einwohnern nicht einmal ein Gymnasium besaß, wird es
wahrlich auch Zeit, daß ein Stadttheil der Residenz, der jetzt mindestens
60,000 Einwohner zählt, nicht länger eines Gymnasiums entbehrt. Oben in
der statistischen Uebersicht ist erwähnt worden, daß Berlin allein 10 Gymna¬
sien und Breslau deren 4 resp. 5 besitzt. Wie unzulänglich erscheinen daneben
die zwei Altstädter Gymnasien Dresdens, von denen obendrein das Vitzthum-
sche Geschlechtsgymnasium eine Familienstiftung und wegen seiner hohen
Schulgeldsätze (72 resp. 100 Thlr.) nur den wohlhabenden Ständen zugäng¬
lich ist l Gerade an dem Beispiele der Haupt- und Residenzstadt zeigt sich am
schlagendsten, wie wenig seit langer Zeit in Sachsen für eine Vermehrung
der Gymnasien geschehen ist.

II. Obere Leitung des höheren Schulwesens in Sachsen.
Wie ist es überhaupt möglich gewesen, wird mancher fragen, daß Sachsen in
dieser Weise hinter allen deutschen Staaten hat zurückbleiben können? Es las¬
sen sich dafür mancherlei Erklärungsgründe anführen; doch wird man nicht
fehlgreifen, wenn man den Hauptgrund in dem Mangel einer fachmänni¬
scher Oberleitung sucht. Bis jetzt haben in dem sächsischen Cultus¬
ministerium ausschließlich Juristen und Theologen die oberste Leitung des
gesammten Unterrichtswesens in Händen gehabt. Es sei ferne, die Verdienste,
welche sich einzelne unter diesen hohen Beamten um das Schulwesen erwor¬
ben haben, verkleinern zu wollen. Aber das wird kaum bestritten werden
können, daß zu Zeiten, namentlich damals, wo man jene 5 Gymnasien auf¬
hob, auch in der oberen Leitung ein volles Verständniß dafür, was die hu¬
manistische, mehr ideale Bildung der Gymnasien auch in einem vorwiegend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/95>, abgerufen am 11.02.2025.